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Bettdecke wie eine ausgebreitete Stola. Sie atmete ruhig.

Meerholdt betrachtete sie. Er spürte sein Herz zucken, ein Strom von Liebe und Glück durchrann ihn heiß. Rosa, dachte er. Ich will dem Schicksal alles verzeihen für die eine Stunde, in der ich dich sah.

Leise legte er den Blumenstrauß, den er mitgebracht hatte, auf ihr Bett und verließ auf Zehenspitzen wieder das Zimmer. Vorsichtig, damit sie nicht knarrte, zog er hinter sich die Tür zu.

Der Chefarzt faßte ihn unter ... sie gingen die langen Gänge bis zum Ausgang wieder zurück. Vorbei an den knicksenden Schwestern und den jungen, strammstehenden Ärzten.

»In 14 Tagen«, sagte der alte Serbe, als Meerholdt wieder im Wagen neben dem Arzt aus Zabari saß. »Und suchen Sie einen schönen Ort aus, wohin Sie sie bringen können. Am besten ans Meer.«

Sie fuhren ab. Lange blickte Meerholdt durch das Rückfenster des Wagens auf das weiße, große Haus, ehe es hinter anderen Häusern und einer Moschee verschwand.

»Ein fabelhafter Mensch, dieser Chefarzt«, sagte er zu dem Arzt, der den Wagen lenkte.

»Das ist er!« Der Arzt sah starr geradeaus. »Hat er Ihnen nichts erzählt?«

»Nein? Was?« Meerholdt sah erstaunt herum.

»Seinen einzigen Sohn hat eine deutsche Kompanie bei Mostar erschossen. Sie fanden bei ihm versteckt eine Maschinenpistole. Seine Frau starb zehn Tage später ... sie nahm sich vor Gram das Leben. Sie erhängte sich im Keller des Hauses, wo man die Waffe gefunden hatte.«

»Mein Gott!« Meerholdt sah auf seine Hände. »Und er weiß, daß ich Deutscher bin.«

»Er ist ein fabelhafter Kerl. Sie sagten es schon. Er erkennt die Erschießung seines Sohnes an. Es war bei Todesstrafe verboten, Waffen zu verstecken. Wir alle wußten es, und wir alle hatten Waffen! Den Jungen erwischte es ... es war Schicksal! So sieht er es, und er trägt es nach außen mit Fassung.«

Sie sprachen kein Wort mehr, bis sie nach Zabari kamen.

Pietro Bonelli hatte den größten Kampf seines Lebens gewonnen ... den Kampf gegen sich selbst. Nachdem die Katastrophe ihm die Hälfte seiner Kantine vernichtet hatte und das, was er und Katja retten konnten, gerade noch ausreichte, die Flüchtenden zu versorgen und eine Art >Nothilfe< einzurichten, beschloß er, Jugoslawien zu verlassen und seinem Plane näher zu treten, zuerst in Sorrent und später auf Capri eine Cafeteria aufzumachen. Er hatte per Post schon verschiedene Zusagen von Grundstücksbesitzern und einen Anwalt damit betraut, sich die Objekte einmal anzusehen, als Katja Dobor ihm einen dicken Strich durch alle Pläne machte.

»Ich bleibe hier!« sagte sie, als Bonelli ihr den Fortschritt seiner Bemühungen erzählte.

Pietro raufte sich die Haare. »Was willst du? Hier bleiben? Hier?! Maria mia ... ich werde verrückt! In drei Monaten beginne ich in Sorrent zu bauen!«

»Du ja - aber ich nicht!!« Katja sah hinüber zu dem überfluteten Zabari. Der Fluß, der aus dem aufgerissenen Felsen quoll, war bereits gebändigt ... eine provisorische Leitung aus Holz und Blech lenkte das Wasser seitlich ab. Langsam sank dadurch der Spiegel des Sees ... die Dächer der Hütten, soweit sie noch standen, ragten bereits einzeln aus dem Wasser. Als der Wald aus dem Wasser auftauchte, fand man in dem Gewirr des Astwerkes auch Hauptmann Vrana und seine sieben Männer. Sie hatten noch die Waffen in den verkrampften Fäusten. In ihren Augen stand das Entsetzen der Sekunde, in der sie von der riesigen Woge überrollt wurden. »Wir haben alles verloren, Pietro«, sagte Katja leise. »Ich muß bei meinen Eltern bleiben und ihnen helfen, wieder aufzubauen. Sie brauchen mich. Sie sind alt, die Eltern, sie können es nicht mehr. Ich kann nicht mit.«

Bonelli rannte herum, als habe man seinen Hosenboden angezündet. Er schrie, er jammerte, er flehte alle Heiligen an. Katja blieb ungerührt. Schließlich setzte sich Bonelli an den Weg und starrte

trübsinnig auf das überschwemmte Tal.

