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Er erhob sich von seinem Lager und trat an das kleine Fenster. Vor ihm ragte die steile Wand des Felsens auf, blauschwarz in der tiefen Nacht. Aus einem Stall des Nebenhauses schrie eine Kuh. In der Ferne bellte ein Hund. Es könnte Tanja sein, dachte Ralf. Tanja, der Hund des finsteren Jossip.

Er wischte sich mit der Hand über die Augen und schüttelte den Kopf. Dumme Gedanken, durchfuhr es ihn. Was kümmert es dich, daß Rosa 16 Jahre jünger ist als du? In ein paar Tagen bist du fort aus Zabari. In Foca aber wartet Elena - richtig, sie saß ja seit Tagen allein an dem großen Schreibtisch ihm gegenüber und schrieb die Briefe. Elena, die verwöhnte Tochter von Stanis Osik, dem Direktor der staatlichen Baubehörde für Montenegro.

Sie war eines Tages zu ihm ins Büro gekommen, auf hochhackigen Schuhen und einem Sommerkleid in pariserischem Schnitt, einen großen, weißen Sonnenhut auf den blonden, sicherlich gefärbten Haaren, und sie hatte sich ihm gegenüber gesetzt, die schlanken Beine übereinandergeschlagen und gesagt:

»Herr Meerholdt - mein Vater hat die altmodische Ansicht, daß Kinder etwas lernen müssen. Deshalb hat er mich hierher in dieses Nest geschickt, um bei Ihnen zu arbeiten. Ich soll ihre Sekretärin spielen! Wie finden Sie das?«

Er hatte damals wenig gesagt. Sie trägt einen Nylonunterrock mit Spitzen, hatte er im stillen festgestellt. Er kostet ein kleines Vermögen in diesem Land. Und sie hat lackierte Fingernägel, nicht grellrot, aber ein deutliches Rose, und es ist Perlmuttlack. Er mußte damals lächeln. Wie gut man sich in der Kosmetik der Frauen auskennt, dachte er.

Es ist merkwürdig, was alles von wenigen verträumten Stunden im Gehirn haften bleibt.

So wurde Elena Osik seine Sekretärin, und sie wurde besser, als er es zuerst geglaubt hatte. Sie arbeitete wirklich, sie tippte die umfangreiche Post, sie kochte ihm sogar seinen Frühstückskaffee, und er bedankte sich bei ihr, indem er mit ihr nach Sarajewo fuhr und amerikanische Filme ansah.

Einmal rief Direktor Osik an: »Na, wie stellt sich meine Elena an, Herr Meerholdt?« Und als er sagte, sie sei besser, als ihr mondänes Aussehen erwarten lasse, lachte Stanis Osik laut und rief: »Um so besser! Dann behalten Sie sie da, Meerholdt!«

Das war Elena, die in Foca auf ihn wartete. Wenn er Rosa mit Elena verglich. Er wischte sich wieder über die Augen. Rosa! Wie konnte er sie vergleichen?

So wurden die Nächte quälend und kurz, und sein Herz schlug schneller bei dem Gedanken, daß Rosa neben ihm schlief, nur getrennt durch eine geflochtene Wand.

An diesem Abend, dem letzten in Zabari, saßen sie nun am Feuer. Fedor und Marina gingen in ihre Kammer. Rosa hielt den Wein gegen die Flammen, denn er muß warm getrunken werden, wenn er würzig schmecken soll.

»Du bist so still«, sagte Meerholdt, als Fedor und Marina gegangen waren.

Sie blickte kurz auf. »Du sagst nichts mehr, Ralf.«

»Ich werde morgen früh fortfahren.« Ralf Meerholdt schluckte. Er hatte das Gefühl, seine Kehle habe sich zugesetzt. »Und ich werde so schnell nicht wiederkommen.«

Rosas Kopf zuckte empor, sie stellte den Wein auf die gemauerte Kante des Herdes.

»Du wirst wiederkommen?« fragte sie. Ihre Stimme war plötzlich dunkel wie ihr Haar und ihre Augen.

»Ja.«

»Das ist schön. So schön.« Sie legte die Hände an die Schläfen. »Dann ist es kein Abschied für immer.«

»Nein, Rosa.«

»Und wann kommst du wieder?«

»Vielleicht in drei oder vier Monaten ... vielleicht früher oder auch später.« Er wollte ihr von den Plänen erzählen, aber er schwieg. Was versteht sie davon, dachte er. Was weiß sie, wie eine Talsperre aussieht, was Turbinen sind, warum man das Wasser staut? »Aber ich komme wieder, das ist sicher«, sagte er laut.

