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»Ralf«, lachte sie schallend. »Welch ein komischer Name. Ralf. Ich kann ihn kaum aussprechen.«

»Aber er klingt schön aus deinem Mund, Rosa. So ganz anders, als ich ihn bisher gehört habe. Er hat einen anderen Klang bekommen.«

Das ist doch alles dummes Zeug, was ich da rede, durchfuhr es ihn. Statt hier in der Sonne zu sitzen und mir Rosa anzusehen, sollte ich mich darum kümmern, daß mein Wagen eine neue Achse bekommt und daß ich endlich ein Tal finde, dessen Stauung einen ganzen Landstrich verändert.

Er erhob sich. »Ich muß nach meinem Wagen sehen, Rosa. Wo sind deine Eltern?«

»Im Wald . Ralf.«

Er zuckte bei dem Klang seines Namens aus ihrem Mund unwillkürlich zusammen. Ehe er zum Wald ging, fuhr er mit der Hand leicht über ihren nach vorn gebeugten Kopf und über die langen schwarzen Locken. Sie waren weich wie Seide und lagen in seiner Hand mit einer ihn durchrinnenden Zärtlichkeit.

Wortlos, mit dem Gefühl, seine Kehle sei zugeschnürt, ging Ralf dem Walde zu.

Oben, von der Bergwiese aus, sah ihm Jossip nach. Er stand mit seiner Herde am Fuße des großen Felsens über dem Dorf, gestützt auf seinen Stock. Als er die Hand Ralfs über das Haar Rosas streichen sah, lief ein Zittern über sein Gesicht.

Und er wandte sich erst ab, als Ralf im Walde verschwunden war und die Eltern Rosas suchte.

Am dritten Tag kam ein Materialwagen den Weg ins Dorf hinabgerasselt. Einer der Bauern, die Ralf nach Zabari geführt hatten, saß vorne auf dem Kühler und lenkte das Fahrzeug. An einem Kran, auf der Plattform des Wagens, hing das kleine Auto Meerholdts. Vor dem Hause Fedors hielten sie. Der Fahrer und ein Monteur sprangen heraus und kamen Meerholdt entgegen.

»Ein Saunest, Herr Ingenieur!« rief der Monteur und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Die Fahrt über den Paßpfad - mit unserer Spurweite - Kinder, habe ich gesagt, wenn wir hier abschmieren, holt uns kein Kran mehr herauf, und wer uns unten aufsammelt, muß erst Medizin studieren, um zu entdecken, ob wir überhaupt Menschen sind!«

Der Fahrer nickte und drückte Meerholdts Hand. »Wir haben uns gleich gedacht, daß irgend etwas schiefgegangen ist, als von Ihnen zwei Tage lang nichts zu hören war. Da sind wir einfach losgefahren und trafen vorige Nacht den Dreckspatz da.« Er zeigte auf den Bauern, der den Fahrer mit finsteren Blicken ansah. »Euer Herr ist bei uns, sagte er. Sein Wagen ist gebrochen.« Er knöpfte sich die Jacke auf. »Gebrochen, dachte ich. Wenn's bloß keine Achse ist -die haben wir nicht da. Die muß erst aus Titograd besorgt werden. Und was ist's? Die Achse!«

Meerholdt lachte und klopfte den beiden auf die Schulter. »Fort kommen wir schon! Wir können den Wagen hinten am Kran lassen und fahren so zurück.«

»Wieder über den Pfad?« Der Monteur sah Meerholdt schief an.

»Ich glaube nicht, daß es einen anderen Weg gibt. Morgen in aller Frühe ist Abmarsch, Jungs.«

»In Ordnung, Herr Ingenieur.«

Während die beiden Fahrer bei zwei anderen Bauern schliefen, saß

Meerholdt am Abend mit Rosa an der Feuerstelle. Sie hatten gegessen . Hammelbraten und Klöße aus weißem Mehl, ein Abschiedsessen, das Marina gekocht hatte und das es nur an hohen Feiertagen in Zabari gab. Dazu hatten sie einen Wein getrunken, den Fedor aus Hagebutten herstellte . er schmeckte herb, aber sein Alkohol ging ins Blut und ließ die Männer der schwarzen Berge für eine Nacht trunken werden und selig wie beschenkte Kinder.

Nun saßen sie am Feuer. Rosa hielt einen Becher mit Wein in der Hand. Ralf hatte einen eisernen Stab und schürte die Glut. Die aufquellenden Flammen waren das einzige Licht, das den großen Raum flackernd erhellte. Öl ist knapp, Herr, hatte Fedor gesagt. Und selbst ein Abschied ist kein so hohes Fest, daß man die blakende Lampe mit Öl füllen könnte und der Raum in das Dämmerlicht der bläulich brennenden Flamme gehüllt würde.

