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Der alte Bär tappte durch den Wald.

Sein Umhang wehte im Nachtwind. Er stieg den Hang hinauf. er umging den Felsen, er kletterte durch eine von der Schneeschmelze ausgewaschene Schlucht ... in der Hand blinkte das kurze Beil.

So erblickte ihn Jossip, der zwischen zerklüfteten Felsen lag. Würgende Angst sprang in ihm empor, als er den Alten sah.

Es war, als steige der Tod zu ihm empor. Da flüchtete er in panischer Furcht und rannte durch die Felsen und lief, vor Schmerzen leise wimmernd, tiefer in die unbekannten Schluchten, in denen die Schwärze der Nacht stand wie eine Wand, die nicht zu durchbrechen war.

Fedor folgte ihm. Langsam, tappend, das Beil in der Hand. Einmal blieb er stehen und zündete sich seine Pfeife an. Ganz ruhig, mit fast behutsamen Händen.

Von Grauen gepackt, rannte Jossip weiter in die Felsen.

Nach zwei Stunden löste Meerholdt Katja in der Nachtwache bei Rosa ab.

Er saß auf dem Stuhl neben dem Bett und hatte ihre schlaffe, schmale Hand in die seine genommen. Ihr bleiches Gesicht, umrahmt von dem langen Haar, lag tief in den Kissen. Die Decke war von ihrer Brust geglitten ... er zog sie höher und beugte sich dabei über sie und küßte sie zart auf die zusammengepreßten Lippen.

Ihr Atem war leise, kaum vernehmbar. In langen Abständen kamen die Atemzüge. Auf dem Tischchen neben dem Bett lag die abgebrochene Ampulle der Spritze, die der Arzt ihr gegeben hatte. Ralf nahm das Glasröhrchen und las die Aufschrift. Es war ein ihm unbekanntes Medikament ... ein russisches Herzmittel, wie er an den kyrillischen Buchstaben erkannte, die neben dem englischen Namen in das Glas gebrannt waren.

Die Tür öffnete sich leise. Hauptmann Vrana kam herein. Er ging auf Zehenspitzen und setzte sich neben Meerholdt.

»Nichts«, sagte er. »Gar nichts! Der Kerl ist wie vom Erdboden verschluckt. Aber wir bekommen ihn - der alte Suhaja jagt ihn wie ein Wild.«

»Fedor?« Meerholdt faßte sich an den Kopf. »Schicken Sie sofort ein paar Mann zu seinem Schutz los! Jossip erschlägt ihn mit einem einzigen Fausthieb!«

Vrana lächelte wissend. »Jeden von uns, Herr Meerholdt. Aber nicht den alten Fedor. Kennen Sie die Geschichte von den beiden Elefanten, den Einzelgängern, die sich in der Savanne trafen? Der uralte Riese sah den jungen, und sie stürzten aufeinander. Auch wenn der junge stärker war ... der Ruf des Alten lähmte ihn. Jeder kannte ihn in der Savanne, jeder fürchtete ihn. Und nun stand er da und griff an. Da flüchtete der junge Riese und kam nie wieder in die Nähe des greisen Herrschers.«

Meerholdt winkte ab. »Das sind Geschichten. Jagdgeschichten, die keiner beweisen kann. Ihr Vergleich ist treffend ... aber Jossip fürchtet niemanden ... am wenigsten den alten Fedor.«

»Warten wir es ab!« Vrana sah auf die schlafende Rosa und erhob sich. »Es ist besser, Fedor erschlägt ihn, als wenn ich Jossip in die Hände bekomme. Ich würde ihn aufhängen, an den nächsten Baum! Aber vorher würde er spüren müssen, was es heißt, Schmerzen zu erleiden.«

Meerholdt sah Vrana groß an. »Ihr seid grausam, ihr Slawen«, sagte er leise. Vrana hob entschuldigend die Schultern. »Der Mensch ist es, Herr Meerholdt. Der Mensch! Nur überdecken die einen es mit Bildung oder auch nur Zivilisation, die anderen leben nach dem Naturgesetz des >Auge um Auge, Zahn um Zahn<. Ich wage nicht, zu kritisieren und zu sagen, welche Methode die bessere ist - der höfliche Mord oder der einfache! Die gesetzlich verankerte Rache am Täter mit Gaskammern, elektrischem Stuhl, Fallbeil und Henken - oder die vogelfreie Gerechtigkeit, in der der Mensch die Außenseiter seines Geschlechtes ausmerzt wie ein Tierrudel seine Abtrünnigen. Im Grunde sind sie gleich, die Methoden der Strafe -sie dienen dem Frieden auf der Welt!«

Meerholdt sah auf Rosa. Sie hatte sich bewegt, aber es war nur eine Reflexbewegung. Sie erwachte nicht.

