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Aber die eigentliche Frage war noch nicht gestellt, und ich brannte auf eine Antwort.

»Möchtest du –« Ich stockte betreten, obwohl ich mir, während ich auf ihn gewartet hatte, die Frage genau zurechtgelegt und mir Mut zugesprochen hatte. »Möchtest du ein Gott sein?«

Seine grünen Augen waren dunkel im Dämmerlicht, doch zum Glück konnte ich keine goldenen Flecken darin ausmachen. »Ich weiß nicht«, antwortete er schließlich. »Ich weiß nicht, was es für mich bedeuten würde oder wie es dazu kommen könnte.« Er blickte auf seine Hände, die auf den Knien ruhten. »Ich will nicht von hier fort. Und überhaupt, wann wäre es so weit? Schon bald?«

Ich wusste keinen Rat. Wie Götter gemacht wurden, entzog sich meiner Vorstellung. Ich war ja doch nur ein Sterblicher.

Er legte die Stirn in Falten und hob die Stimme. »Und gibt es tatsächlich so etwas wie den Olymp? Außerdem weiß sie anscheinend selbst nicht, wie ich dahin aufsteigen könnte. Sie tut nur so und glaubt, wenn ich erst einmal berühmt bin …« Er ließ den Gedanken unausgesprochen.

Ich versuchte, ihn auszuführen. »Dann werden die Götter dich zu sich nehmen.«

Er nickte. Meine Frage war aber immer noch nicht beantwortet.

»Achill.«

Er wandte sich mir zu und schien verwirrt und verzweifelt zu sein. Er war erst zwölf.

»Möchtest du ein Gott sein?« Diesmal fiel es mir leichter, die Frage zu stellen.

»Jetzt noch nicht«, antwortete er.

Meine Anspannung, der ich mir bislang gar nicht bewusst gewesen war, löste sich ein wenig. Immerhin würde ich ihn so bald nicht verlieren.

Er fasste sich mit der Hand ans Kinn und sah noch schöner aus als sonst, wie aus Marmor gehauen. »Aber ich wäre gern ein Held. Ich hätte wohl auch das Zeug dazu, wenn die Weissagung zutrifft. Meine Mutter sagt, ich würde sogar stärker sein, als es Herakles jemals war.«

Ich war sprachlos und wusste nicht, was ich davon halten sollte. War es die Voreingenommenheit einer Mutter, die das sagte, oder eine Tatsache? Doch das interessierte mich nicht weiter. Noch nicht.

Er schwieg eine Weile, wandte sich mir dann plötzlich zu und fragte: »Willst du, dass ein Gott aus mir wird?«

Dort, zwischen Moos und Oliven, kam mir diese Vorstellung einigermaßen komisch vor. Ich lachte, und wenig später lachte auch er.

»Ich halte das für nicht sehr wahrscheinlich«, sagte ich.

Ich stand auf und streckte die Hand aus, um ihm aufzuhelfen. Unsere Kleider waren voller Staub, und das getrocknete Salzwasser an meinen Füßen kribbelte mir auf der Haut.

»In der Küche gibt’s Feigen. Ich habe sie gesehen«, sagte er.

Wir waren erst zwölf, zu jung, um lange zu grübeln.

»Ich wette, ich kann mehr davon in mich hineinstopfen als du.«

»Wer zuerst da ist.«

Ich lachte und wir rannten los. 

Siebtes Kapitel

Im Sommer darauf wurden wir dreizehn, zuerst er, dann ich. Wir wuchsen, und es zerrte uns in den Gelenken, dass es wehtat. Mit meinen dünnen Storchenbeinen und dem spitzen Kinn erkannte ich mich in Peleus’ blank poliertem Bronzespiegel kaum wieder. Achill war noch größer als ich. Er schoss regelrecht in die Höhe, was vielleicht vom göttlichen Blut herrührte, das durch seine Adern floss.

Auch die anderen Jungen wuchsen heran. Hinter verschlossenen Türen hörte man manchmal ein unterdrücktes Stöhnen, und so mancher Schatten huschte kurz vor Sonnenaufgang zurück ins eigene Bett. In unseren Ländern war es gang und gäbe, dass sich ein Mann eine Frau nahm, noch bevor ihm ein Bart wuchs. Und man kann sich denken, wie viel früher er einem Dienstmädchen beiwohnte. Es wurde geradezu von ihm erwartet. Nur wenige Männer stiegen ins Ehebett, ohne vorher solche Erfahrungen gemacht zu haben. Wer darauf verzichten musste, war übel dran, weil er entweder zu schwach war, um sich zu behaupten, zu hässlich, um zu betören, oder zu arm, um bezahlen zu können.

