Suhaja sah hinüber zu Rosa. Sie hatte sich nicht wieder gerührt, es war, als sei sie versteinert. Marina lächelte glücklich vor sich hin. Er ist reich, dachte sie einfältig. Und er will Rosa haben. Rosa wird ein schönes Leben führen, schöner, als ich es bei Fedor hatte.
Sie zuckte auf, als sie Rosas Stimme hörte, laut, hell, eine Stimme, die sie bei ihrer Tochter noch nie vernommen hatte.
»Ich gehe nicht mit Jossip!« sagte sie laut. »Ich liebe ihn nicht!«
»Du bist mir versprochen, Rosa«, entgegnete Jossip sanft.
»Ich wurde nicht darum gefragt.«
»Natürlich nicht. Du lagst noch in der Wiege, und ich hütete die Schafe und schnitzte Flöten. Dein Vater Fedor und mein Vater waren Freunde, und sie versprachen uns.«
»Man kann keinen Menschen verkaufen! Es ist ein altes und ein schlechtes Gesetz!« Und plötzlich stieß sie mit dem Fuß auf und schrie: »Und ich will nicht! Nein!«
Fedor war bleich geworden. Er hob die Hände und sah dabei auf die schönen Felle, die vor seinen Füßen lagen. Er dachte an die dreißig Lämmer, die Jossip in den Bergen hielt, gute, fette Lämmer mit dichtem Pelz. Und eine feste, aus dicken Stämmen gefügte Hütte hatte er sich gebaut, einen großen Herd - was wollte sie mehr?! Er wischte mit der Hand herrisch durch die Luft und sagte laut:
»Es ist abgemacht, Rosa! Ein Wort ist ein Wort! Du wirst Jossip heiraten!« Er bückte sich, um die Felle vom Boden zu nehmen. Wenn er sie aufnahm und auf seinen Tisch legte, war dieses Wort besiegelt. Die Annahme des Werbegeschenkes bedeutet ein Versprechen, das fest und heilig ist wie das Wort des Popen.
»Heb' sie nicht auf!« schrie Rosa grell. Sie stürzte vom Herd zu ihrem Vater und riß ihm die Felle aus der Hand. Vor Jossip blieb sie stehen und warf das Bündel vor seine Füße. »Geh!« sagte sie hart. »Ich heirate nie einen Schäfer.«
»Ach!« Jossip trat die Felle zur Seite. »Hat dir der feine Herr aus der Stadt den Kopf verdreht? Der schöne blonde Herr mit seinen weißen Hemden und blanken Schuhen, seinem glatten Gesicht und seinen weichen Händen, die so zart dein Haar streicheln konnten.«
»Schweig!« schrie Rosa. Sie ballte die Fäuste und stand am ganzen Körper bebend vor Jossip. Ihr Gesicht war rot und im wilden Zorn schöner als je.
»Ich habe es gesehen, droben von den Bergen aus!« Jossips Stimme wurde lauter. Haß schwang in ihr, Wut und Scham über die Abweisung seiner Werbung. »Dort droben bin ich gestanden, über dem Wald, und habe gesehen, wie er dich streichelte, wie du dich wie eine streunende Katze an ihn warfst.« Er fuhr herum und sah Fedor an, der bleich und krumm am Tisch stand. »Er hat das Gastrecht verletzt, der feine Herr! Er hat Rosa verführt . keiner in den Bergen wird sie mehr ansehen, wird ihr die Hand geben, wird mit ihr sprechen! Sie hat das Dorf verraten, Fedor! Deine Tochter ist eine Hure.«
Er sprach nicht weiter. Rosa hatte die Felle vom Boden genom-men, die Tür geöffnet und das Bündel hinaus auf die Straße geworfen. Nun kam sie zurück, nicht schnell, sondern langsam, blieb vor Jos-sip stehen, hob die Hand und schlug ihn mitten ins Gesicht. Es war ein klatschender Schlag, den nur der Aufschrei Fedors unterbrach. Mit weit aufgerissenen Augen stand Jossip im Zimmer, seine Wange brannte. Seinen Körper durchzuckte es wie eine Explosion, die alles in ihm zerriß. Er sah nicht mehr den Herd, die Stube, die aufgereihten Tabakblätter, das Fenster, durch das grell die Sonne fiel. Nebel war um ihn, roter, von Feuer erhitzter Nebel. Er steckte die Hände vor, gegen Rosa, seine Finger krallten sich um ihre Schulter - da schlug sie noch einmal zu, wortlos, mit aller Kraft, die in ihren Armen lag.
Schlaff fielen die Hände Jossips zurück.
»Ich werde ihn töten!« sagte er leise. Fedor verstand ihn kaum, so zitterten seine Lippen. »Ich werde ihn töten, wenn er wiederkommt!«
An Marina vorbei, die weinend die Hände rang, ging er aus der Hütte, band seine beiden Schafe von der Bank und trat das Bündel Felle zur Seite in den Staub der Straße. Doch bevor er zurück in die Berge stieg, nahm er das große Messer aus dem Gürtel seiner Hose, beugte sich über die beiden Schafe und stach sie ab. Die blutenden, zuckenden Körper schleifte er vor die Tür des Hauses und legte sie an den Eingang.