Sie nickte glücklich und reichte ihm den Becher Wein hinüber. »Trink, Ralf. Jetzt ist der Wein gut.«

Als er den Becher aus ihrer Hand nahm, berührte er ihre Finger. Ein Zittern lief durch ihren Körper, sie schloß die Augen und lehnte sich zurück. Über ihr Gesicht zuckten die Flammen des Herdes. Es war, als brenne das schwarze Haar, als stiege sie aus dem Feuer empor. Er starrte sie an, gebannt von der wilden Schönheit, die sie ausstrahlte. Ihre langen Wimpern, durchfuhr es ihn . wie sie Schatten auf ihre Wangen werfen. Und der Mund, dieser rote, volle Mund ... und der Hals, der in diesem rohen Leinenkleid verschwindet, als schäme er sich, so schön zu sein. Ihre Schultern, ihre Brust, der schlanke, biegsame Körper, diese unberührte, wilde und doch gebändigte Natur, dieses Urhafte an ihr - er fühlte, wie er die Hände ineinander verkrampfte und sich zwingen mußte, nicht vorzustürzen und sie an sich zu reißen. Ich bin Gast in diesem Hause, sagte er sich. Alles in diesem Hause steht unter dem Schutz des Gastrechtes! Alles ist unantastbar ... rein ... edel.

Ralf nahm den Becher, setzte ihn an den Mund und stürzte den Wein in einem Zug hinunter. Er durchfuhr ihn mit seiner warmen Schärfe und wühlte sein Inneres auf.

»Rosa.«, sagte er heiser.

»Ralf.?« Sie hielt die Augen geschlossen. Ihre Stimme war nur mehr ein Flüstern, das ihn durch die zuckenden Flammen erreichte wie ein Hauch.

»Der Wein ist gut.« Er stellte den Becher auf den Herdrand und beugte sich vor. Er ergriff ihre Hände und zog sie zu sich heran. Ihr Kopf folgte ihnen ... in dem zuckenden Licht des Feuers waren ihre geschlossenen Augen plötzlich vor ihm, ihr Mund, ihre langen, schwarzen Haare, die wie ein Schleier über ihre Schultern flossen. Er umfaßte ihren Kopf und zog ihn zu sich heran. Und ihre Lippen öffneten sich und waren feucht und zitterten.

»Erzähl mir von deiner Welt.«, sagte sie leise.

»Sie ist weit, Rosa . so weit in diesem Augenblick. Sie ist nicht schöner als deine, glaube das nicht. Sie ist böser, eifersüchtiger, schneller, herzloser und vergessender - es ist eine Welt der Hast und der Jagd nach dem Geld und dem Ruhm und dem billigen Ansehen.«

»Und das Meer.«

»Kennst du das Meer, Rosa?«

Sie schüttelte den Kopf in seiner Hand. »Nein - ich habe von ihm gehört ... vor langen Jahren.«

Sie öffnete die Augen und sah ihn mit einem flackernden Blick an. Angst war in diesen Augen und eine Hingabe, die Ralf wie eine heiße Welle überspülte. »Du hast so schöne blonde Haare«, sagte sie leise. »Ich habe nur einmal solche blonden Haare gesehen - damals, als ich hörte, daß es ein Meer gab. Es war vor vielen Jahren, und fremde Soldaten zogen durch unsere Berge, Soldaten aus deinem Land. Sie kamen vom Meer, von Dubrovnik, so nannten sie die Stadt. Wie gut ich den Namen behalten habe. Einer der Soldaten mit blonden Haaren schenkte mir etwas Braunes, Süßes . es schmeckte so schön, daß ich die Tafel in ganz kleine Stücke brach und jeden Tag nur ein Stückchen aß. Ich war damals ein Kind, und als die Soldaten gingen, wußte ich, daß es auch andere Menschen gab und andere Länder hinter unseren schwarzen Bergen. Und nun bist du da . ein großer Herr aus dieser fernen Welt, und trinkst unseren Wein, sitzt an unserem Feuer und schläfst auf unseren Fellen. Und du hast blonde Haare, ganz blonde Haare.«

Ihre Finger tasteten über seinen Kopf und fuhren durch seine Haare, leicht, zart, wie ein Windhauch. Da ergriff er ihre Hand und preßte sie an seine Lippen, er küßte ihre Finger und beugte sich zu ihr hinüber, umfing ihre Schulter und drückte sie an sich. Sie lag an seiner Brust und zitterte. Wie ein gefangener Vogel in der geschlossenen Hand duckte sie sich zusammen und schmiegte sich an ihn.

»Rosa«, sagte er heiser. »Rosa - was soll daraus werden.«

Er merkte nicht, daß er in diesem Augenblick deutsch sprach, und sie lächelte ihn an und hob ihr Gesicht zu ihm empor. Da küßte er sie, vorsichtig, als könne sie in seinen Armen zerbrechen. Ein Zuk-ken durchjagte ihren Körper, sie warf die Arme um seinen Hals und drängte sich an ihn, sie umklammerte ihn und öffnete die Lippen unter seinem Kuß. Er spürte ihre Zähne, er fühlte den Druck ihrer Brust - das machte ihn wild und hemmungslos und überspülte den letzten Rest seiner inneren Abwehr.