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Stanis Osik stand auf einem Lastwagen und dirigierte den Strom der Flüchtenden.

»Was ist denn los?« schrie Vrana. Osik zuckte mit den Schultern. Die Sirenen verstummten ... das Schreien der Bauern, die ihre Herden antrieben, erfüllte das Tal, durchsetzt von dem Geheul der Motoren und Autos.

Meerholdt hatte unterdessen den Waldrand erreicht. Außer Atem lehnte er sich schweißüberströmt gegen einen Baum und wischte sich über die Augen. Unten im Tal war die Hölle los - Hunderte von Rindern drängten zur Straße hin .die Schafe rannten wirr durcheinander, Bauern brüllten, die schweren Traktoren und Raupenschlepper fuhren rücksichtslos in die Tiere hinein.

Meerholdt sah sich um, ehe er weiterrannte, dem Felsen zu, der dunkel, steil aufgerichtet in den blauen Himmel stieß.

Plötzlich blieb er stehen. Vor Grauen weiteten sich seine Augen.

An der Steilwand des Felsens hing ein Mensch!

Allein, winzig, klebte er auf halber Höhe an der senkrechten Seite, die über Zabari stand.

»Jossip!« schrie Meerholdt grell. »Jossip! Das ist doch Wahnsinn!!!«

Er rannte weiter und stand vor dem Felsen. Nur ein schmaler Pfad führte in schwindelnder Höhe um den Felsen herum, ein Pfad, auf dem zwei Menschen nicht nebeneinander gehen konnten.

Meerholdt kletterte weiter . er riß sich die Hände an den spitzen Steinen blutig, er schürfte seine Knie auf. die Hose zerriß, als er abrutschte und sich an einem vorspringenden Stein festhielt. Dann war er auf dem Pfad und rannte ihn entlang, bis er unter Jossip stand, der langsam herunterkletterte.

Zwischen den Zähnen hielt er die Zündschnüre, während er abstieg . über ihm, in den Felsen gehauen, waren die Sprenglöcher, die er schon in der Nacht geschlagen hatte, bevor er das Dynamit aus dem Lager stahl. Um seine Knie und seine Schulter leuchtete es weiß . die Verbände, die ihm Osik geschickt hatte . die Verbände, die es ihm ermöglichten, diese grausige Tat zu vollbringen.

Meerholdt riß den Revolver empor. Er schoß . er wußte keinen anderen Weg mehr ... er schoß zweimal, dreimal ... das ganze Magazin leer. Aber die Schüsse prallten seitlich von Jossip an dem Felsen ab. Meerholdt zitterte so sehr vom Lauf und der Erregung, daß er nicht ruhig zielen konnte.

Jossip hörte die Schüsse und sah es neben sich im Gestein splittern. Er schaute hinab und sah Meerholdt stehen, den Revolver in der Hand. Ein grausames Lächeln verzog sein Gesicht... er kletterte seitlich weiter, die Zündschnüre durch den Mund abspulend. Mit einem Sprung stand er dann auf dem Pfad, rannte ein Stück zurück und nahm einen dicken Knüppel vom Boden auf. Mit ihm rannte er zurück und stellte sich vor die herabhängende Schnur, bevor Meerholdt sie erreichte. Mit einem Streichholz, das er auch gestohlen hatte, entfachte er die Schnur und sah, wie die kleine, blaue Flamme mit rasender Geschwindigkeit die Schnur entlanglief und den Felsen höher und höher kletterte ... den Sprenglöchern entgegen . dem riesigen Tod des ganzen Landes.

Auch Meerholdt sah die kleine Flamme den Berg hinaufzischen . er schrie noch einmal auf und stürzte vorwärts.

Jossip stand mit dem Rücken an den Felsen gelehnt und ließ den großen Knüppel kreisen ... immer um sich herum wie einen großen Kreis der Vernichtung. Meerholdt stand vor ihm, zerrissen, blutend ... auf die kleine blaue Flamme starrend.

»Jossip! Das ist Irrsinn!« keuchte er. »Reiß die Schnur ab! Du weißt nicht, was du tust!«

»Ich weiß es!« schrie Jossip zurück. »In drei Minuten seid ihr alle ersäufte Ratten!« Er lachte grell und hieb um sich, als sich Meerholdt auf ihn stürzen wollte.

»Was haben dir die tausend Arbeiter getan?« brüllte Meerholdt. »Was haben dir die Bauern getan ... deine Freunde, deine Brüder, das Vieh ... du wirst sie alle vernichten! Reiß die Schnur ab.«

»Die Welt soll untergehen!« Jossips Gesicht war nicht mehr menschlich ... er grinste und hieb um sich. Den Schweiß, der über sein Gesicht und seinen Mund lief, leckte er auf. ein Untier war er in diesem Augenblick seines höchsten Triumphes, ein Körper ohne See-le, ohne Gedanken, ohne Empfinden, ohne Gehör und Gesicht. Er schwankte vor Wonne und schrie dazu mit einer Stimme, die Meer-holdt frieren ließ.

