Achill stieg vom Pferd. Ich folgte. Thetis zog ihn in ihre Arme, und ich sah die Wachen unruhig werden. Sie fragten sich wohl, wie es sein würde, mit dieser Haut in Berührung zu kommen, und waren froh, es nicht zu wissen.
»Sohn aus meinem Schoß, Fleisch aus meinem Fleisch. Achill«, sagte sie leise, doch ihre Stimme war deutlich zu hören. »Willkommen zu Hause.«
»Danke, Mutter«, erwiderte Achill. Ihm war klar, dass sie ihn für sich beanspruchte. Wir alle wussten es. Für einen Sohn gehörte es sich, den Vater als Ersten zu grüßen, dann erst die Mutter, wenn überhaupt. Sie aber war eine Göttin. Peleus presste die Lippen aufeinander und schwieg.
Als sie ihn aus ihren Armen entließ, ging er zum Vater. Auch der sagte: »Willkommen, Sohn.« Seine Stimme klang vergleichsweise schwach, und er schien gealtert. Wir waren drei Jahre fort gewesen.
»Patroklos, sei auch du herzlich willkommen.«
Alle Augen richteten sich auf mich, und ich verbeugte mich. Ich fühlte mich schutzlos den scharfen Blicken der Göttin ausgesetzt. Meine Haut schmerzte, als wäre ich durch einen Dornenstrauch gegangen und gleich darauf ins Meer gestiegen. Zum Glück meldete sich Achill zu Wort.
»Welche Nachrichten gibt es, Vater?«
Peleus warf einen Blick auf die Wachen. Vermutlich hatten Gerüchte im Palast die Runde gemacht.
»Ich habe mich dazu noch nicht geäußert und bis zu einer Erklärung deine Ankunft abwarten wollen. Jetzt, da du hier bist, sollen es alle erfahren. Komm.«
Wir folgten ihm in den Palast. Ich wollte mit Achill sprechen, wagte es aber nicht, denn Thetis war unmittelbar hinter uns. Die Sklaven hielten die Luft an und beeilten sich, ihr, der Göttin, den Weg freizumachen. Lautlos schritt sie über die steinernen Bodenplatten.
Der große Speisesaal stand voller Tische und Bänke. Dienstboten schwirrten mit Geschirr und schweren Weinkrügen umher. Im vorderen Teil des Raums war ein Podest aufgebaut, auf dem ein Tisch und drei Stühle standen, für den König selbst sowie für seinen Sohn und seine Frau. Meine Wangen glühten. Was hatte ich erwartet?
Trotz der lärmenden Hektik, mit der Vorbereitungen getroffen wurden, war Achills Stimme laut und deutlich zu hören. »Vater, ich sehe keinen Stuhl, auf dem Patroklos Platz nehmen könnte.« Mir wurde noch heißer.
»Achill«, flüsterte ich und wollte sagen: Lass gut sein. Ich setze mich zu den anderen. Mir ist es recht so. Doch er ignorierte mich.
»Patroklos ist mein eingeschworener Gefährte und sein Platz ist an meiner Seite.« Thetis’ Augen blitzten. Ich spürte das Feuer darin und sah die Ablehnung, die sie zum Ausdruck brachte.
»Nun gut«, sagte Peleus und wies einen Sklaven an, einen Stuhl für mich bereitzustellen. Ich machte mich so klein ich nur konnte und folgte Achill auf unsere Plätze.
»Jetzt wird sie mich hassen«, sagte ich.
»Sie hasst dich ohnehin schon«, erwiderte er und grinste dabei, was mich aber nicht erleichtern konnte.
»Warum ist sie gekommen?«, flüsterte ich. Es musste sich um etwas wirklich Wichtiges handeln, das sie aus ihren Meeresgrotten hervorgelockt hatte. Sie schaute Peleus an und verriet mit ihrer Miene, dass sie ihm noch sehr viel mehr Verachtung entgegenbrachte als mir.
»Keine Ahnung«, antwortete Achill. »Seltsam, ich habe die beiden seit meiner Kindheit nicht zusammen gesehen.«
Ich erinnerte mich an Cheirons Abschiedsworte, die er an Achill gerichtet hatte: Du solltest über deine Antwort nachdenken.
