So ging es eine geraume Zeit lang, und mir wurden die Arme schwer. Schließlich gönnte uns Cheiron eine Pause. Wir tranken aus dem Wasserschlauch und legten uns aufs Gras. Ich war außer Atem, Achill offenbar nicht.
Cheiron stand vor uns und schwieg.
»Und, was denkst du?«, fragte Achill ungeduldig. Cheiron war, wie ich mich erinnerte, erst die vierte Person, die ihn hatte kämpfen sehen.
Die Antwort des Zentauren kam völlig unerwartet.
»Dir kann ich nichts mehr beibringen. Du beherrschst bereits alles, was Herakles beherrschte, und mehr noch. Du bist der größte Krieger deiner Generation und aller Generationen vor dir.«
Achill errötete, ob aus Verlegenheit oder weil er sich geschmeichelt fühlte, konnte ich nicht sagen.
»Man wird von deinen Fähigkeiten hören und als Kämpfer für fremde Kriege um dich werben.« Nach einer kurzen Pause fragte er: »Wie wirst du auf solche Anträge antworten?«
»Ich weiß nicht«, entgegnete Achill.
»Fürs Erste reicht diese Antwort, aber sie wird in Zukunft nicht genügen«, sagte Cheiron.
Es wurde für eine Weile still, und ich glaubte, die Luft knistern zu hören. Achill wirkte zum ersten Mal, seit wir bei Cheiron waren, angespannt und ernst.
»Und wie steht’s um mich?«, wollte ich wissen.
Cheiron sah mich aus seinen dunklen Augen an. »Du wirst als Kämpfer keinen Ruhm erlangen. Überrascht dich das?«
Seine Stimme klang nüchtern, was der Aussage irgendwie den Stachel nahm.
»Nein«, antwortete ich ehrlich.
»Trotzdem kann ein guter Soldat aus dir werden. Möchtest du einer sein?«
Ich dachte an die trüben Augen des Jungen und daran, wie schnell sein Blut im Staub versickert war. Ich dachte an Achill, den größten Kämpfer seiner Generation. Ich dachte an Thetis, die ihn mir nehmen würde, wenn sie es könnte.
»Nein«, sagte ich.
So endete unsere Lektion in Sachen Kriegskunst.
Der Frühling ging in den Sommer über. Es wurde wärmer, alles grünte, und in den Wäldern gab es wieder Wild und Früchte in Hülle und Fülle. Als Achill vierzehn wurde, kamen Boten mit Geschenken von Peleus. Es war seltsam, sie hier in ihren Uniformen und den Farben des Palasts zu sehen. Sie begafften uns mit unverhohlener Neugier, mich, Achill und vor allem Cheiron. Im Palast wurde gern getratscht, und diese Männer würden bei ihrer Rückkehr wie Fürsten empfangen werden. Ich war froh, als sie ihre geleerten Taschen wieder schulterten und abzogen.
Die Geschenke waren willkommen – neue Saiten für die Leier, frische Gewänder, gewebt aus feinster Wolle, und ein Bogen samt Pfeilen mit Eisenspitzen. Damit würden wir demnächst fette Beute machen für unseren Tisch.
Andere Dinge waren weniger nützlich – Mäntel, mit Gold durchwirkt, ein mit Edelsteinen besetzter Gürtel, der viel zu schwer war, als dass er zu irgendetwas hätte taugen mögen. Und dann war da noch eine Pferdedecke, mit Stickereien reich verziert, ein Prunkstück für das Reittier eines Prinzen.
»Ich hoffe, die ist nicht für mich«, sagte Cheiron und zog die Stirn in Falten. Wir rissen sie in Stücke, die uns als Kompressen, Verbandsmaterial oder Putzlappen dienen konnten. Das feste Material eignete sich vorzüglich, um Schmutz und Essensreste wegzuwischen.
Am Nachmittag lagen wir im Gras vor der Höhle. »Es ist fast ein Jahr her, seit wir hier angekommen sind«, sagte Achill. Es wehte ein angenehm kühler Wind.
»So lange kommt es mir gar nicht vor«, entgegnete ich mit schläfrigem Blick ins Himmelblau.
»Fehlt dir der Palast?«
Ich dachte an die Gaben seines Vaters, an die Dienstboten und ihre Blicke, an die Nachrichten, die sie nach Hause zurückbringen würden.
»Nein«, antwortete ich.
»Mir auch nicht«, sagte er. »Ich hatte geglaubt, ich würde etwas vermissen, aber dem ist nicht so.«
Die Tage gingen ins Land, Monate und schließlich ein weiteres Jahr.
