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»Dir fällt keiner ein.« Er richtete sich auf und rückte näher.

»Ja, ich kenne keinen.«

»Es gibt auch keinen, denn die da oben lassen niemanden berühmt und glücklich sein.« Er hob eine Augenbraue. »Ich verrate dir ein Geheimnis.«

»Nur zu.« Es gefiel mir, wenn er heimlich tat.

»Ich werde der Erste sein.« Er ergriff meine Hand. »Beschwör’s!«

»Warum sollte ich es beschwören?«

»Weil du der Grund dafür bist. Na los …«

»Ich schwöre«, sagte ich und verlor mich in der Farbe seiner Wangen und seinem feurigen Blick.

»Ich schwöre«, echote er.

Hand in Hand hockten wir beieinander. Er grinste.

»Ich habe einen Sterbenshunger.«

Irgendwo unter uns am Hang erschallte plötzlich ein Horn, abrupt und schmetternd wie zur Warnung. Bevor ich etwas sagen oder mich rühren konnte, war er schon auf den Beinen und hatte seinen Dolch aus der Scheide gezogen. In Wirklichkeit war es nur ein Jagdmesser, aber in seiner Hand würde es allemal reichen. Er stand vollkommen reglos da, lauschte mit all seinen halbgöttlichen Sinnen.

Auch ich hatte ein Messer bei mir. Ich nahm es leise zur Hand und stand auf. Er hatte sich schützend vor mich gestellt, und ich wusste nicht, ob ich neben ihn treten und meine Waffe heben sollte. Ich tat es nicht. Was wir gehört hatten, war der Schall eines Soldatenhorns gewesen, und zu kämpfen war, wie mir Cheiron unumwunden erklärt hatte, meine Sache nicht.

Wieder tönte das Horn. Kurz darauf war ein Rascheln im Dickicht zu hören, die Schritte einer einzelnen Person. Vielleicht hatte sie sich verirrt oder womöglich war sie in Gefahr. Achill trat einen Schritt auf die Stelle zu, von der die Geräusche kamen. Wie zur Antwort darauf erschallte wieder das Horn. Dann rief eine Stimme: »Prinz Achill!«

Wir erstarrten.

»Achill! Ich bin hier, um Prinz Achill zu sprechen.«

Vögel flatterten aus den Bäumen auf, gestört durch den Lärm.

»Dein Vater schickt nach dir«, flüsterte ich. Nur ein königlicher Bote konnte wissen, wo wir waren.

Achill nickte, schien aber nichts sagen zu wollen. Ich konnte mir vorstellen, wie heftig sein Herz schlug. Soeben war er noch entschlossen gewesen zu töten.

»Wir sind hier!«, rief ich durch den mit meinen Händen geformten Trichter. Die Geräusche verstummten.

»Wo?«

»Folge meiner Stimme.«

Es dauerte eine Weile, bis der, der uns suchte, auf die Lichtung hinaustrat. Sein Gesicht war zerkratzt, sein Palastrock durchgeschwitzt. Er kniete ungelenk nieder und widerwillig, wie es schien. Achill senkte das Messer, behielt es aber in der Hand.

»Ja?«, fragte er mürrisch.

»Dein Vater ruft dich in einer dringenden Angelegenheit.«

Ich spürte, wie ich mich versteifte und ebenso reglos dastand wie Achill. Ich dachte, wenn wir nur still stünden, würde nichts Schlimmes passieren.

»In was für einer Angelegenheit?«, fragte Achill.

Der Mann hatte sich anscheinend ein wenig erholt und daran erinnert, dass ein Prinz vor ihm stand.

»Mein Herr, verzeih, ich weiß es nicht genau. Boten aus Mykene kamen zum König mit Nachrichten. Dein Vater will heute Abend zu seinem Volk sprechen und wünscht, dass du dabei bist. Unten warten Pferde auf euch.«

Es blieb eine Weile still. Ich glaubte schon, Achill würde ihn fortschicken, doch dann sagte er: »Patroklos und ich müssen noch unsere Sachen packen.«

Auf dem Weg zurück zur Höhle fragten wir uns, was für Nachrichten das sein könnten, von denen die Rede gewesen war. Mykene lag tief unten im Süden. Sein König war Agamemnon, der sich selbst gern Herr der Menschen nannte. Es hieß, dass er über das größte Heer überhaupt verfügte.

»Worum es auch immer gehen mag, wir werden nur eine, höchstens zwei Nächte fort sein«, versicherte mir Achill. Ich nickte dankbar. Nur ein paar Tage.

Cheiron erwartete uns. »Ich habe die Rufe gehört«, sagte der Zentaur. Wir kannten ihn so gut, dass wir ihm sein Missfallen an der Stimme anhörten. Er mochte es nicht, wenn der Frieden seines Bergs gestört wurde.