»Addio, Sorrent und Capri«, sagte er wehmütig. »Ich bin der unglücklichste Mensch der Welt! Jetzt muß ich mein Leben in diesem Saunest verbringen.«

»Du kannst doch fahren, Pietro.«

Bonelli fuhr herum. »Ohne dich - nie!«

Katja streichelte ihm über das krause, schwarze Haar. Ihre Stimme zitterte. »So lieb hast du mich.«

»Leider!« Bonelli stöhnte laut. »Der Himmel vergeb' es mir . ich bin ein Riesenkamel.«

Katja hob die Schultern. »Was ist ein Kamel.?«

»Ein Kamel ist.« Bonelli winkte ab. »Nichts . das ist ein Ausdruck für einen Mann, der glaubt, es gäbe nur eine Frau auf der Welt, und zwar dich!«

Dann küßten sie sich, und Bonelli blieb in Zabari. Er zahlte dem Anwalt seine Gebühren, er verzichtete auf den Kauf der Grundstücke . er fuhr statt dessen nach Sarajewo und kaufte für die neue Kantine Waren ein, Möbel für das zukünftige Haus und vorausschauend drei Kinderbetten in verschiedenen Größen. »Der kluge Mann rechnet mit allem!« sagte er zu Katja, die kopfschüttelnd zusah. »Unter drei Bambinos brauchst du Pietro gar nicht zu kommen!«

Das Wasser verlief sich . an den Talrändern standen riesige Motorpumpen und pumpten das Tal leer. Die ersten Röhren wurden in den Felsmund eingemauert . auf Betonpfeilern schwangen sie sich wie eine riesige, weißglänzende Schlange ins Tal. Auf dem Boden des abgerissenen Waldes entstanden die ersten Planierböden. Fundamente wurden gegraben, Betonmischer donnerten Tag und Nacht. Die zerstörte Brücke wurde an großen Flaschenzügen und mächtigen Stahlkränen emporgezogen und neu befestigt . die eingesunkene Staumauer wuchs wieder empor . durch die Verschalungen rieselte der Beton. Die Stahlgeflechte wurden zurechtgebogen - als das Dorf auftauchte und das Wasser versickerte - sieben Wochen nach dem Untergang - fuhren die ersten Raupenschlepper durch den Schlamm und zogen an Stahlseilen Hunderte von Kühen, Schafen und Schweinen in die Schluchten, bargen die Toten in den Häusern und Ställen und säuberten das Tal, indem sie alles niederwalzten, was noch an Hütten und Ställen stehen geblieben war.

Ralf Meerholdt und Stanis Osik wohnten wieder in einer Baracke nahe der Staumauer. Tag und Nacht gingen die Detailpläne an die Kolonnenführer ... die Techniker - aus Belgrad und Mostar waren noch siebzehn gekommen - zeichneten und planten in drei Schichten. Landmesser kamen aus Titograd und vermaßen das Tal neu . auf den großen Bogen Detailpapier und den riesigen Transparentblättern der Architekten entstand das neue Zabari ... eine Stadt mit Läden, Straßen, einem Kino, einer Kirche, einer kleinen Moschee, einem Krankenhaus, einem Parteihaus, einem Strandbad am Stausee und einem Rathaus, in dem der Bürgermeister wohnen sollte. Aus den Bauern sollten Städter werden ... Händler, Handwerker, Arbeiter. Ihre Wohnungen waren luftig, sonnig, modern. Um die reißenden Schmelzwasser im Frühjahr nicht in die Stadt laufen zu lassen, hatte man ein raffiniertes Grabensystem erfunden, das die Wasser in den Bergen abfing und ableitete.

Eine Stadt auf dem Papier ... ein phantastischer Plan, ein Triumph menschlichen Willens.

Stanis Osik sah Meerholdt zufrieden an. »Marschall Tito hat Ihnen eine Pension ausgesetzt«, sagte er und bot Meerholdt eine Zigarre an. »Monatlich 4.000 Dinare - bis zu Ihrem Lebensende und -verzeihen Sie, aber ich muß es sagen - auch für Ihre Witwe! Ich gratuliere.« Er streckte Meerholdt die Hand hin. »Es gibt für Sie keine Zukunft mehr - Sie werden bis zu Ihrem Tode immer in der Gegenwart leben!«

»Ich danke Ihnen sehr, Herr Osik.« Er drückte die angebotene Hand. »Wie geht es Elena?« fragte er dann zögernd.

»Sie ist noch in Zagreb!« Osik winkte ab. »Zuerst hat sie noch ein wenig getobt ... dann war sie in Sarajewo bei Rosa.«

»Was?!« Meerholdt war entsetzt. »Wer hat sie vorgelassen! Ich hätte das auf jeden Fall verhindert.«

»Es war auch Rosas Wunsch, Meerholdt.« Osik räusperte sich. »Sie haben sich ausgesprochen, die beiden. Es war gut so, glauben Sie es mir. Besser, als wenn Sie wieder durch Rücksichtnahme gegen den einen oder anderen die Lage in der Schwebe gehalten hätten. Elena hat euch alles Glück auf Erden gewünscht und ist von Sarajewo gleich weiter nach Zagreb gefahren. Ich soll Sie grüßen, Meer-holdt, wenn Sie einmal nach ihr fragen sollten. Ich tue es hiermit. Und ich soll Ihnen sagen, daß sie darum keinen Abschied von Ihnen genommen hat, weil sie trotz des Verzichtes nicht anders empfindet als vorher. Es wäre ein schrecklicher Abschied geworden!«