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»Osik ist wahnsinnig geworden«, hieß es in Belgrad. Man beurlaubte ihn und übertrug die noch auszuführenden Bauten einem Regierungsgremium, das als Leiter Ralf Meerholdt einsetzte. Nach der Fertigstellung der Zabarisperre sollte er von Belgrad aus die Bauten leiten. Eine besondere Ehrung für den Deutschen.

Zwei Tage nach dem Auffinden des blutigen Unterkleides entdeckte ein Transportarbeiter bei Räumungsarbeiten an der neuen Straße ein zusammengeknülltes, zerrissenes und blutbespritztes Kleid.

Wieder fuhren Hauptmann Vrana und Meerholdt zu der Stelle und fanden ihre Vermutung bestätigt: Es war Elenas Kleid, das sie zuletzt trug, ehe sie verschwand. Die Sonderbeamten aus Belgrad brauchten diesesmal nur zehn Minuten zur Feststellung der Blutgleichheit. Sie stimmte.

»Das Kleid«, sagte Meerholdt sinnend, »und die Unterwäsche lagen in genau entgegengesetzter Richtung. Fällt Ihnen das nicht auf, Vrana?«

Hauptmann Vrana betrachtete das zerrissene Kleid. »Warum haben wir es nicht gefunden, als wir Elena suchten? Wir haben mit Hunderten von Leuten jeden Meter abgesucht . auch die Stellen, an denen jetzt die Stücke lagen!«

Meerholdt durchzuckte es heiß. »Der Mörder lebt unter uns!« sagte er heiser. »Er hat die blutigen Kleidungsstücke bei sich ... und Stück für Stück versteckt er sie jetzt, um alle Spuren zu verwischen.«

»Verhängen Sie ab sofort eine neue Ausgangssperre für alle Personen im Lager. Auch für meine Soldaten werde ich das befehlen.

Niemand verläßt die Baracken ... eine Woche lang!«

»Ich werde es anordnen«, sagte Meerholdt dumpf.

Das Lager wurde gesperrt. Militärposten bewachten die Straßen und das Dorf. Als Jossip am Abend hinauf in die Berge stieg, grüßten sie ihn freundlich und riefen ihm Witze nach. Auch Meerholdt und Vrana sahen Jossip.

»Er hat seine Herde auf den Bergweiden«, sagte Ralf. Vrana nickte und rauchte ein türkische Zigarette, die ihm ein Freund aus Ankara schickte.

Am nächsten Morgen fand Vorarbeiter Drago Sopje neben einer Betonmischmaschine das blutbefleckte Seidenhöschen Elena Osiks. An einer Betonmaschine, die am Abend noch in Betrieb war!

In dieser Nacht verzweifelte Ralf Meerholdt und suchte wie ein verstörtes Kind Zuflucht in den Armen Rosas.

Vor der großen >Chefbaracke< standen etwa dreihundert Arbeiter und sahen ernst und nachdenklich auf Ralf Meerholdt, als er am nächsten Morgen zu den Baustellen gehen wollte. Militär riegelte den Lagerplatz ab, Hauptmann Vrana schrie herum, Pietro Bonelli, mit einer weißen Schürze vor dem Bauch, rannte durch die Reihen der stummen Arbeiter und gestikulierte wie ein Wilder.

Verblüfft blieb Meerholdt auf der oberen Stufe des Eingangs stehen. Hauptmann Vrana drängte sich durch die Arbeiter. Er hatte eine entsicherte Pistole in der Hand.

»Eine Revolte!!« schrie er. »Ein Aufstand! Die Kerle weigern sich, weiter in Zabari zu arbeiten! Sie wollen weg! Aber eher schieße ich sie alle nieder! Seht euch um!« schrie er und zeigte nach rückwärts. Einige der Arbeiter drehten sich um, die Mehrzahl blieb stumm und verbissen stehen und sah auf Meerholdt. »Dort stehen drei Maschinengewehre. Mit durchgeladenen Gurten. Ein Wort nur, Kerls, und ihr seid ein Sieb! Los, nehmt die Klamotten und geht an die Arbeit! Los, sage ich!«

Die Arbeiter standen.

Hauptmann Vrana winkte. Die Gurte rasselten durch die Schlösser der Maschinengewehre. »Ich schieße!« schrie er. »Geht auseinander!«

Drago Sopje, der alte Vorarbeiter, trat einen Schritt vor. Er nahm die Mütze ab und sah Ralf Meerholdt aus traurigen Augen an.