Der Schein des Feuers glitt über das schwarze Haar Rosas und über das schmale Gesicht mit den großen Augen. Sie saß etwas nach vorn gebeugt, und aus dem Kleid sah man den Ansatz ihrer Brust, überzuckt von den Flammen des Herdes. Ihre langen, schmalen Finger glitten an dem hölzernen Becher auf und ab, als streichle sie ihn, bevor sie ihn zu Ralf hinüberreichte.

Wieder spürte er das Klopfen des Blutes in seinen Schläfen. Er hatte es in den vergangenen drei Tagen vermieden, länger als notwendig mit Rosa zusammen zu sein. Am Tage streifte er in den Felsen und durch die Wälder herum, untersuchte die Herkunft des vielen Wassers gerade in diesem Teil des Gebirges, maß und entnahm Bodenproben, spürte den Quellen nach und arbeitete eigentlich so, wie er es sich vorgenommen hatte, als er vor einigen Tagen mit seinem kleinen Wagen von Foca abfuhr und sich in den Gedanken verbissen hatte, diesen weitgehendst unbekannten Teil der montenegrinischen Berge zu durchstreifen.

Er war in diesen Tagen auf rätselhafte Dinge gestoßen. Einmal kam eine kleine Quelle aus einem Felsen und vereinigte sich mit einem Bach, der plötzlich aus einer Erdspalte hervorbrach, nicht quellartig, sondern in voller Breite, als sei er der Ausfluß eines unterirdischen

Wasserbeckens. An einer anderen Stelle, seitlich des Waldes, entdeckte er ein fast kreisrundes Tal, dessen Ausgang man nur mit einer etwa 25 Meter hohen Mauer zu schließen brauchte, und ein natürliches Staubecken konnte geschaffen werden, dessen Wasserdruck an der Sohle für eine Turbinenanlage großen Stiles ausreichte.

Am letzten Tage hatte Ralf Meerholdt dieses Tal genau vermessen, in seine Karte eingezeichnet und von allen Seiten fotografiert. Nicht allein die Anwesenheit Rosas in Zabari begeisterte ihn, sondern der Zufall, ein von der Natur geschaffenes natürliches Staubecken entdeckt zu haben, das das Gesicht der ganzen Landschaft um Zabari herum verändern konnte, fesselte ihn und ließ seine Gedanken von den schwarzen Locken Rosas und ihren großen, dunklen Augen abschweifen. Nur wenn die Abende kamen, die langen Nächte inmitten der himmelhoch aufstrebenden Felsen, wenn er am Feuer saß und die Suppe mit Fedor und Marina aß, während Rosa sie bediente, stahl sich Angst in sein Herz vor den wenigen Stunden, in denen er mit Rosa allein in dem großen Raum der Hütte sein würde.

Fedor und Marina gingen früh in ihre Kammer und legten sich auf ihre Felle. Sie ließen Rosa, die an einem Teppich knüpfte, mit Meerholdt allein, denn ein Gast achtet die Gastfreundschaft und das Haus... sie kannten es nicht anders seit Jahrhunderten und vertrauten auf das alte Sittengesetz ihrer Ahnen. Ralf ahnte es - und er zwang sich, in diesen Stunden Rosa nicht mehr anzusehen und nicht mehr Worte mit ihr zu wechseln, als es notwendig war. Nur, wenn er plötzlich aufblickte, wenn er sich umdrehte, wenn er nach etwas griff und hinüber zu Rosa sah, bemerkte er ihren Blick auf sich ruhen, groß, sehnsuchtsvoll, gemischt mit der Bewunderung, die ihre naturhafte Seele für alles empfand, was fremd war und den Hauch der großen unbekannten, erträumten Welt jenseits der Berge mit sich trug. Dann stand er meistens auf, ging in seine Kammer und ließ sich auf sein weiches Graslager fallen. In der Dunkelheit, die ihn umgab, besänftigten sich seine Gefühle.

Neunzehn Jahre ist sie alt, dachte er einmal. Ich bin fast doppelt so alt. Und sie ist nur ein armes, dummes Bauernmädchen, das weder richtig schreiben noch lesen kann. Aber woher soll sie es auch können? Gibt es hier Schulen? Wer sollte sie ein wenig Bildung lehren? Der Pfarrer? Die nächste Kirche war 30 km weit entfernt in Zabljak am Fuße des Durmitor. Und war sie überhaupt eine Christin? Konnte sie nicht eine Mohammedanerin sein? Aber weder sie noch die anderen Frauen trugen einen Schleier. War sie eine Kop-tin?

Er wälzte sich unruhig auf seinen Lammfellen hin und her und versuchte, seine Gedanken von Rosa auf den Staudamm zu lenken, der unterhalb Zabaris entstehen sollte. Wieviel Kubikmeter Wasser würde das Staubecken fassen? Er rechnete im Dunkeln ... 35 Millionen ... 35. Und ich bin 35 Jahre alt ... und Rosa 19. Das ist ein Unterschied von 16 Jahren. Ein großer Unterschied.