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Elena nickte. In ihrer Kopfbewegung lag eine Unabwendbarkeit. »Ich gehe mit!« sagte sie fest.

»Das ist unmöglich!«

Ralf schob die Karte zur Seite. »Es ist eine Gegend, in der du nicht leben kannst.« »Wenn du es kannst, kann ich es auch!«

»Du wirst auf Gras schlafen müssen. Es gibt nur Hammelfleisch und Milchsuppen. Der Boden ist Stein, die Umgebung nackte, kahle Felsen.«

»Wenn du auf Gras schläfst und Hammelfleisch ißt, kann ich es auch.«

»Du würdest unglücklich werden ... nach drei Tagen schon!«

Elena umarmte ihn stürmisch. »Nicht, wenn du bei mir bist, Sascha«, sagte sie heiß.

»Es ist keine Gegend für Frauen, Elena.« Er versuchte, neue Argumente zu finden, ihr die Trostlosigkeit von Zabari zu schildern, aber sie legte ihre schmale, nach Rosenparfüm duftende Hand auf seinen Mund und küßte ihn auf die Schläfe.

»Leben in Zabari keine Frauen, Sascha? Ist es ein Männerdorf?«

»Nein«, erwiderte er zögernd. »Natürlich leben Frauen dort. Aber sie sind dort geboren, sie sind ein Teil dieser rauhen Natur, sie sind hart wie die Felsen, zwischen denen ihre Herden weiden. Du würdest unglücklich werden, Elena.«

Er dachte an Rosa, an ihre naturhafte Wildheit, die ausbrechen würde, wenn sie Elena an seiner Seite sah. Ihn schauderte innerlich bei dem Gedanken, wie elementar der Zusammenprall sein mußte, wenn sich zwei Welten wie Rosa und Elena begegneten.

»Es geht nicht«, sagte er fest, so, als ob er damit das Gespräch abbrechen wollte. »Wenn der Damm gebaut ist, Elena, wenn wir ihn einweihen, wenn wir neue Straßen gelegt und die Einsamkeit erschlossen haben, dann hole ich dich nach Zabari.«

Und während er es sagte, wußte er, daß auch dies eine Lüge war.

Vier Monate später lagen die Pläne Rolf Meerholdts wieder auf seinem Tisch in Foca. Die Regierung in Belgrad, der Ausschuß für Talsperren, die Baudirektion in Zagreb und Sarajevo hatten die Pläne geprüft und den Auftrag zum Bau erteilt. Von Zagreb, Sarajevo, Titograd, Belgrad und Skoplje rückten die Baukolonnen auf großen

Lastwagen und Raupenschleppern nach Foca.

Sechshundert Arbeiter zogen singend in Foca ein; Räummaschinen, Planierraupen, Betonmischer, Betongießer, fahrbare Sägen, riesige Eisenträger rollten ratternd durch den stillen Ort und bildeten außerhalb der Häuser ein riesiges Heerlager. Einhundert italienische Arbeiter aus Triest fuhren in der Nacht ins Lager ein, mit ihnen kam Musik in den Lindwurm der Technik, Mandolinenklang und Gesang.

An der Spitze seiner Köche marschierte Pietro Bonelli ins Lager. Bonelli, der Kantinenwirt, der in Zabari für das Wohl der siebenhundert Menschen sorgen sollte.

Ralf Meerholdt arbeitete Tag und Nacht. In seiner >Befehlsbaracke<, wie man sie schnell bei den Arbeitern nannte, brannte in diesen Nächten das Licht bis zum Morgen. Elena arbeitete an seiner Seite, still, unermüdlich. Sie war blasser geworden, etwas dünner im Gesicht. Um die Augen lagen die Schatten der Schlaflosigkeit. Aber sie sagte kein Wert der Beschwerde, sie stand an seiner Seite, sie schrieb die langen Listen der Materialien und Geräte, der Personalien und Berichte, und sie kochte starken Kaffee, wenn es gegen den Morgen ging und die Müdigkeit sie übermannte.

»Noch drei Tage«, sagte Ralf, »dann bist du erlöst.« Er trank hastig den starken, würzigen Kaffee und aß eine Schnitte Weißbrot mit dicker Butter und Schinken. Aber noch während des Kauens diktierte er weiter, meldete ein Ferngespräch nach Zagreb zu Direktor Osik an und bestellte die einzelnen Schacht- und Straßenmeister für sieben Uhr morgens zur Besprechung in den Saal der Kantinenbaracke.

An einem Dienstag setzte sich die Armee der Bauarbeiter mit den Maschinen, Wagen und Kettenfahrzeugen in Bewegung.

