Für meine Mutter Madeline und Nathaniel
Erstes Kapitel
Mein Vater war ein König und der Sohn von Königen. Er war wie die meisten von uns eher kleingewachsen, hatte eine bullige Statur und mächtige Schultern. Er heiratete meine Mutter, als sie vierzehn war und fruchtbar, wie die Priesterin versicherte. Eine gute Partie: Sie war das einzige Kind, und das Vermögen ihres Vaters würde an ihren Gatten übergehen.
Dass sie einfältig war, bemerkte er erst bei der Hochzeit. Ihr Vater hatte sorgsam darauf geachtet, dass sie bis zur feierlichen Trauung verschleiert blieb, und mein Vater war damit einverstanden gewesen. Falls sie hässlich sein sollte, gab es stets junge Sklavinnen und zu Diensten stehende Knaben. Als man ihr schließlich den Schleier abnahm, lächelte sie, und da wussten alle, dass sie einfältig war. Bräute lächelten nicht.
Als ich, ein Junge, zur Welt kam, nahm er mich aus ihren Armen und gab mich einer Amme, die meiner Mutter zum Trost ein Kissen reichte. Meine Mutter drückte es an sich. Den Austausch schien sie nicht bemerkt zu haben.
Ich wurde schnell zu einer Enttäuschung, war klein und schmächtig, weder kräftig noch flink und konnte auch nicht singen. Zu meinen Gunsten sprach eigentlich nur, dass ich nie kränkelte. Während andere Kinder immer wieder unter Erkältungen und Krämpfen litten, blieb ich davon verschont. Doch das machte meinen Vater argwöhnisch. War ich womöglich ein Wechselbalg, kein Mensch? Er beobachtete mich mit finsterer Miene. Unter seinem Blick fingen meine Hände zu zittern an. Meine Mutter indessen bekleckerte sich mit Wein.
Als ich fünf Jahre alt bin, ist mein Vater an der Reihe, die Spiele auszurichten. Von überall her kommen Männer, sogar aus Thessalien und Sparta, und unsere Kammern füllen sich mit ihrem Gold. Hundert Sklaven arbeiten zwanzig Tage, um die Laufstrecke einzuebnen und von Steinen zu befreien. Mein Vater ist entschlossen, die schönsten Spiele seiner Generation zu veranstalten.
Am meisten beeindruckt haben mich die Läufer, nussbraune, von Öl glänzende Athleten mit muskulösen Waden, die unter der Sonne ihre Glieder strecken, breitschultrige Ehemänner sind darunter, aber auch bartlose Burschen und Knaben.
Als Opfer wurde ein Bulle geschlachtet, sein Blut strömte in den Staub und in dunkle Bronzeschalen. Er starb lautlos, was ein gutes Omen für die Spiele war.
Die Läufer nehmen vor dem Podest Aufstellung, auf dem mein Vater und ich sitzen, umgeben von Preisen, die auf die Sieger warten: goldene Weinkelche, Dreifüße aus getriebener Bronze, Holzlanzen mit kostbaren Eisenspitzen. Der wichtigste Preis jedoch liegt in meinen Händen: ein Kranz aus staubgrünen, frisch gepflückten Blättern, die ich mit meinem Daumen zum Glänzen bringe. Mein Vater hat ihn mir nur widerwillig überlassen und mir eingeschärft, nichts weiter damit zu tun, als ihn zu halten.
Die Jungen gehen als Erste an den Start, noch heranwachsende Burschen, so mager, dass sich die Knochen unter der straffen Haut abzeichnen. Sie scharren mit den Füßen im Sand und warten auf das Zeichen des Priesters. Mein Blick bleibt an einem Jungen mit blonden Haaren hängen, der zwischen den dunklen, zerzausten Köpfen heraussticht. Ich beuge mich vor, um ihn besser zu sehen. In den Haaren des Jungen, die wie Honig leuchten, schimmert es golden – der Reif eines Prinzen.
Er ist kleiner als die anderen und noch mollig wie ein Kind. Seine langen Haare sind mit einem Lederriemen zusammengebunden und scheinen auf der dunklen Haut im Nacken zu brennen. Doch seine Miene ist entschlossen wie die eines Mannes.
Kaum hat der Priester das Startkommando gegeben, löst er sich aus der dichten Schar der älteren Jungen. Er läuft leichtfüßig, und seine Fersen schimmern rosig wie leckende Zungen. Er gewinnt.
Ich bewundere ihn sprachlos, als mein Vater mir den Kranz vom Schoß nimmt und ihm aufsetzt. Auf seinen hellen Haaren wirken die Blätter fast schwarz. Peleus, sein Vater, holt ihn ab, er lächelt stolz. Sein Königreich ist kleiner als unseres, doch sein Volk liebt ihn, und es heißt, dass seine Frau eine Göttin sei. Mein Vater betrachtet Peleus voller Neid, denn seine eigene Frau ist dumm und sein Sohn so langsam, dass er nicht einmal in der Gruppe der Jüngsten mithalten könnte. Er schaut mich an.
