Выбрать главу

»Wenn es wahr ist, Rosa«, sagte er stockend, »wenn ich recht behalte mit meinen phantastischen Gedanken, dann hast du heute eine neue Welt entdeckt.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ich verstehe dich nicht.«

Er nickte. »Wie kannst du das auch?« Er atmete tief auf. »Ich kann es ja selbst kaum verstehen. Ich kann es noch gar nicht glauben! Es ist zu phantastisch, um wahr zu sein. Die Vernunft sträubt sich dagegen, solche Träume als wahr anzusehen. Aber ist es wahr, gibt es wirklich das, was ich hier hinter dem Felsen vermute.« Er legte die Hände an den Felsen. »Umarme ich hier die Kraft, die noch kein Mensch gebändigt hat, dann wird man in zehn Jahren Montenegro nicht wiedererkennen.«

»Es ist mehr als eine Quelle?«

»Viel mehr, Rosa ... ungeheuer viel mehr. Weißt du, was ein Ozean ist?«

»Nein.«

»Er ist ein großes Meer . ein Meer, größer als Länder und Kontinente . ein Meer, über das du wochenlang fährst, ohne ein Ufer zu sehen.« Er klopfte an den Felsen. »Hier drin, in dem Felsen, Rosa, liegt ein Ozean im Vergleich zu einer Quelle, wie wir dachten. Ein See, ein unterirdischer, eingeschlossener See.«

Rosas Gesicht wurde bleich. »Ein See über Zabari?« sagte sie leise. Ihre Stimme schwankte. »Wenn der Felsen bricht, sind wir alle vernichtet.«

Einen Augenblick hielt Meerholdt den Atem an. Rosa sprach aus, was außerhalb seiner bisherigen Gedanken lag. Jetzt gewann es Gestalt, jetzt wurde es eine Gefahr, eine riesengroße, allmächtige, überwältigende Gefahr.

Die Fackeln! Der Mann mit den Fackeln kannte den See! Er hatte den Stein auf ihn geworfen, er hatte Elena Osik getötet... er würde auch den Felsen sprengen und die Natur ersaufen lassen in einer neuen Sintflut! Die Natur, Zabari, das Bauwerk, die tausend Arbeiter, ihn und Rosa.

»Wir müssen sofort zurück!« Meerholdt nahm Rosas Hand und rannte mit ihr aus den Felsen dem Walde zu. Hier sah Jossip sie wieder .er sah sie den Hang hinab laufen, Hand in Hand, wie Kinder. Er ahnte nicht, welche schrecklichen Gedanken sie so beflügelten . er sah sie nur zusammen aus dem Wald kommen, zwei Menschen, die sich an ihm versündigten, an Jossip, der einen Anspruch auf Rosa hatte, weil sie ihm in der Wiege nach altem Gesetz versprochen war.

Er erhob sich und ballte die Faust. Drohend hob er sie und schwang sie durch die Nacht. »Ich vernichte euch!« sagte er leise. »Ich ertränke euch wie die Ratten! Euch alle. Alle!«

Meerholdt und Rosa rannten in das Lager. Keuchend riß er die Tür seines Zimmers auf und stürzte auf das Telefon.

»Belgrad!« schrie er. »Geben Sie mir sofort Belgrad. 5 67 98. Blitzgespräch!«

Er sank auf einen Stuhl und wischte sich mit dem Ärmel den Schweiß von der Stirn. Sein Herz schlug wild gegen seine Rippen.

Eine Stimme schnarrte im Apparat, Meerholdt beugte sich vor. »Ich brauche den Minister!« schrie er. »Sofort! Ob er schläft, ist mir ganz gleich. Wecken Sie ihn! Es ist dringend. Es geht um Millionen.«

Drei Minuten später sprach er mit dem Minister.

Pietro Bonelli hatte Urlaub bekommen.

Die Schweigsamkeit Katjas hatte an seinen Nerven gezehrt, und er war so lange jammernd um Meerholdt herumgestrichen und hatte des Abends traurige Lieder zur Laute gesungen, bis sich Ralf erweichen ließ und sagte: »Hau ab, du Jammerlappen! Aber wehe dir, wenn du Katja nicht heiratest.«

Nun war Bonelli in Sarajewo und ließ sich von einem Barbier rasieren und frisieren. Der Barbier hatte seinen >Salon< nahe dem Krankenhaus und war ein Orientale, ein Serbe mohammedanischen Glaubens.

Barbiere sind schwatzhaft. Das gehört zum Geschäft . ein stummer Barbier wäre wie Sekt ohne Perlen oder eine Frau ohne Raffinesse. Nachdem er mit Bonelli über das Wetter geplaudert hatte, über Sarajewo und den Mord an Erzherzog Ferdinand, von dem der Fremdenverkehr Sarajewos noch heute zehrt, über die neue Brük-ke, die man über die Bosna schlagen wollte, und über die Soldaten, die in Sarajewo alle Mädchen verrückt machten, sagte er etwas, was Bonelli fast aus dem Barbierstuhl trieb.

