Bonelli biß in die Kopfkissen und verfluchte den Einfall, Katja aus Sarajewo wieder nach Zabari gebracht zu haben. Dann fiel ihm der Chefarzt ein, der Stationsarzt, der Barbier Kennif, und er setzte sich seufzend ins Bett und kraulte sich den Kopf.
»Wen Gott strafen will, dem gibt er eine schöne Frau«, sagte er. Dann nahm er einen Eimer Wasser und schüttete ihn über den singenden Mario ... kurz vor dem hohen C, das dadurch kläglich mißlang. »Diabolo!« schrie er aus dem Fenster. »Das nächstemal schieße ich!«
Er riß Katja zurück und schloß das Fenster mit einem Knall. »Im Sommer heiraten wir!« sagte er energisch. »Und dann kaufe ich mir ein Maschinengewehr und schieße auf jeden, der dich nur ansieht!«
Katja Dobor lächelte still.
»Er hat eine so schöne Stimme«, sagte sie.
»Wer?«
»Mario.«
Wie ein Irrer zertrümmerte Bonelli zwei Stühle, ehe er stöhnend ins Bett sank.
Wie sagten doch die Chinesen: Eine kleine hübsche Eselin ist teurer als ein starkes häßliches Kamel.
Kapitel 5
Aus Belgrad war eine kleine Studienkommission nach Zabari gekommen. Es waren drei Herren vom Staatlichen Geologischen Institut. Sie hatten die Aufgabe festzustellen, ob wirklich in dem großen Felsen über dem Dorf ein See eingeschlossen sei.
Hauptmann Vrana hatte neben dem Austritt des Wassers eine Gruppe Soldaten stationiert. In Zelten wohnten sie am Waldrand und bewachten Tag und Nacht die Umgebung des geheimnisvollen Baches. Niemand durfte sich dem Felsen nähern - in seiner rigorosen Art hatte Vrana befohlen, auf jeden zu schießen, der sich in der Umgebung der >Quelle< - wie er den Wasseraustritt nannte - bewegte. Nur Jossip machte eine Ausnahme ... er mußte seine Herde in den Bergen hüten und konnte ungehindert in seinem Gebiet umherstreichen.
»Jossip ist ein guter Trottel«, sagte Vrana zu seinen Unteroffizieren. »Er kann jederzeit passieren. Aber bei jedem anderen dreimal Halt rufen und dann sofort schießen. Befehl aus Belgrad!«
So sah Jossip aus der Nähe, wie die drei Geologen aus Belgrad Gesteinsproben entnahmen, wie sie den Berg vermaßen und in den Felsen herumkletterten, um irgendwo einen Eingang zu dem unterirdischen See zu finden.
Sie suchten vergebens, denn Jossip hatte die Felsspalte, die in den Berg führte, mit dicken Steinen geschlossen. Sie sah genau so zerklüftet aus wie alle anderen Felspartien, und keiner ahnte, daß hinter ihr sich ein gewaltiges Reich der Natur öffnete, das bisher nur eines Menschen Fuß betreten hatte. Ein Mensch, der sein Geheimnis verteidigte, um schreckliche Rache an den Menschen zu nehmen.
Daß Rosa - ohne es zu wissen - den See, seinen See, an Meer-holdt verraten hatte, erschütterte Jossip mehr als alles andere. Die Geologen konnte er irreführen, auch Meerholdt suchte vergebens einen Zugang. Rosa konnte er nicht betrügen. Sie war ein Kind der Berge, sie würde die Spalte finden und mit ihr das letzte, schreck-
liche Mittel seiner Rache an Meerholdt.
Jossip wußte, daß ihm nur wenig Zeit blieb, sein Dorfzu vernichten. Schon hatte man aus Belgrad Spezialbohrgeräte angefordert . große Lastwagen brachten stählerne Gerüste, die man am Fuße des Felsens aufbaute, Ölbohrtürmen gleich. Eine starke elektrische Leitung und ein dickes Rohr wurden vom Tal aus den Hang hinaufgelegt, ein Überlaufbecken aus Beton wurde gemauert, eine Baracke entstand am Waldrand.
Die Technik kam in sein Reich!
Jossip stand bei den Arbeitern, als sich die ersten Bohrer in das Gestein fraßen. Knirschend, durch fließendes Wasser gekühlt, drangen die armdicken Stahlstangen in das Innere des Berges vor.
Jossip lächelte. Sie bohrten an der falschen Stelle. Der See lag seitlicher, mehr zum Steilhang hin . hier trennte ihn nur eine dünne Wand. Wenn man den Steilhang aufsprengte, würde der See mit einem einzigen Schrei ins Tal auf Zabari stürzen ... hier, wo sie bohrten, fraß sich das Metall tief in den Felsen hinein, unter dem See hindurch. Hier war nur Stein, jahrmillionenalter Stein.
