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Ich machte mich nun manchmal selbstständig und ging schon früh am Morgen, wenn Achill noch schlief, oder nachmittags, wenn er seinen Speerwurf zu verbessern suchte, allein hinaus in den Wald. Ich nahm eine Flöte mit mir, spielte aber nur selten darauf. Oft lehnte ich mich an einen Baum und sog den scharfen Zypressenduft in mich auf, der von der höchsten Stelle des Berges herabwehte.

Langsam, als sollte ich es nicht bemerken, glitt dann meine Hand zwischen die Schenkel in meinen Schoß. Ich schämte mich für das, was ich tat, mehr noch der Gedanken wegen, die mich dabei beschlichen. Aber viel schlimmer wäre es gewesen, ihnen im Inneren der Rosenquarzhöhle und in seinem Beisein nachzuhängen.

Manchmal fiel es mir schwer, danach in die Höhle zurückzukehren. »Wo warst du?«, fragte er oft.

»Dort drüben«, antwortete ich dann immer und deutete vage in eine Richtung.

Er nickte, doch ich war mir sicher, er bemerkte, dass ich errötete.

Der Sommer wurde heißer. Wir hielten uns im Schatten auf oder badeten im Fluss und ließen das Wasser glitzernd aufspritzen. Die Kieselsteine im Flussbett waren bemoost und kühl und glitschten unter meinen Füßen weg. Aufgeschreckt von unseren Rufen, flohen die Fische in ihre Felsnischen oder in stilleres Wasser flussaufwärts. Das reißende Schmelzwasser des Frühjahrs war längst verronnen. Der Länge nach ausgestreckt, ließ ich mich in der Strömung treiben. Es gefiel mir, die Sonne auf dem Bauch und gleichzeitig die kühlen Tiefen des Wassers unter mir zu spüren.

Wenn wir genug davon hatten, schwammen wir auf die herabhängenden Zweige der Weiden zu und hangelten uns daran empor. An diesem Tag ließen wir uns daran herabbaumeln, schlangen unsere Beine umeinander und versuchten, den anderen zurück ins Wasser zu zwingen. Spontan ließ ich vom Ast ab und klammerte mich an seinem Rumpf fest. Er rief überrascht aus, und wir rangen lachend miteinander, bis der Ast über uns krachte und wir in die Fluten stürzten. Eingetaucht ins kühle Wasser, rauften wir uns weiter.

Kaum waren wir wieder aufgetaucht, um Luft zu schnappen, fiel er über mich her und tauchte mich unter oder ich ihn, und so ging es eine Weile weiter, bis uns die Lungen vor Anstrengung brannten und unsere Gesichter rot angelaufen waren. Schließlich schleppten wir uns zurück an Land, wo wir uns ins Riedgras und Sumpfkraut fallen ließen, die Füße im kühlen Schlamm des Uferrandes. Wasser tropfte uns aus den Haaren, und ich sah es über seine Brust und die Arme rinnen.

Am Morgen seines sechzehnten Geburtstags wachte ich früh auf. Cheiron hatte mir an einem fernen Berghang einen Feigenbaum gezeigt, der schon reife Früchte trug, die ersten in diesem Jahr. Achill wisse nichts davon, versicherte mir der Zentaur. Ich ging hinaus und pflückte etliche zum Frühstück.

Es war nicht mein einziges Geschenk an ihn. Ich hatte mir beizeiten von Cheiron ein gut abgelagertes Stück Eschenholz geben lassen und fast zwei Monate darauf verwendet, eine Gestalt daraus zu schnitzen – einen Leier spielenden jungen Mann mit himmelwärts gerichtetem Gesicht und geöffneten Lippen, als würde er singen. Ich hatte die Figur bei mir, als ich loszog.

Die Feigen hingen prall und schwer am Baum. Die violette Haut war so weich, dass sie unter meinen Fingern nachgab. In zwei Tagen würden sie überreif sein. Ich füllte eine Holzschale damit und trug sie vorsichtig zur Höhle zurück.

Achill saß mit Cheiron auf der Lichtung. Zu seinen Füßen lag ein Geschenk von Peleus, das noch nicht ausgepackt war. Er machte große Augen, als er sah, was ich brachte, sprang auf und langte in die Schale, noch ehe ich sie abgestellt hatte. Wir aßen uns an den Feigen satt und unsere Hände und Lippen klebten von ihrer Süße.

Das von Peleus geschickte Paket enthielt wieder ein paar Hemdröcke und Leiersaiten, darüber hinaus aus gegebenem Anlass – es war schließlich der sechzehnte Geburtstag – einen prächtigen Mantel, kostbar gefärbt aus dem Drüsensaft der Purpurschnecke. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie gut ihn dieses scharlachrote Gewand kleiden würde.