»Und nebenan, Herr ... nebenan, im Krankenhaus. Oh!« Er verdrehte die Augen und schnalzte mit der Zunge.

»Da ist ein Mädchen ... was sage ich, Mädchen ... eine Wildkatze, eine Pantherin, eine Houri aus dem siebten Himmel Allahs! Sie putzt dort . ein schwarzer Teufel, Herr! Allah hat mir vier Frauen erlaubt ... ich werde sparen ... 10.000 Dinare und mehr und mir dieses Kätzchen fangen!« Der Barbier schnalzte wieder mit der Zunge. »Katja heißt sie.«

»Ka...Katja.«, stöhnte Bonelli. Er wagte nicht, sich zu bewegen, denn der Barbier hatte seine Nase gefaßt und rasierte ihn unter dem Kinn.

»Katja! Oh! Ich schlafe keine Nacht, seitdem ich sie gesehen habe! Ab und zu kauft sie bei mir ein ... ein Fläschchen mit Riechwasser, Lippenstift, Puder, Creme ... oh, ich könnte ihr die Füßchen küssen, wenn sie kommt. Ich bin ihr Sklave, ihr Hündchen, ihr Läus-chen.«

Bonelli seufzte und schloß die Augen. »Und das Kätzchen liebt dich auch?« fragte er mühsam.

Der Barbier stellte sich in Positur. Bonelli sah es im Spiegel ... er zwirbelte seinen dicken Schnurrbart. »Kann man mir widerstehen?« sagte er stolz. »Allah hat mir alle Männlichkeit gegeben, die er bei der Erschaffung der Welt zu verteilen hatte! Ich werde das Berg-löwchen noch erobern.«

Bonelli litt Höllenqualen, ehe er den Salon verließ und Kennif -so hieß der feurige Barbier - sogar noch 20 Dinare Trinkgeld gab. »Auf Wiedersehen, Herr Graf!« schrie ihm Kennif nach. »Allah hal-te schützend seine Hand über Euch!«

»Katja«, dachte Bonelli. Außerhalb der Rasiermesser Kennifs kehrte in ihm die Wut zurück. Katja, du Aas! Nach Sarajewo gehen und die Männer verrückt machen! Und der arme Pietro muß in der Wildnis leben, unter tausend weibertollen Arbeitern und einem Mörder, der nachts blutige Unterwäsche im Lager verteilt! Schöne Blicke nach den Soldaten werfen und mit dem Hintern wackeln, den Lidern klappern und mit dem rotgemalten Mäulchen plappern ... Madonna mia - das hört auf! Das hat Pietro Bonelli nicht verdient. Der liebe, der treue Bonelli!

Er ging geradewegs zum Krankenhaus und wurde am Eingang vom Pförtner aufgehalten.

Pförtner sind in der ganzen Welt gleich. Sie sind berufsmäßig neugierig und, wenn sie alles wissen, abweisend. So wurde auch Bonelli von dem Pförtner angehalten und an der Tür festgenagelt.

»Wohin?« fragte der lange, dürre Bosniake. Er hatte einen weißen Kittel an und wirkte wie ein Arzt. Darauf war er besonders stolz, vor allem, wenn Bauern kamen und ihn unwissend mit >Herr Dok-tor< anredeten. Ein Bauer, der ihn sogar >Herr Professor< nannte, bekam eine Zigarre von ihm ... es war der bisherige Höhepunkt seines Lebens.

Um so mehr war er enttäuscht, entsetzt und wütend, daß der weltgewandte Bonelli in ihm den Portier erkannte und ihn anschrie:

»Das geht dich einen Dreck an, du Idiot!«

Der Portier erstarrte. »Raus!« sagte er laut.

Bonelli zog die Augenbrauen zusammen. »Ich bin der Verlobte von Katja Dobor«, meinte er etwas freundlicher.

Wieder musterte ihn der Pförtner, diesmal mit einem diskreten Kopfschütteln. »Du?« sagte er gedehnt. »Ich hätte der Katja einen besseren Geschmack zugetraut.«

»Vielleicht so ein in der Mangel langgezogenes Handtuch wie dich, was?« Bonelli schäumte. Erst der Barbier, jetzt der Idiot von Portier. O Katja, Katja. Bonelli seufzte und beherrschte sich. »Kann ich vorbei?« fragte er. Seine Stimme war rauh vor Erregung.

»Der Chefarzt wird dich hinauswerfen.«

»Ich werde ihn nicht stören ... ich will zu Katja.«

»Eben deshalb.« Der Pförtner grinste. »Er liebt nämlich Katja.«

Bonelli schwankte. »Ich werde heimlich die Treppen hinaufsteigen, an seinem Zimmer vorbeirennen.«

»Dann trifft dich der Stationsarzt. Er stellt Katja seit zwei Monaten nach.«

Als ein gebrochener Mann schlich Bonelli wie ein Verbrecher ins Krankenhaus und suchte Katja auf Station III.