»Geh weg, du Affe!« schrie einer der Arbeiter. Er hockte auf dem Bohrturm, schwitzend und mit Fett beschmiert, und setzte mit drei anderen Arbeitern die Bohrverlängerungen an.
»Wieviel Meter?« fragte Meerholdt. Er hatte eine Zeichnung in der Hand, die nach den Vermessungen der Geologen angefertigt war.
»Sechzehn Meter.« Der Geologe zuckte mit den Schultern. »Noch immer Gestein. Ich rechne mit mindestens vierzig Meter Wanddicke.«
Jossip nahm seinen Lammfellmantel und ging den Bergpfad hinauf, vorbei an den Soldaten und Hauptmann Vrana, der in der Sonne lag und sich bräunen ließ.
»Was sucht ihr hier?« fragte er. Die Soldaten lachten.
»Einen dicken Stock, um dir den Arsch zu verhauen!«
Selbst Hauptmann Vrana lachte, als Jossip beleidigt weiterging.
Ich habe wenig Zeit, dachte Jossip bei jedem Schritt. Morgen bohren sie woanders . dann um den Berg herum . einmal werden sie an den Steilhang kommen und den See entdecken. Und Rosa wird ihnen helfen ... sie wird die Stelle finden, die in den Berg führt, sie wird sie wittern wie ein Wild, das sich die Höhlen sucht, um sich in ihnen vor der Kälte der Nacht zu verkriechen. Ich habe wirklich wenig Zeit.
An diesem Abend saß Jossip im Garten der Suhajas unter einem Strauch und wartete auf Rosa.
Er kaute an einem Stück Maisfladen und dachte an Elena Osik. Sie lebte seit einigen Tagen völlig allein in der verborgenen Hütte ... er hatte nie die Zeit gefunden, nach ihr zu sehen. Seitdem sie am Felsen bohrten, war es auch zu gefährlich geworden, denn wie leicht konnte ihn einer der Soldaten beobachten und den Weg zu dem versteckten Plateau finden.
Elena hatte genug zu essen. Auch Kleider hatte ihr Jossip besorgt, ihre eigenen Kleider. Er war in einer Nacht in die Baracke eingebrochen und hatte den Koffer geöffnet, der noch immer in der Ecke ihres Zimmers stand. Aus ihm nahm er alles mit, was nach seiner Ansicht für Elena wichtig war. Dann verschloß er den Koffer wieder und wartete tagelang darauf, daß man den Einbruch entdeckte. Aber niemand merkte es, keiner beachtete den Koffer mit den aufgebrochenen und nur notdürftig wieder zugedrückten Schlössern.
»Sie sind dumm, deine Freunde«, sagte er zu Elena, als er ihr die Sachen auf den Tisch warf. »Sie haben dich schon vergessen.«
Elena musterte die Sachen, die Jossip mitgebracht hatte. Zwei Kleider, Unterwäsche, Strümpfe, zwei Paar Schuhe, einen dünnen Sommermantel.
»Wo ist der Hüfthalter?« fragte sie.
»Was?« fragte Jossip erstaunt zurück.
»Womit soll ich meine Strümpfe festhalten?« sagte sie wütend. »Du bist doch ein Idiot!«
»Nimm zwei Nägel und nagele sie fest«, schrie Jossip. »Oder binde sie fest . wir haben Leinenband genug hier.«
Er aß aus einer aufgeschnittenen Büchse Corned-beef mit dem Messer das Fleisch und schnalzte mit der Zunge.
»Es schmeckt besser als Hammelbraten«, stellte er fest. »Aber das ändert nicht, daß ich dich töten werde.«
Elena zog sich um . als sie ihr Kleid wieder übergeworfen hatte, trat sie an den Tisch heran.
»Was soll das alles, Jossip?« sagte sie. »Wenn du mich töten wolltest, hättest du es längst getan. Statt dessen brichst du ein, holst meine Kleider, schleppst einen Sack Lebensmittel in die Berge und spielst hier nur mit dem Mund den wilden Mann. Was hast du vor?«
»Nichts«, antwortete Jossip langsam.
»Du hast eine Gemeinheit vor. Ich fühle es.«
»Dann frag' nicht.«
»Du willst Ralf unschädlich machen.«
»Ich will ihn vernichten!«
»Indem du mich hier versteckst?«
Er schüttelte den Kopf. »Das war falsch. Ich gebe es zu. Ich hatte einen anderen Plan ... aber er hat ihn mir zerstört. Er war stärker als ich! Du könntest jetzt frei sein, wenn du nicht wüßtest, wer ich bin! Ich habe jetzt eine stärkere Waffe gegen ihn. Eine Waffe, die mir Gott selbst gegeben hat!«