Blut! Blut wird in diesem Hause sein, Blut von meinen Händen, sollte dies heißen.
Er nahm das Messer, wischte es an den noch zuckenden Tieren ab und ging dann die Dorfstraße entlang dem Walde zu, der hinaufstieg zu den Felsen, zwischen denen die Weiden Jossips lagen.
Bleich, mit verstörtem Blick schleifte Fedor die toten Körper von der Tür und deckte sie hinter dem Haus mit Stroh und Ästen zu. In der Nacht lud er sie auf eine Karre, fuhr sie in den Wald und vergrub sie unter einem Gebüsch.
Kein Bauer ißt ein Schaf, das man aus Rache schlachtete.
In Foca lief Elena dem Wagen entgegen, als er um die Ecke des Hofes vor das Verwaltungsgebäude der Baufirma bog. Sie achtete nicht auf ihre hochhackigen Schuhe und die Nylonstrümpfe ... sie rannte dem Wagen entgegen durch den Staub und stürzte an die Tür. Als Ralf Meerholdt ausstieg, fiel sie in seine Arme und küßte ihn vor allen Arbeitern, die herumstanden und ihnen zusahen.
»Es ist dir nichts geschehen«, stammelte sie. Sie umfing ihn, legte den Kopf an seine Brust und weinte plötzlich wie ein kleines Kind, erlöst, haltlos, Schutz suchend. »Du bist wieder da . mein Sascha . mein lieber, lieber Sascha.«
Sie gingen umschlungen ins Haus. Sie weinte noch immer, als sie schon längst in Ralfs Zimmer saßen.
Vor dem Verwaltungshaus kletterte der Fahrer aus dem schweren Wagen und schob die Mütze in den Nacken.
»Die Osik und in dem Nest die wilde Katze ... wenn das gut geht«, sagte er zu dem Monteur, der steif von der Plattform klomm und den Staub von seinem Anzug klopfte.
»Soll das unsere ganze Sorge sein.« Er blickte auf den kleinen Wagen Meerholdts, der am Kran des Abschleppers hing. »Mir ist wichtiger, woher ich für das verfluchte Ding die neue Achse bekomme. Ein Mist, daß es gerade die Achse sein muß.«
»Wir werden wohl nach Zagreb fahren müssen.«
Der Monteur nickte. »Überall hin fahre ich - nur nicht wieder in dieses Zabari! Man sollte solche Fuchsbauten verbieten und auflösen. Wem nützen sie denn was?«
Sie gingen steifbeinig von der langen Fahrt hinüber zur Kantine und bestellten einen Slibowitz. »Aber einen doppelten!« schrie der Fahrer. »Und bis zum Rand, sonst bumst es!«
In seinem Zimmer packte Meerholdt seine Mappe aus und legte seine Papiere und Aufzeichnungen auf den breiten Tisch. Er vermied es, nach der ersten überschwenglichen Begrüßung Elena weiter anzusehen oder sie gar zu umarmen und zu küssen. Er ordnete mit einer ihm sonst fremden Gründlichkeit die Zeichnungen und Vermessungsrechnungen und beugte sich dann über die große Generalstabskarte des Gebietes, in dem die neuen Talsperren geplant waren. Sein Finger zeigte auf eine weiße Stelle inmitten der Berge.
»Hier war ich, Elena. Hier muß es sein.« Sie trat hinter ihn, legte den Arm um seinen Hals und beugte sich neben seinem Kopf über die Karte. Ihre blonden Haare kitzelten an seiner Wange. Sie sah seinem Finger nach, der einen kleinen Kreis auf der Karte beschrieb. Plötzlich nahm sie den Finger und küßte ihn.
»Ich liebe dich, Sascha«, flüsterte sie. »Ich habe es nie so gewußt wie in diesen Tagen, wo keiner sagen konnte, wo du warst und ob du noch lebst. Ich habe in den Nächten geschrien, ich habe gebetet, ich habe geweint, ich habe lauter dummes Zeug getan ... ich weiß gar nicht mehr, was ich alles getan habe. Ich war so verzweifelt, Sascha ... weil ich dich so liebe.«
Er legte den Arm um ihre Schulter und beugte sich wieder über die Karte. »Nun bist du wieder glücklich, Elena.«
»Und ich lasse dich nie wieder allein in die Berge!«
Meerholdts Gesicht wurde ernst. »Du wirst es müssen, Elena. Ich baue einen Damm . hier, wo mein Finger liegt! In diesen Felsenschluchten gibt es ein winziges Dorf. Zabari heißt es. Es liegt in einer ungewöhnlich wasserreichen Gegend, von dem keine Karte etwas sagt. Zufällig habe ich es entdeckt, weil mich ein Hirte - Jos-sip heißt er - in dieses Dorf führte. Ein kleines, rundes Tal kann ohne Schwierigkeiten als Staubecken gefüllt werden, wir brauchen nur den Ausgang mit einer 25 Meter hohen Mauer zu verschließen.« Er blickte auf und sah die hellen Augen Elenas nahe vor sich. Er küßte sie, ehe er weitersprach. »Ich habe selten eine so günstige Lage gesehen. Wenn dein Vater und der technische Beirat die Genehmigungen geben, muß ich wieder zurück in diese schwarzen Berge.«