Zehntes Kapitel
Es war Frühling, und wir waren fünfzehn. Der Winter hatte länger gedauert als gewöhnlich, und wir freuten uns, wieder draußen zu sein unter der Sonne. Wir zogen unsere Kleider aus, reckten die steifen Glieder und genossen die milde Brise auf der Haut. Aufgrund der Winterkälte hatten wir monatelang unsere Felle nicht abgelegt, abgesehen von den kurzen Momenten in der Felsnische, die uns als Bad diente. Den Vormittag verbrachten wir am Fluss und jagten in den Wäldern. Es fühlte sich gut an, wieder in Bewegung zu sein.
Ich betrachtete Achill. Da es auf dem Berg keine Spiegel gab – ausgenommen die glatte Oberfläche des Flusses –, konnte ich Veränderungen an mir nur mit Blick auf ihn zu erkennen versuchen. Er war immer noch schlank, aber ein wenig kräftiger und breiter im Kreuz geworden. Das Gesicht hatte schärfere Konturen angenommen.
»Du siehst älter aus«, sagte ich.
Er blieb stehen und sah mich an. »Wirklich?«
»Ja.« Ich nickte. »Und ich?«
»Komm mal näher.« Ich trat auf ihn zu. Er musterte mich eine Weile. »Ja, du auch.«
»Inwiefern?«, wollte ich wissen.
»Dein Gesicht ist anders«, antwortete er.
»Wo?«
Er fuhr mit den Fingerspitzen der rechten Hand über meinen Unterkiefer. »Hier. Er ist breiter als vorher.« Ich betastete mich mit der eigenen Hand, konnte aber keinen Unterschied feststellen. Mir schien, ich sei immer noch Haut und Knochen. Er führte meine Hand zum Schlüsselbein. »Auch da«, sagte er, »und dort.« Er tippe auf den Kehlkopf. Ich schluckte und spürte, wie er auf und ab ging.
»Wo sonst noch?«, fragte ich.
Er deutete auf die feinen dunklen Haare, die in einem dünnen Streifen vom Bauchnabel abwärts liefen.
Mir schoss das Blut ins Gesicht.
»Das reicht«, sagte ich schneller als beabsichtigt. Ich setzte mich wieder ins Gras, sah, wie der Wind durch seine Haare fuhr und seine Haut im Sonnenlicht golden schimmerte. Ich streckte mich aus und ließ ebenfalls die Sonne auf mich leuchten.
Nach einer Weile setzte er sich zu mir. Wir betrachteten die Bäume mit ihren frischen, jungen Trieben.
»Ich glaube, du wärst nicht unzufrieden«, sagte er plötzlich. »Mit deinem Aussehen.«
Ich spürte Hitze in mir aufsteigen. Aber wir verloren kein Wort mehr darüber.
Wir waren fast sechzehn. Bald würde Peleus wieder seine Boten mit Geschenken schicken, bald würden die Beeren reif sein, die Früchte uns in die Hände fallen. Es war das letzte Jahr unserer Kindheit. Danach würden wir als Männer gelten und nicht mehr nur unsere Leibröcke tragen, sondern auch Chitons und Umhänge. Peleus würde für Achill eine geeignete Braut aussuchen, und auch mir stünde es frei, eine Frau zu wählen. Ich dachte an die Dienstmädchen und ihre stumpfen Blicke und erinnerte mich an Gespräche der Jungen, die ich belauscht hatte, als sie von Brüsten und Hüften schwärmten.
Sie ist so weich wie Seide.
Wenn sie ihre Schenkel um dich geschlungen hat, vergisst du deinen eigenen Namen.
Die Jungen hatten aufgeregt und mit hochroten Gesichtern miteinander getuschelt. Aber wenn ich versuchte, mir vorzustellen, wovon sie sprachen, entglitten mir meine Gedanken wie Fische, die sich nicht fangen lassen wollten.
Stattdessen drängten sich andere Bilder auf. Die geschwungene Linie eines über eine Leier gebeugten Nackens, im Feuerschein schimmernde Haare, sehnige Hände in Bewegung. Wir waren stets zusammen, und es gab für mich kein Entrinnen vom Wohlgeruch des Öls, mit dem er seine Füße einrieb, oder von dem Anblick nackter Haut, wenn er sich anzog. In Erinnerung an den Tag am Strand und die Kälte seiner Augen zwang ich mich dann jedes Mal wegzuschauen. Und natürlich dachte ich an seine Mutter.