»Wir tun es nicht gern«, sagte er stockend. »Aber man hat schon wieder ein Stück Wäsche von Fräulein Osik gefunden und dieses-mal mit einem Zettel.« Er kam zu Meerholdt die drei Stufen hinauf und legte ihm einen Unterrock vor, an dem auf einem abgerissenen Blatt Papier in Druckbuchstaben etwas stand. Neugierig beugte sich Vrana vor.

»Geht nach Hause!« las er laut. »Das war der Anfang - die nächsten seid ihr.«

Die Arbeiter murmelten. Drago Sopje drehte die Mütze zwischen den Händen.

»Es ist ganz einfach, Herr Ingenieur. Wir haben Angst. Ein Mörder lebt unter uns, der einen nach dem anderen umbringen wird. Keiner will der nächste sein - darum wollen wir gehen!«

»Ihr seid also alles Feiglinge?« Meerholdt blickte über die fast dreihundert Männer, die mit verbissenen Gesichtern vor seiner Baracke standen. »Kann nicht ich der nächste sein? Darf ich meine Arbeit verlassen, aus Angst, aus ganz gemeiner Angst? Auf mich hat der Unbekannte einen großen Stein geschleudert, und nur durch ein Wunder entkam ich. Habe ich damals alles hingeworfen und mich verkrochen, wie ihr es wollt?!« Meerholdt hob die Hand. »Geht an die Arbeit, Leute. Wir werden den Mörder finden.«

Die Arbeiter standen. Stumm, mit gesenkten Köpfen. Auf der oberen Stufe des Barackeneingangs lag das blutverschmierte Kleidungsstück. Eine Anklage und eine Drohung.

Drago Sopje rührte sich nicht. »Wir möchten weg aus Zabari«, sagte er.

»Und der Bau? Was soll aus der Sperre werden?«

»Was geht uns der Bau an?« schrie einer aus der Menge. »Wir haben die Nase voll!« »Wir gehen!«

»Hätten wir vorher gewußt, wo der Bau liegt, wären wir gar nicht erst gekommen!«

Hauptmann Vrana ballte die Fäuste, er wollte den Befehl zum Schießen geben, aber Meerholdt legte ihm die Hand auf den Arm.

»Was hätten wir davon, Vrana? Wir können fünfzig ... hundert Mann erschießen . dann laufen uns in der Nacht die anderen neunhundert weg. Sie werden einfach die Wagen stehlen und flüchten. Wer will sie aufhalten?«

»Ich sperre alle Zufahrtsstraßen!«

»Sie werden überrannt und niedergewalzt werden. Ein Raupenschlepper ist ein halber Panzer! Wir müssen vernünftig sein.«

Ralf Meerholdt sah Drago Sopje an. Dieser senkte den Blick und biß die Lippen aufeinander.

»Sie wollen es so«, sagte er stockend. »Wir möchten unseren Lohn haben.«

Meerholdt nickte. »Es ist gut. Ich spreche sofort mit Belgrad . das Geld wird morgen oder übermorgen hier sein.«

»Mit Belgrad?« Sopjes Kopf fuhr hoch. »Die schicken uns Panzer und Flugzeuge, aber kein Geld!«

»Das glaube ich auch!« Meerholdt hob die Schultern. »Aber in der Kasse ist nicht genug. Es könnten nur dreißig von euch den Lohn bekommen. Das Geld kommt jeden Monat direkt aus Belgrad mit dem Nachschub zu uns. Ihr wißt es ja alle! Ich muß also anrufen.«

»Die Hunde in Belgrad erschießen uns alle!« schrie einer aus der Menge.

»Sie hängen uns auf!«

Meerholdt nickte. »Ihr wollt es nicht anders, Leute. Ihr habt Angst vor einem einzigen Mörder . aber wenn ihr weggeht und streikt, werdet ihr alle getötet! Ob der eine Unbekannte euch angreifen wird, weiß ich nicht, und ihr wißt es auch nicht . aber daß Belgrad euch angreifen wird, gleich, wo immer ihr euch versteckt, das ist sicher! Ihr habt zu wählen: das Vielleicht oder das Sichere!«

Drago Sopje setzte seine Mütze wieder auf. Sein Gesicht war gelb-lich und zerknittert. »Sind wir Verbrecher? Zwangsarbeiter?«