Auch Cheiron beschenkte ihn – mit einem Wanderstab und einem neuen Messer, das man am Gürtel befestigen konnte. Schließlich überreichte ich ihm meine Schnitzerei. Er begutachtete sie und fuhr mit den Fingerspitzen über die kleinen Kerben, die mein Messer hinterlassen hatte.

»Das bist du«, sagte ich und grinste verlegen.

Er blickte mich aus freudig leuchtenden Augen an.

»Ich weiß«, entgegnete er.

Nicht lange danach hockten wir eines späten Abends vor den glühenden Resten des Feuers vor der Höhle. Achill war fast den ganzen Nachmittag über mit seiner Mutter zusammen gewesen. Nun spielte er auf der Leier meiner Mutter und ließ Laute erklingen, die so klar und hell waren wie die Sterne am Himmel.

Neben mir saß Cheiron auf seinen unter sich zusammengefalteten Läufen. Ich hörte ihn gähnen, worauf die Leier verstummte und Achill fragte: »Bist du müde, Cheiron?«

»Ja, das bin ich.«

»Dann lassen wir dich jetzt in Ruhe.«

Es war eigentlich nicht seine Art, so zu reden, schon gar nicht, für mich zu sprechen, doch ich war selbst müde und sagte nichts. Er stand auf, wünschte Cheiron eine gute Nacht und wandte sich der Höhle zu. Ich reckte mich, genoss noch einen Moment den Feuerschein und folgte dann.

Achill lag schon im Bett. Sein Gesicht war noch feucht; er hatte sich an der Quelle gewaschen. Auch ich wusch mir das Gesicht.

»Du hast mich nicht gefragt, wie der Besuch meiner Mutter war«, sagte er.

»Wie geht es ihr?«

»Gut.« Diese Antwort gab er immer. Deshalb hatte ich ihn auch nicht gefragt.

Ich spülte mir die Seife vom Gesicht. Wir seihten sie aus Olivenöl, wonach sie auch noch ein wenig duftete, buttrig und bitter.

Achill sagte: »Sie kann uns hier nicht sehen.«

Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er Weiteres mitteilen wollte. »Hmmm?«

»Sie kann uns nicht sehen, hier am Pelion.«

Seine Stimme hatte einen angestrengten Unterton. Ich wandte mich ihm zu. »Was soll das heißen?«

Er hatte den Blick auf die Höhlendecke gerichtet. »Ich habe sie gefragt, ob sie uns … beobachtet«, antwortete er. »Sie sagte nein.«

Es wurde still zwischen uns. Zu hören war nur das plätschernde Wasser.

»Oh«, sagte ich.

»Ich dachte, es könnte dich interessieren. Sie –«, er zögerte. »Ihr hat meine Frage nicht gefallen.«

»Nicht gefallen«, wiederholte ich. Mir wurde schwindlig. Seine Worte schwirrten mir durch den Kopf. Sie kann uns nicht sehen. Ich stand, wie mir bewusst wurde, vor dem Wasserbecken und hielt das Handtuch noch ans Kinn. Dann zwang ich mich, die Kleider abzulegen und ins Bett zu steigen. Ich war in Aufruhr, voller Hoffnung und Angst.

Er hatte das Bett schon angewärmt, als ich hineinkroch. Er starrte immer noch an die Decke der Höhle.

»Und – hat dir ihre Antwort gefallen?«, fragte ich schließlich.

»Ja«, sagte er.

Wir lagen da und lauschten der spannungsgeladenen und lebendigen Stille. Normalerweise erzählten wir uns vorm Einschlafen noch Witze oder Geschichten. Die Decke über uns war mit Sternen bemalt, und wenn wir zu müde waren, um zu reden, machten wir uns gegenseitig auf einzelne Sternbilder aufmerksam. »Orion«, sagte ich dann, wenn sein Finger darauf zeigte. »Die Plejaden.«

Aber in dieser Nacht schwiegen wir. Ich schloss die Augen und wartete bangend, bis ich glaubte, er sei eingeschlafen. Ich drehte den Kopf und schaute ihn an.

Er lag auf der Seite und betrachtete mich. Ich hatte nicht gehört, dass er sich herumgewälzt hatte. Ich höre ihn nie. Er rührte sich nicht. Ich holte Luft und war mir der Nähe zu ihm bewusst. Nur ein Teil des schwarzen Kissens lag zwischen uns.

Er beugte sich vor.

Unsere Lippen berührten einander, und seine Wärme ergoss sich in meinen Mund. Ich konnte an nichts denken, nur empfinden und trinken, jeden Atemhauch. Es war ein Wunder.