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Hauptmann Vrana und Ralf Meerholdt fuhren sofort mit einem Jeep zu der Fundstelle und riefen in Zagreb an. Die Spezialbeamten aus Belgrad mit ihrem forschen Hauptmann, der noch immer die Ausgangssperre verhängt hatte, packten Mikroskope und ein kleines Labor aus und begannen die Arbeit. Es stand außer Zweifel -das Blut an der Wand des Zimmers und das Blut in dem Unterkleid waren das gleiche. Es war das Blut Elena Osiks. Damit hatte man einen klaren Beweis, daß ein Verbrechen geschehen war.

»Ihre Unterwäsche sagt alles! Freiwillig hat sie sie bestimmt nicht ausgezogen ... und das Blut daran!« Hauptmann Vrana hob die Schultern. »Wir müssen uns damit abfinden, daß Fräulein Osik einem Sexualverbrechen zum Opfer gefallen ist! Es heißt jetzt nur noch, ihre Leiche zu finden. Den Täter kann uns nur das Glück bringen. Ein unverschämtes Glück!«

Für den Offizier aus Belgrad war Glück ein zu vager Begriff. Er war ein Mann der Realität. Er sperrte sofort wieder das Lager und begann, die tausend Männer systematisch zu untersuchen.

»Ein Bauer aus Zabari war es nicht!« sagte er bewußt. »In diesen Bergen kennt man keine Sexualmorde. Das ist eine Errungenschaft der Zivilisation! Also muß der Mörder unter den Arbeitern oder auch Soldaten zu finden sein! Und verlassen Sie sich darauf - ich bekomme ihn!«

Ralf Meerholdt erinnerte sich der Aussprache mit Vrana über das Problem des frauenlosen Lagers. Damals hatte er geglaubt, mit Alkoholverbot, Strafen und der Androhung der Sabotage eine straffe Ordnung in das Lager zu bekommen und die Auswüchse eines Lagerkollers zu verhindern. Zehn Arbeiter lagen in den Sarajewoer Gefängnissen in stinkenden Löchern und büßten für etwas, für das man eigentlich die Natur selbst verantwortlich machen sollte . eine ganze Kolonne von dreißig Arbeitern mit einem Truppführer hatte man nach Titograd zurückgeschickt, weil sie meuterten - ihr weiteres Schicksal war unbekannt.

Das schreckte ab . die nächsten Wochen waren ruhig. Bonelli merkte es am Umsatz und schimpfte auf die Moralität, von der er persönlich nicht viel hielt, bis auf eine Ausnahme, die Katja Dobor hieß.

Dann kam der Mord ... ein Mord aus Motiven, gegen die Meerholdt vergeblich ankämpfte. Ein Mord, den er begünstigt hatte, indem er Elena in Zabari behielt und nicht Stanis Osik mitgab. Dieser Gedanke drückte auf ihn wie eine Zentnerlast, und sie wurde zu einem Niederschlag, als der Offizier aus Belgrad Rosa verhörte und die Auseinandersetzung erfuhr!

Einen Hinweis dafür hatte der Offizier von Bonelli erfahren. Bonelli erzählte harmlos, daß Rosa bei ihm eine Flasche Wein gekauft habe. Leider sei sie ihr zerbrochen . er hatte die Scherben am Morgen vor dem Hause des Ingenieurs gesehen.

»Die Flasche ist mir hingefallen«, sagte Rosa. »Sie ist mir aus der Hand gerutscht.«

Der Offizier antwortete nicht darauf. Er ging mit Rosa und Meer-holdt an die Hausecke, eine Ecke, die dauernd im Schatten der anderen Baracken lag. Der Sand war getrocknet, aber er hatte durch die Nässe eine feste Schicht gebildet, und in dieser Schicht waren noch deutlich zwei Fußabdrücke zu erkennen ... ein kleiner, flacher und ein ganz dünner, verwischter, punktmäßiger Abdruck.

»Hier haben zwei Personen gestanden«, sagte der Offizier und sah Rosa scharf dabei an. »Du ... das ist der flache Abdruck ... und ein anderer, der hochhackige Schuhe trug. Hier, siehst du den Abdruck des dünnen Absatzes? Diesen Punkt im Sand? Und wer trägt hier im Lager hochhackige Schuhe? Wer wohl? Na, sag' es schon, Rosa.«

»Elena.« Sie sah hilfesuchend zu Meerholdt, der bleich an der Hauswand stand. »Das ist doch Dummheit, Herr Hauptmann! Sie wollen doch nicht etwa.« Er sprach nicht weiter, sondern legte den Arm um Rosas Schulter. Diese Geste sollte Schutz bedeuten, sie drückte aber auch die Verbundenheit aus, die Meerholdt mit Rosa verband. Der Offizier wiegte den Kopf.

»Keine Dummheit ist so dumm, daß sie nicht von Frauen verbrochen werden könnte. Und eine liebende, eine eifersüchtige Frau kann die Naturgesetze aus den Angeln heben! Mit der ersten eifersüchtigen Frau wurden auch die ersten Bestialitäten geboren«, sag-te er sarkastisch.

»Sie müssen andere Frauen von Rosa unterscheiden lernen. Sie unterstellen hier etwas, ohne es beweisen zu können.«

»Sie haben mich in meiner Beweisführung eben unterbrochen. Es war ein psychologischer Fehler, Rosa das Rückgrat zu stärken. Ein Geständnis ist immer ein Zusammenbruch - ein physischer wie ein psychischer.«

»Sie hat nichts zu gestehen!« rief Meerholdt laut.