»Cheiron rechnet damit, dass es Krieg geben wird.«
Achill zog die Stirn in Falten. »In Mykene herrscht immer Krieg. Warum sollten wir ausgerechnet jetzt dazugerufen werden?«
Peleus setzte sich, worauf ein Herold dreimal in sein Horn stieß als Zeichen dafür, dass mit der Mahlzeit begonnen werden konnte. Normalerweise dauerte es geraume Zeit, bis alle Höflinge versammelt waren und Platz genommen hatten. Diesmal aber strömten sie herbei wie die Fluten der Schneeschmelze. Bald war der Saal zum Bersten gefüllt. Stühle wurden gerückt, und alles plapperte durcheinander. Ich hörte den Stimmen angespannte Aufregung an. Niemand schimpfte mit den Sklaven oder verscheuchte bettelnde Hunde. Alle hatten nur eines im Sinn, nämlich den Mann aus Mykene und dessen Nachricht.
Auch Thetis hatte sich inzwischen an den Tisch gesetzt. Einen Teller gab es für sie nicht, auch kein Messer. Götter lebten allein von Ambrosia und Nektar, dem Rauch unserer Brandopfer und dem Wein, den wir auf ihre Altäre gossen. Mir fiel auf, dass sie hier am Tisch weniger deutlich ins Auge sprang als draußen unter der Sonne. Die schweren, gewöhnlichen Möbel schienen sie irgendwie kleiner zu machen.
Peleus stand auf. Es wurde still bis in die hintersten Reihen. Er hob seinen Becher.
»Mir wurde aus Mykene eine Nachricht zugetragen, von Agamemnon und Menelaos, den Atriden.« Es verstummte nun selbst das letzte Gemurmel. Auch die Sklaven hielten inne. Ich wagte es nicht, zu atmen. Achill presste unter dem Tisch seinen Schenkel an meinen.
»Es ist zu einem schweren Vergehen gekommen.« Der König legte eine Pause ein und schien seine Wortwahl zu bedenken. »Die Gemahlin von Menelaos, Königin Helena, wurde aus ihrem Palast in Sparta entführt.«
Helena!, flüsterte so mancher dem Nebenmann ins Ohr. Seit ihrer Heirat waren die Geschichten über ihre sagenhafte Schönheit noch überschwänglicher geworden. Menelaos hatte ihr einen Palast mit doppelwandigen Felsmauern gebaut und Soldaten zu ihrem Schutz von Kindesbeinen an ausbilden lassen. Und dennoch war sie anscheinend geraubt worden. Von wem?
»Menelaos hatte eine Gesandtschaft des trojanischen Königs Priamos empfangen, deren Anführer, Priams Sohn Prinz Paris, für dieses Vergehen verantwortlich ist. Er entführte die Königin von Sparta aus ihrem Schlafgemach, während der König schlief.«
Empörung wurde laut. Nur jemand aus dem Osten hatte die Verschlagenheit, seinen Gastgeber so feige zu hintergehen. Jeder wusste, wie verdorben diese parfümierten Fremden durch Müßiggang und leichtes Leben waren. Ein wahrer Held hätte Helena nicht heimlich entführt, sondern mit dem Schwert um sie gekämpft.
»Agamemnon und Mykene rufen die Männer von Hellas auf, gen Troja zu segeln und Helena zu befreien. Es heißt, die Stadt sei reich und leicht einzunehmen. Alle, die in den Kampf ziehen, werden ruhmreich und mit großer Beute zurückkehren.«
Die Worte waren klug gewählt. Für Reichtum und Ruhm hatten sich unsere Männer immer schon geschlagen.
»Ich habe versprochen, ein Heer in Marsch zu setzen.« Peleus wartete, bis es wieder still wurde. »Wer nicht kämpfen will, soll bleiben, und ein jeder soll wissen, dass ich das Heer nicht selbst anführen werde.«
»Wer dann?«, rief einer.
»Das wäre noch zu entscheiden«, antwortete der König, doch ich sah, dass er den Blick auf seinen Sohn richtete.
Nein, dachte ich. Meine Hände umklammerten den Rand des Stuhls. Noch nicht. Thetis, die mir gegenübersaß, rührte keine Miene. Sie schien gewusst zu haben, dass es dazu kommen musste. Sie will, dass er geht. Der Zentaur und die Rosenquarzhöhle rückten plötzlich in unerreichbare Ferne, und nun verstand ich, was Cheiron gemeint hatte, als er sagte, die Welt geht davon aus, dass Achill geboren sei, um Krieg zu führen, dass seine Hände und die schnellen Beine allein zu diesem Zweck geschaffen wären – die mächtigen Mauern Trojas niederzureißen. Man würde ihn gegen Tausende trojanischer Speerwerfer antreten lassen und triumphierend mit ansehen, wie er ein Blutbad unter ihnen anrichtete.
Peleus deutete auf Phoinix, seinen ältesten Freund, der an einem der vorderen Tische saß. »Fürst Phoinix wird die Namen derer notieren, die zu kämpfen gewillt sind.«