Выбрать главу

Meerholdt drückte sich an den Stamm und sah den beiden entgegen. Das Mondlicht brach jetzt durch den Wald, es versilberte das Gras und tauchte die beiden Gestalten in eine fahle Helle.

Lange Haare ... das war das erste, was Meerholdt sah. Er wischte sich über die Augen, als könne es eine Vision sein, eine überhitzte Phantasie. Aber das Bild blieb: Rosa stieg in der Nacht den Bergwald hinauf, an der Seite eines Mannes!

Das Herz Meerholdts schlug wild. Er spürte plötzlich eine Übelkeit und ein Würgen im Hals. Dann sah er den Mann - sein Gesicht lag im Mondschein. Jossip! Der Schäfer Jossip. Was wollte Jos-sip mit Rosa in den Felsen?

Daß es Jossip war und kein anderer, beruhigte Meerholdt ein wenig. Vielleicht suchten sie ein Schaf, das Rosa entlaufen war? Es gab keinen anderen in Zabari, der besser die Tücken der Schluchten kannte als Jossip.

Auf der Lichtung blieb Jossip stehen ... zwanzig Meter von Meer-holdts Versteck entfernt. Er setzte sich und breitete seinen Mantel auf dem Boden aus. Er sprach mit Rosa. Meerholdt hörte den Klang seiner dunklen Stimme, aber er konnte die Worte nicht verstehen. Er sah, wie sich auch Rosa setzte und die Arme um die Knie schlang. Ihre langen Haare berührten jetzt fast die Erde. Ein Bild fiel ihm ein, das er als Kind in seinem Märchenbuch immer betrachtet hatte, weil es so voll Schönheit und Sanftheit war . die Genoveva im Wald. Sie besaß lange, bis auf den Boden reichende blonde Haare . das hatte ihn damals als Kind begeistert, es war für ihn der Inbegriff des Schönen geworden. Und jetzt, dreißig Jahre später, saß dieses Wunderbild vor ihm, nun waren die Haare schwarz, und der Wald war dunkel und in seiner Schweigsamkeit feindlich.

Ein Schrei riß Meerholdt aus seinen Erinnerungen. Er sah, wie sich Jossip über Rosa warf, wie er sie auf den Boden preßte und küßte. Er sah sie ringen. Jossips Hand riß das Kleid Rosas über der Brust auf, wie ein Tier warf er sich immer wieder auf sie.

In Meerholdt brach ein Vulkan auf. Er stürzte über die Lichtung, er flog fast auf die Ringenden zu . als er über eine hervorstehende Wurzel stolperte, schnellte er sich im Fallen noch vor und prallte auf Jossip, der sich herumdrehte. Er umklammerte mit vorzuk-kenden Händen seinen Hals, das Gewicht seines Körpers warf sie ins Gras, seitlich von Rosa, die sich mit einem lauten Schrei zur Seite wälzte.

»Du Hund!« keuchte Meerholdt. »Du verfluchter, hinterlistiger Hund!«

Er hob seine Faust und schlug in das braune Gesicht . einmal . zweimal ... dann trat ihn Jossip in den Bauch und warf ihn ab.

Fast gleichzeitig standen sie wieder ... nach vorn geduckt und bereit zum Sprung. Aus Jossips Nase und Mund lief Blut . er leckte es mit der Zunge ab, und der Geschmack seines Blutes macht ihn irr.

Meerholdt spreizte die Finger. »Du hast also Elena getötet?!« sagte er heiser. »Du hast den Stein auf mich geworfen!«

»Ja!« Jossip zitterte vor Wut. »Und ich werde dich jetzt töten! Wir sind allein ... und wenn du um Hilfe schreist - die Soldaten kommen zu spät!«

Er griff in den Rock und hatte plötzlich ein langes Schurmesser in der Hand, haarscharf und leicht gebogen. Mit ihm schnitt er die Wolle seiner Schafe ab und schabte die abgezogenen Felle sauber, ehe sie gegerbt wurden.

Rosa schrie auf und warf sich zwischen Meerholdt und Jossip, aber ein Fußtritt Jossips schleuderte sie zur Seite auf den Boden. Wimmernd blieb sie liegen und bedeckte die Augen mit den Händen.

»Du ekelhaftes Schwein!« sagte Meerholdt keuchend. Er wußte, daß Jossip ihm das Messer in den Rücken stoßen würde, sekundenschnell, wenn er sich bückte, um Rosa zu helfen.