»So sollte ein Sohn sein.«
Ohne den Kranz fühlen sich meine Hände leer an. Vor meinen Augen umarmt König Peleus seinen Sohn. Ich sehe, wie der Junge den Kranz in die Luft wirft und wieder auffängt. Er lacht und strahlt vor Freude über seinen Triumph.
Ansonsten sind mir von meinem damaligen Leben nur ein paar einzelne Erinnerungen geblieben: mein Vater, wie er finster dreinblickend auf seinem Thron sitzt, mein geliebtes Spielzeugpferdchen oder meine Mutter am Strand, den Blick weit hinaus auf die Ägäis gerichtet. In dieser letzten Erinnerung werfe ich kleine Steine ins Wasser. Es scheint ihr zu gefallen, wie sich das Wasser zu Wellen aufwirft und dann wieder zu einer glatten Oberfläche wie Glas verströmt. Aber vielleicht liebt sie auch das Meer als solches. An ihrer Schläfe schimmert ein knochenweißer Fleck, eine Narbe, zurückgeblieben von einer Verletzung, die ihr damals der eigene Vater mit dem Heft eines Schwerts zugefügt hat. Sie hat die Füße im Sand vergraben, und nur die Zehen schauen daraus hervor; um sie nicht zu stören, suche ich leise nach flachen Steinen, die ich dann über das Wasser hüpfen lasse. Es freut mich, dass ich wenigstens darin gut bin. Diese Szene ist die einzige Erinnerung an meine Mutter, und weil sie so golden und verklärt erscheint, glaube ich fast, dass ich sie mir nur einbilde. Mein Vater hatte uns, seinen einfältigen Sohn und die noch einfältigere Mutter, wahrscheinlich ungern allein gelassen. Und wo sind wir da überhaupt? Ich erkenne den Strand und den Blick auf die Küste nicht wieder. Zu vieles hat sich in der Zwischenzeit ereignet.
Zweites Kapitel
Der König rief mich zu sich. Ich weiß noch, wie sehr ich den weiten Weg durch den riesigen Thronsaal hasste. Vor dem Thron angekommen, kniete ich auf den Steinen nieder. Manche Könige hatten Teppiche ausgelegt, damit die Sendboten, die oft mit ausführlichen Nachrichten aufwarteten, ihre Knie schonen konnten. Mein Vater verzichtete darauf.
»Die Tochter von König Tyndareos ist endlich bereit zu heiraten«, sagte er.
Ich kannte den Namen. Tyndareos war König von Sparta und besaß große Gebiete im Süden, fruchtbares Land von der Beschaffenheit, wie sie mein Vater durchaus begehrte. Ich hatte auch von seiner Tochter gehört, der schönsten Frau weit und breit, wie es hieß. Von ihrer Mutter Leda erzählte man sich, dass sie von Zeus, dem Götterkönig, in Gestalt eines Schwans überwältigt worden sei. Neun Monate später brachte sie zwei Zwillingspaare zur Welt: Klytämnestra und Kastor, die Kinder ihres sterblichen Gatten, sowie Helena und Polydeukes, die strahlenden Nachkommen des Schwanengottes. Da die Götter aber bekanntlich schlechte Eltern waren, erwartete man, dass sich Tyndareos ihrer aller annahm.
Die Nachricht meines Vaters ließ mich ungerührt. Solche Dinge bedeuteten mir nichts.
Mein Vater räusperte sich, was im stillen Saal überraschend laut klang. »Es wäre für uns gut, sie in der Familie zu haben. Du wirst losziehen und um sie werben.« Wir waren allein, und so hörte nur er mein unwilliges Schnauben. Ich hütete mich jedoch, mein Unbehagen offen auszusprechen. Mein Vater wusste natürlich, was mir als Einwand auf der Zunge lag, nämlich dass ich erst neun war, wenig ansehnlich, ohne große Aussichten und uninteressant.
Am nächsten Morgen brachen wir schwer beladen mit Geschenken und Wegzehrung auf. Soldaten in prächtiger Rüstung begleiteten uns. An die Reise erinnere ich mich kaum. Wir zogen über Land und durch Gegenden, die keinen bleibenden Eindruck auf mich hinterließen. An der Spitze des Zuges diktierte mein Vater neue Befehle, und seine Boten ritten in alle Richtungen davon. Ich blickte auf meine Zügel und polierte das Leder mit dem Daumen. Ich kam mir verloren vor und verstand nicht, was mein Vater vorhatte. Mein Esel schwankte, und ich schwankte mit ihm, froh über jede Ablenkung.