An einem Fürstenhof gab es normalerweise zahlreiche adlige Frauen im Gefolge der Königin, und für einen Fürsten war es die Regel, dass er eine Frau aus gleichem Stand hatte und zudem Kebsweiber für Liebesdienste. Peleus aber hatte keine Gemahlin, und so waren fast alle Frauen, die wir im Palast sahen, Sklavinnen, entweder auf dem Markt gekauft, auf Kriegszügen geraubt oder solche, die im Palast schon zur Welt gekommen waren. Tagsüber schenkten sie Wein aus, sorgten für Ordnung und bereiteten die Mahlzeiten zu. Nachts gehörten sie den Soldaten, den Pflegejungen, Gästen des Hauses oder dem König höchstselbst. Wenn ihnen die Bäuche schwollen, musste sich niemand schämen; im Gegenteil, es war ein Gewinn: noch mehr Sklaven. Diese Zusammenkünfte waren nicht immer erzwungen, manchmal war auch gegenseitige Zuneigung im Spiel. Zumindest redeten sich das die Männer ein.

Für Achill oder auch mich wäre es ein Leichtes gewesen, das eine oder andere Mädchen ins Bett zu locken. Mit unseren dreizehn Jahren war es längst an der Zeit, vor allem für ihn, da Prinzen für ihren Appetit bekannt waren. Stattdessen aber begnügten wir uns damit, den anderen Jungen zuzusehen, wie sie die Mädchen zu umgarnen versuchten, wobei ihnen nicht selten Peleus zuvorkam, um die Hübscheste für sich zu beanspruchen. Einmal hörte ich, wie der König eines dieser Mädchen seinem Sohn anempfahl, doch Achill antwortete nur, fast schüchtern, dass er müde sei. Als wir später in unsere Schlafkammer gingen, wich er meinen Blicken aus.

Und ich? Ich war schüchtern und zurückhaltend, außer im Beisein von Achill. Ich brachte es kaum über mich, mit anderen Jungen zu reden, geschweige denn mit einem Mädchen. Als Gefährte des Prinzen hätte ich wahrscheinlich gar nicht viel sagen müssen; ein Blick oder eine Geste hätte wohl genügt. Aber so etwas fiel mir gar nicht erst ein. Die Gefühle, die mich nachts beschlichen, schienen sonderbarerweise weit entfernt zu sein von den gehorsamen Dienstmädchen, deren Gesichter oft einen dumpfen Ausdruck annahmen, wenn sie beim Weineinschenken von einem der Jungen begrabscht wurden. Damit hatte ich nichts im Sinn.

Eines Abends waren wir bis spät in die Nacht hinein in Peleus’ Kammer. Achill lag am Boden und hatte seinen Arm als Kissen unter den Kopf geschoben. Ich saß auf einem Stuhl. Nicht, dass ich vor Peleus diese förmlichere Haltung hätte einnehmen müssen. Es behagte mir einfach nicht, meine langen Beine auszustrecken.

Die Augen des alten Königs waren halb geschlossen. Er erzählte uns eine Geschichte.

»Meleager war der tapferste Krieger seiner Zeit, aber auch der stolzeste. Er verlangte immer das Beste, und weil ihn sein Volk liebte, bekam er es auch.«

Mein Blick wanderte zu Achill hinüber. Seine Finger bewegten sich kaum merklich in der Luft, so wie immer, wenn er ein neues Lied ersann. Die Geschichte über Meleager hatte er, wie mir schien, schon etliche Male gehört.

»Doch eines Tages sagte der König von Kalydon: ›Warum müssen wir so viel an Meleager abtreten? In meinem Reich gibt es noch andere verdienstvolle Männer.‹«

Achill drehte sich zur Seite, wobei sich sein Leibrock eng um seine Brust legte. Am selben Tag hatte ich gehört, wie ein Dienstmädchen einer Freundin zuflüsterte: »Mir war, als hätte mich der Prinz beim Essen angesehen.« Sie hatte hoffnungsvoll geklungen.

»Meleager hörte die Worte des Königs und erzürnte sich.«

Am Morgen war Achill aus dem Bett gesprungen. Er hatte seine Nase auf meine gedrückt und mir einen guten Morgen gewünscht. Ich erinnerte mich an seinen heißen Atem auf meiner Haut.

»Er sagte: ›Ich werde nicht länger für dich kämpfen‹, ging zurück in sein Haus und suchte Trost in den Armen seiner Frau.«

Ich spürte eine Berührung am Fuß. Es war Achill. Er grinste mich vom Boden aus an.

»Kalydon wurde von mächtigen Feinden bedrängt, und als diese hörten, dass Meleager nicht mehr für sein Land kämpfen wollte –«