»Du sollst alles bekommen, Jossip.« Meerholdt stand machtlos vor dem Irren und seinem kreisenden Knüppel. »Du sollst die 100.000 Dinare bekommen, die Freiheit, keine Strafe ... du sollst alles haben ... nur lösch die Schnur aus! Du weißt nicht, was du tust.«

»Gib mir Rosa!« schrie Jossip zurück.

Meerholdt schloß die Augen. Vor seinen Lidern flimmerte es. In wenigen Minuten wird der Felsen aufreißen . der eingeschlossene See wird hervorstürzen, er wird das Tal ersäufen mit allem, was in ihm ist . tausend Arbeiter . die Soldaten . die Herden . die Bauern . die Häuser . den Staudamm . das Turbinenhaus . das Lager . die Wagen, das Material, Millionenwerte . alles, alles wird vernichtet sein . wegen Rosa.

Meerholdt ballte die Fäuste . seine Fingernägel rissen die Handflächen auf.

»Ich gebe dir auch Rosa!« schrie er grell. »Nur reiß die Schnur ab.«

Jossip blickte sich um . auf halber Höhe zischte die Flamme empor . noch drei Minuten, und der Felsen riß auseinander. Da sah er über dem Berg eine dichte Rauchwolke aufsteigen . kerzengerade stand der Rauch über dem Plateau, hinter dem seine Hütte verborgen war.

Jossip umklammerte seinen Knüppel. Die Hütte. Elena . sie hat die Hütte in Brand gesteckt . sie ist frei . meine Hütte brennt . die Hütte für mich und Rosa.

»Sterben sollt ihr alle!« schrie er mit sich überschlagender Stimme. Er weinte plötzlich, und weinend, vor Wut weinend, schlug er auf Meerholdt ein und trieb ihn vor sich her, weg von der Schnur, die den Tod bedeutete.

Im Tal sah Hauptmann Vrana den Feuerschein in den Bergen und die dichte Qualmwolke. Er zeigte hinauf und rannte zu seinen Soldaten. »Sieben Mann mit mir!« kommandierte er. »Wenn etwas brennt, dann kann es nur Jossips Hütte sein! Wir haben ihn! Jungs -wir haben ihn!«

Die acht Mann kletterten den Hang hinauf.

Noch immer wälzte sich der Strom der Flüchtenden aus Zabari hinaus. Die letzten Herden wurden weggetrieben, die Arbeiter am Wall räumten die Maschinen weg. Stanis Osik stand auf einem Seitenhügel und sah hinüber zu dem Rauch, der aus den Felsen stieg.

Elena, dachte er. Elenanja. Wenn sie dich retten, stifte ich eine Million für eine neue Kirche in Zagreb!

Ralf Meerholdt hatte sich gebückt ... mit Steinen bewarf er Jossip, der noch immer den großen Knüppel kreisen ließ.

In diesem Augenblick berührte jemand Ralfs Arm. Er fuhr herum und ließ die Steine, die er eben aufgenommen hatte, fallen. Rosa stand hinter ihm, bleich und schmal, mit großen, brennenden Augen.

»Rette dich!« schrie er grell. »Mein Gott ... rette dich! Gleich ist es vorbei!«

Sie ging an Meerholdt vorüber, auf Jossip zu. Wie wild schlug Jossip um sich, als er sie kommen sah.

»Fort, du Hure!« kreischte er. »Fort! Fort!«

»Ich will bei dir bleiben, Jossip.« Rosa hob beide Hände, flehend, mit einer kindlichen, fast betenden Gebärde. »Ich will deine Frau werden ... nur tu es nicht.«

Mit einem Aufschrei stürzte Jossip auf die Schnur. Er erreichte sie ... er wollte sie herunterreißen ... da sprang die blaue Flamme in das Bohrloch und verschwand. Einen Augenblick nur ergriff entsetzte Erstarrung die drei Menschen ... dann krachte es in dem Felsen ... die Wand riß auf. ein unheimlicher, dicker Wasserstrahl schoß aus ihr hervor ... Steine, Felsbrocken, Kies schleuderte er vor sich her wie ein Katapult ... der Fels brach auseinander ... das befreite Wasser zerriß die Wand ... mit einem unbeschreiblichen Krach zerbarst der Berg und stürzte hinab ins Tal. Und mit ihm der See . das Wasser, die Sintflut... die Vernichtung allen Lebens. Der Himmel wurde dunkel ... die Luft war nicht mehr da ... nur ein Brausen, Krachen, Gurgeln und Aufschreien der Natur, ein Zusammenbrechen von Bäumen und Häusern, eine unerschöpfliche Lawine aus Wasser und Erde und Steinen. Es gab keine Sonne mehr . es war nur ein Donnern auf der Welt, ein Donnern des Jüngsten Gerichtes.