»Mein Vater ruft mich zu sich«, erklärte Achill. »Wir werden bald wieder zurück sein.«

»Verstehe«, entgegnete Cheiron. Auf seinen langen Läufen wirkte er noch größer als gewöhnlich. Seine kastanienbraunen Flanken glänzten im Sonnenlicht. Ich fragte mich, ob er sich ohne uns vielleicht ein bisschen einsam fühlte. Er bekam nie Besuch, und als wir uns einmal erkundigt hatten, ob er manchmal mit anderen Zentauren zusammenkäme, hatte er nur abfällig mit dem Wort »Barbaren« geantwortet.

Wir packten unsere Sachen. Ich hatte kaum etwas mitzunehmen, nur ein paar Leibröcke und eine Flöte. Achill besaß ein wenig mehr, seine Kleider, ein paar Speerspitzen, die er selbst hergestellt hatte, und die von mir geschnitzte Statue. Wir steckten alles in Ledersäcke und verabschiedeten uns von Cheiron. Achill, wie immer kühner als ich, umarmte den Zentauren und schlang seine Arme um die Stelle, wo das Tierfell in Menschenhaut überging. Der Bote stand hinter mir und scharrte ungeduldig mit den Füßen.

»Achill«, sagte Cheiron, »erinnerst du dich an meine Frage, was du tun würdest, wenn man dich zum Kampf herausfordert?«

»Ja«, sagte Achill.

»Du solltest über deine Antwort nachdenken.«

Mir wurde ganz kalt, als ich Cheiron hörte, und ehe ich mich besinnen konnte, wandte er sich mir zu.

»Patroklos.« Er rief mich zu sich. Ich trat vor ihn hin, worauf er mir seine große, warme Hand auf den Kopf legte. Ich sog seinen eigentümlichen Körpergeruch in mich auf, eine Mischung aus Pferdeschweiß, Kräutern und Wald.

Er sprach leise. »Gib das, was dir lieb ist, nicht so einfach auf«, sagte er.

Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, und sagte bloß: »Danke.«

Er lächelte. »Alles Gute.« Dann zog er seine Hand wieder zurück, und ich spürte, wie mir ein kühler Wind durch die Haare strich.

»Wir werden bald wieder zurück sein«, wiederholte Achill.

Cheirons Augen, von der Sonne abgewandt, waren dunkel. »Ich werde nach euch Ausschau halten«, sagte er.

Wir schulterten unsere Taschen und verließen die Lichtung vor der Höhle. Es war nach Mittag, der Bote drängte zur Eile. Zügig stiegen wir ins Tal hinab, wo Pferde für uns bereitstanden. Nach so langer Zeit, in der ich ausschließlich zu Fuß unterwegs gewesen war, fühlte ich mich unbeholfen im Sattel, und die Pferde machten mich nervös. Ich erwartete fast, dass sie anfangen würden, mit mir zu sprechen, was natürlich nicht geschah. Immer wieder drehte ich mich um und schaute zurück auf den Pelion und hoffte, die Rosenquarzhöhle erkennen zu können, vielleicht sogar Cheiron. Aber wir waren schon zu weit entfernt. Ich schaute nach vorn und ließ mich nach Phthia führen. 

Elftes Kapitel

Die Sonne war gerade untergegangen, als wir den Grenzstein passierten, der das Palastgelände markierte. Wir hörten die Rufe der Wachen und als Antwort Hörnerklang. Dann, nach Erreichen der Hügelkuppe, lag der Palast vor uns, dahinter das Meer.

Und plötzlich wie ein Lichtblitz erschien auf der Schwelle des Hauses Thetis. Ihr schwarzes Haar stach ab vom weißen Marmor dahinter. Sie trug ein Gewand in den Farben der Tiefsee, dunklen Violetttönen, vermischt mit schillerndem Grau. Neben ihr standen Wachen und Peleus, doch ich sah nur sie und die messerscharfe Linie ihres Kiefers.

»Deine Mutter«, flüsterte ich Achill zu. Ich hätte schwören können, dass mich ihr kalter Blick streifte, als hätte sie meine Worte gehört. Ich schluckte und versuchte, mich mit Cheirons Versprechen zu beruhigen, der gesagt hatte, dass sie mir nichts antun würde.

Es war sonderbar, sie unter Sterblichen zu sehen, die im Vergleich zu ihr allesamt einen farblosen, fahlen Eindruck machten, obwohl es ihre Haut war, die bleich wie Knochen war. Sie hielt Abstand zu ihnen und ragte in ihrer unnatürlichen Größe hoch auf. Die Wachen hatten ehrfurchtsvoll und ängstlich die Augen niedergeschlagen.