Er sah Jossip in die Augen. Ein alter Satz seines Judolehrers kam ihm in dieser Stunde höchster Gefahr in den Sinn: Sieh dem Gegner in die Augen. An ihnen kannst du ablesen, was er vor hat und wo er dich angreifen will.

Jossips Augen waren starr, fast leblos. Das Auge eines Bären, gleichbleibend, ausdruckslos. Und plötzlich schnellte Jossip vor, das Messer hoch erhoben, und warf sich auf Meerholdt. Im Niederschleu-dern hielt dieser den Arm mit dem Messer fest, mit der rechten Hand schlug er Jossip flach gegen den Hals, während er mit der linken den Arm mit dem Messer zur Seite riß und mit dem Knie den herumwirbelnden Körper zur Erde warf.

Das Messer flog Jossip aus der Hand, er stöhnte auf und sprang wieder auf die Beine. Meerholdt stand dicht vor ihm, jeder spürte den Atem des anderen auf seinem Gesicht.

»Jetzt sind wir gleich!« sagte Meerholdt. »Wir haben nur unsere Hände.«

Rosa hatte sich aufgerichtet . sie sah das Messer auf der Erde liegen und kroch auf allen vieren zu ihm hin. Mit letzter Kraft warf sie es weit weg in den Wald hinein und sank dann wieder zusammen, sich die Seite haltend, in die Jossip sie getreten hatte.

Sie standen sich gegenüber und beobachteten sich. Sie wußten, daß es jetzt nicht mehr um dieses Mädchen ging ... sie standen für zwei Welten, und es gab kein Zurück mehr, kein Ausweichen, keine Kompromisse. So, wie Völker und Weltanschauungen aufeinanderprallten, wie Religionen sich über Jahrhunderte bekriegten, wie Kontinente sich aufrieben und die Götter der Technik sich gegenseitig vernichteten, wie Atome im All Welten schufen und in den Retorten gezüchtet wurden, Welten zu zerstören, der ewige Kampf der Natur um Dasein und Fortbestehen war in diesem Augenblick -auf kleinstem Raum zusammengeballt - das Gegensätzliche zwischen Meerholdt und Jossip.

Es gab nur einen Überlebenden - sie wußten es! Und sie sahen sich an, mit starren, verschleierten Augen und sammelten die Kraft zum letzten Aufeinanderprall.

»Was hast du mit Elena gemacht?« keuchte Meerholdt.

Über Jossips Gesicht zog ein Grinsen. »Ich habe sie getötet. Langsam, ganz langsam getötet. Aber vorher habe ich sie gehabt wie ein Bär die Bärin ... zweimal - dreimal - eine ganze Nacht ... und sie hat geschrien und um Gnade gefleht, und ich habe sie gequält und nach dem letztenmal getötet. Ganz langsam ... mit dem Messer. Ich hätte sie zerschneiden können ... das schöne, weiße Fleisch.«

»Du Bestie!« Vor Meerholdts Augen flimmerte es, das Entsetzen vor diesem Menschen nahm ihm fast den Atem. »Du Saustück!«

Er sprach deutsch, und Jossip verstand ihn nicht und grinste. Mit diesem Grinsen schnellte er vor und sprang Meerholdt wie ein Panther an. Sein ganzer Körper flog durch die Luft und krachte gegen den Deutschen.

Aber wo er hingriff, war die Faust Meerholdts. Sie hatten sich umklammert und rangen mit keuchenden Lungen. Sie rollten über den Boden den abschüssigen Hang hinab bis vor ein kleines Plateau, hinter dem der Wald zum Felsen hin steil abfiel und in einer kleinen Senke endete.

Jossip war stark, stärker als Meerholdt. Die Kraft der Natur war in ihm, die unverbrauchte Gewalt eines Menschen, der Jahr um Jahr gegen Schnee und Sonne kämpfte und nicht unterlegen war. Der die Berge besiegte und die Schluchten, den Hunger und den Durst. Ein Mann, der einen Stier an den Hörnern zu Boden riß und mit einem Hammerschlag ein Rind tötete.

Aber er war unbeweglicher, steifer, erdschwerer als Meerholdt. Er konnte den Judogriffen nicht ausweichen ... er lief in sie hinein und stöhnte und schrie vor Wut, wenn er wie ein Ball durch die Luft flog und auf den Boden krachte. Doch immer wieder stürmte er heran, den Kopf gesenkt wie ein angreifender Stier, und jeder Schlag, der Meerholdt traf, jede Umklammerung nahm dem Deutschen die Luft und machte ihn unterlegen.