»Sie müssen es wissen, Vrana«, sagte er. »Ich werde es nie lernen, in eurer Mentalität zu denken.«

Leise verließ Hauptmann Vrana wieder das Zimmer und schloß hinter sich die Tür. Auf dem Flur traf er Bonelli, der Katja nicht allein ließ.

»Was macht sie?« fragte er leise.

»Sie schläft!«

Bonelli wischte sich über die Stirn. »Ich werde den Ingenieur ablösen.«

»Tun Sie das nicht, Pietro.« Vrana grinste breit. »Wenn Rosa aufwacht und sieht als erstes Ihr blaues Auge, bekommt sie einen Herzschlag.«

Beleidigt wandte sich Bonelli ab und ging in das Zimmer Katjas.

Am Morgen kam Fedor Suhaja nach Zabari zurück.

Er hängte seinen Umhang an den Nagel, warf das Beil in die Ecke neben das Holz, hockte sich an den Herd und setzte seine Arbeit, das Tabakschneiden, fort. Marina schlich um ihn herum und kochte erst eine Suppe und einen Kräutertee, ehe sie fragte.

»Ist er tot?«

»Nein.«

»Du hast ihn nicht gefunden?«

»Nein!«

Marina seufzte. »Dann geht die Angst weiter. Immer diese Angst. Ich werde nicht mehr schlafen können.«

Fedor legte das Messer hin, er stierte vor sich in das Feuer auf dem Herd.

»Ich werde diese Nacht wieder hinausgehen ... jede Nacht, bis ich ihn finde! Am Tage verkriecht er sich, aber in der Nacht muß er hinaus. Wie der Bär ans Wasser, so wird er im Dunkeln sein Essen suchen. Dabei finde ich ihn ... ich werde nicht müde werden, Ma-rinja.«

Hauptmann Vrana hatte Fedor Suhaja zurückkommen sehen. An seiner Haltung las er, daß auch er vergeblich gesucht hatte. Er hielt eine Besprechung mit seinen Unteroffizieren ab und erklärte noch einmal die Karte der Umgebung, die man damals bei der Suche nach Elena Osik durch Hubschrauber angefertigt hatte.

»Irgendwo muß das Schwein liegen«, sagte er. »Er ist verwundet!

Jemand, der den Steilhang hinabstürzt, kann nicht mehr kilometerweit laufen!! Er muß also hier in der nächsten Umgebung sein! Er hat einen Schlupfwinkel, den wir noch nicht kennen. Solange Jossip lebt, wird er eine ständige Gefahr für uns alle sein!«

»Es gibt kaum noch einen Stein, den wir nicht untersucht haben«, meinte einer der Unteroffiziere.

»Dann wart ihr Idioten und habt geschlafen!« Vrana stampfte wütend auf. »Vor unseren Augen hat er Elena umgebracht, und später haben wir ihn angestellt, damit er uns suchen hilft!«

Wenn Hauptmann Vrana an diese Tage dachte, wurde ihm immer schlecht. Das Spiel, das Jossip damals mit ihm getrieben hatte, die Lächerlichkeit, der er dann ausgesetzt war, die Blindheit, die damals alle erfaßte und gerade dem vertrauen ließ, den sie suchten, erzeugte in ihm jenen geheimnisvollen Willen zur Grausamkeit, den Slawen und Asiaten gemeinsam haben.

»Er ist in unserer Nähe!« brüllte er. »Ich spüre es... es ist, als stände er hinter mir, und ich fühlte seinen Blick! Ist dieser Schäfer denn klüger und stärker als hundert Soldaten des Marschalls?! Ich lasse euch in ein Straflager versetzen, wenn ihr Jossip nicht findet!«

Die Unteroffiziere sahen zu Boden. Straflager ... es gibt bei den östlichen Völkern kein Wort, das grausamer ist als Straflager. Baracken in einem Steinbruch ... irgendwo an der dalmatinischen Küste, abgelegen von den Plätzen, an denen sich die Reichen der Welt sonnen und die weißen Segel über das tintenblaue Wasser schweben. Ein Steinbruch unter praller Sonne. Arbeiter mit nacktem Oberkörper, mit Spitzhacke und Schaufeln. Vier Mann schieben eine Lore . der Steinstaub hüllt sie ein. Auf einem Platz stehen hundert Mann und zerstückeln den Stein mit schweren Hämmern. Krach! geht es. Krach! Krach! Mit hundert Hämmern immer nur krach! Zehntausendmal am Tag . hunderttausendmal in der Woche . von hundert Hämmern - krach! Und am Abend gibt es eine dünne Suppe und Maisbrot. Gelbes Brot, hart wie der Stein, den man zerklopft. Man muß es in die Suppe tunken, um es essen zu können. Und dann wird es weich, schwammig, klebrig wie Leim und füllt den

Mund aus mit einer ekligen gelben Masse.

Straflager.

Die Unteroffiziere grüßten stramm, als Hauptmann Vrana wegging. Sie sahen sich gegenseitig an und riefen dann ihre Gruppen zusammen.