Der Offizier nickte. »Natürlich nicht.« Er wandte sich wieder Rosa zu und faßte sie am Arm. »Du hast hier also Elena Osik getroffen? Ihr habt euch über Herrn Meerholdt unterhalten! Fräulein Osik beschimpfte dich, du beschimpftest Fräulein Osik, sie schlug dich, sie schlug dir die Flasche aus der Hand, die du für Herrn Meerholdt gekauft hattest!« Seine Stimme wurde lauter und lauter, am Ende brüllte er Rosa an, die am ganzen Körper zitterte. »Die Flasche lag im Sand ... kaputt... der Wein floß in den Sand, Meerholdts Wein! Und sie schlug dich wieder . da hast du sie genommen, zu Boden geworfen, hast sie erwürgt und dann.«

»Nein!« schrie Rosa auf. »Nein! Nein!« Sie klammerte sich an Meerholdt fest und versteckte ihr Gesicht an seiner Brust. »Sie hat mich geschlagen, immer wieder geschlagen, aber ich habe mich nicht gewehrt. Ich habe ihr nichts getan. Ich schwöre es ... ich schwöre es.«

Ihre Stimme brach.

Der Offizier sah Meerholdt groß an. In seinen Augen stand Mißtrauen. »Ich muß sie mit nach Belgrad nehmen«, sagte er.

»Ich verbürge mich für Rosa!« Meerholdt umfaßte sie und drückte sie schützend an sich. »Sie bleibt im Lager. Ihr sogenanntes Verhör ist eine Schande. Sie legen dem Mädchen Dinge in den Mund, die sie gar nicht kennt. Die außerhalb ihrer Lebenssphäre liegen!«

»Im Zorn sind viele Menschen unberechenbar. Eine Frau, die haßt, ist schlimmer als hundert Tiger, sagt ein indisches Sprichwort. Und es war abgrundtiefer Haß zwischen den beiden Frauen! Haß Ihretwegen, Herr Meerholdt! Auch Sie trifft eine moralische Schuld an dem Tode Fräulein Osiks!«

Ralf Meerholdt sah an dem Offizier vorbei. Er überblickte die halbfertige Talsperre, die Arbeitskolonnen, die gefällten Wälder, die Geburt einer neuen Landschaft, erdacht von ihm und von ihm in die Tat umgesetzt. »Ich werde Zabari verlassen«, sagte er leise. »Ich werde auch Jugoslawien verlassen. Ich gehe zurück nach Deutschland.«

»Es wäre eine Flucht vor dem Gewissen.«

»Nennen Sie es eine Flucht vor der Erinnerung. Ich hatte eine Rechnung aufgestellt . eine mathematische Gleichung mit drei Herzen und einem Unbekannten, das ist Schicksal nannte. Logisch mußte diese Gleichung aufgehen - x, das Schicksal, war rechnerisch vorherbestimmt! Heute sehe ich den Fehler dieser Rechnung - der Mensch! Der Mensch ist keine Zahl, er ist außerhalb jedes logischen Prinzipes. Der Mensch ist trotz Medizin, Physik, Chemie, Psychologie und Philosophie ein ewiges Rätsel, eine fleischgewordene Mystik. Können Sie mit der Mystik mathematisch verfahren? Das war mein Fehler - und ich möchte nicht weiterleben in einer Umgebung, der mein persönlicher Fehler Unglück gebracht hat.« Er hob die Schultern und sah zurück auf den Offizier. »Ich weiß nicht, ob Sie mich verstehen. Aber ich gehe -«

Rosa blieb in Zabari, als der Offizier nach Titograd fahr, um das gefundene Unterhemd mit einem genauen Bericht nach Belgrad zu schicken. Stanis Osik, dem man die Nachricht vom Tode, vom erwiesenen Tode, seiner Tochter schonend mitteilte, saß apathisch auf der Terrasse seiner weißen Villa und starrte in die schmutziggrauen Fluten der Sava. Tot, empfand er. Tot! Was bedeutet tot? Kein Wiedersehen? Auslöschen, einfach auslöschen, so, wie man einen Bleistiftstrich vom Papier radiert, und es bleibt nichts als wieder eine weiße Fläche?

Er hatte die Zimmer Elenas abschließen lassen, er betrat nicht mehr den Teil des Hauses, in dem sie wohnte. Die Rosen, die sie vor der Terrasse gepflanzt und gepflegt hatte, ließ er herausreißen, das Pony, auf dem sie als Kind ritt, verkaufte er und erschoß den Hund, der Elena immer in Zagreb begleitete. Nichts, gar nichts mehr wollte er sehen ... keine Erinnerung sollte ihn quälen, kein Erkennen, kei-ne Gedanken. Doch je mehr er gegen sein Schicksal kämpfte, um so tiefer sank das Bild Elenas in seine Seele. Er trank wieder; sinnlos betrunken schlug er in seiner Villa gröhlend die Möbel zusammen und bewarf sein Spiegelbild mit Gläsern. Dann saß er wieder apathisch im Sessel, starrte über die Sava und aß wie eine aufgedrehte, mechanische Puppe. Ab und zu schrie er, grell, tierisch, umklammerte seinen Kopf mit beiden Händen, als wolle er ein Auseinanderspringen verhindern. Er brüllte wie ein Stier und stampfte mit beiden Beinen auf die Erde.