Nach einem genauen Plan, wie der Aufmarsch eines Heeres, vollzog sich jede Bewegung der nun fast 1.000 Männer.

Den Vortrupp bildeten drei Raupenschlepper und Planierraupen mit sechs Lastwagen, die den Weg über die schwarzen Berge sichern und festigen sollten, ehe die langen Reihen der Wagen mit den Baracken und Materialien folgten. Zuletzt kamen die Arbeiter auf großen Mannschaftswagen, die von der jugoslawischen Armee geliehen worden waren.

Meerholdt hatte es bei Direktor Osik durchgesetzt, daß Elena in Foca blieb und die >Verbindungsstelle< zwischen Zabari und Zagreb darstellte. So sehr sie bettelte und sogar nach Zagreb zu ihrem Vater fuhr, so sehr sie Ralf umschmeichelte und in der elterlichen Villa die Vasen an die Wand warf und einen kleinen Schreikrampf inszenierte, den Direktor Osik mit einem Eimer kalten Wassers schnell heilte ... sie blieb in Foca zurück und winkte weinend vor Enttäuschung und Zorn dem letzten Wagen nach, der aus dem Tor des Barackenlagers fuhr - der kleine Wagen Meerholdts, beladen mit einem Zelt und einigen Koffern voll Kleidung und Wäsche.

Dann war sie allein in dem großen Lager. Die Baracken starrten sie mit ihren leeren Fenstern an, der Platz, über den sonst das laute Leben der Arbeit flutete, war übersät mit Papier, das der Wind vor sich hertrieb. Ein Hund, den jemand vergessen hatte mitzunehmen, trottete durch die Lagergassen und schnüffelte an den Ecken. Nur aus der >Befehlsbaracke< tönte dünn das Klappern einer Schreibmaschine durch die plötzliche Stille. Zwei Stenotypistinnen hatte Meerholdt zur Unterstützung Elenas noch eingestellt, ehe er wegfuhr.

Wütend ging Elena durch die Lagergassen. Eine ausgestorbene Stadt, ein schreckliches Gefängnis, eine Verbannung, dachte sie. Sie blieb vor dem ehemaligen Materiallager stehen, das noch halb gefüllt war. Der Rest sollte in etwa zwei Monaten nachgeholt werden, wenn in Zabari das neue Barackenlager aufgebaut war und die wertvollen Ersatzteile ein sicheres Dach bekamen.

In zwei Monaten, dachte Elena. In zwei Monaten werde ich mit diesem Material nach Zabari fahren. Und wenn ich mich in eine Kiste legte oder unter Drahtrollen verstecke. Ich komme mit! Ich will Ralf und Vater zeigen, daß ich keine Modepuppe bin, der man nicht zutraut, in einer Wildnis zu leben, wenn man einen Mann liebt! Ich werde es ihnen beweisen! In zwei Monaten.

Zufrieden ging sie zurück zur >Befehlsbaracke< und setzte sich an das Telefon. Sie rief Zagreb an und nickte, als sich Stanis Osik meldete.

»Meerholdt ist vor einer Stunde mit den Kolonnen abgerückt«, sagte sie. »Wir rechnen damit, daß die provisorische Telefonleitung von Zabari bis Foca in drei Tagen fertig ist. Du kannst dann gleich mit Meerholdt sprechen.«

»Sehr schön, mein Püppchen«, sagte Osik zufrieden.

»Nenn mich nicht immer Püppchen«, rief Elena wütend. »Ich bin keine Figur, die man unter Glas setzt!«

»Natürlich nicht.« Osik strich sich über seine Glatze und blickte auf seinen aufgeschlagenen Terminkalender. »Ich komme in zwei Wochen zu euch.«

»Das ist schön, Papa.«

»Siehst du. Und laß den Mut nicht sinken. AufWiedersehen, Püpp-chen.«

Wütend, ohne Antwort, warf Elena den Hörer auf die Gabel und verließ das Zimmer. Sie ging in ihren Schlafraum und warf sich auf das weiche Bett, das Osik für sie von Zagreb nach Foca hatte nachkommen lassen.

In zwei Monaten, grübelte sie. Zwei Monate, bis ich Ralf wiedersehe. Das ist eine lange Zeit, eine zu lange Zeit. Ich werde sie nicht durchstehen . ich werde ungeduldig werden, ich werde eine Dummheit machen! Und wenn ich mit meinem Wagen heimlich durch das Gebirge zu ihm fahre . ich werde keine zwei Monate auf seine Lippen, seine Arme, seine Augen, seine Zärtlichkeiten warten können. Ich kann es nicht.