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Da ich weiß, was sie zu uns geführt hat, entschuldige ich mich murmelnd: »Ich muss mich um das Essen kümmern.« Als ich mich abwende, spüre ich Odysseus’ Blicke im Rücken.

Das Lammfleisch brutzelt auf dem Rost. Zischend tropft Fett in die Glut. Durch Rauchschlieren hindurch schaue ich immer wieder zurück auf die Männer am Feuer, die wie Freunde beieinanderhocken. Ich kann nicht hören, was sie sagen, sehe aber, dass Achill immerzu lächelt, scheinbar unbeeindruckt von den grimmigen Gesichtern der anderen. Dann ruft er mich zu sich. Ich kann mich dem Geschehen nicht länger entziehen, bringe das Abendessen und setze mich neben ihn.

Er plaudert über dies und das, bewirtet seine Gäste und achtet tunlichst darauf, dass kein Teller lange leer bleibt, vor allem der von Ajax nicht, der am meisten vertragen kann. Sie essen, während er in einem fort redet. Als schließlich alle satt sind, sich den Mund abgewischt und die Teller beiseitegeschoben haben, kommt endlich zur Sprache, was die beiden zu uns geführt hat. Natürlich ist es Odysseus, der den Anfang macht.

Zunächst spricht er nur von Dingen, die er wie beiläufig aufzählt. Zwölf schnelle Pferde, sieben bronzene Dreifüße und sieben hübsche Mädchen, zehn Barren Gold, zwölf große Kupferkessel und dergleichen mehr – Schalen, Kelche, Rüstzeug und schließlich das Beste überhaupt: Brisëis Rückkehr. Lächelnd breitet er die Arme aus und hebt die Schultern zu jener Pose, die typisch für ihn ist.

Dann breitet er vor sich eine Schriftrolle aus und liest im Feuerschein die Namen der gefallenen Griechen vor. Achill beißt die Zähne aufeinander. Ajax betrachtet seine vom Kriegsdienst schorfig gewordenen Hände.

Und schließlich klärt uns Odysseus darüber auf, dass die Trojaner bis auf tausend Schritt vorgerückt sind und unweit unseres Palisadenwalls Stellung bezogen haben. Ob wir Beweise wollten? Die Feuer ihres Lagers, sagt Odysseus, seien von der Hügelkuppe aus zu sehen. Morgen früh müsse mit ihrem Angriff gerechnet werden.

Es dauert eine Weile, bis Achill auf die Frage antwortet, die noch gar nicht gestellt worden ist. »Nein«, sagt er und lässt anklingen, dass er sich weder von versprochenen Schätzen noch von Schuldgefühlen bestechen lässt. Seine Ehre ist keine Kleinigkeit, die sich von einer zweiköpfigen Gesandtschaft in später Stunde zurückbringen ließe, zumal sie ihm vor versammeltem Heer in Abrede gestellt wurde.

Der König von Ithaka stochert mit einem Stecken im Feuer.

»Deiner Sklavin ist kein Leid zugefügt worden. Die Götter allein wissen, woher Agamemnon die Kraft zur Zurückhaltung genommen hat, aber fest steht, sie ist wohlauf und gut versorgt. Sie und mit ihr deine Ehre warten darauf, an dich zurückerstattet zu werden.«

»Du sprichst, als hätte ich meine Ehre aufgegeben«, entgegnet Achill. »Das habt ihr euch schön zurechtgelegt. Bist du jetzt Agamemnons Spinne, die mit dieser Geschichte Fliegen zu fangen versucht?«

»Sehr poetisch«, erwidert Odysseus. »Nur, morgen werden keine Lieder gesungen. Morgen werden die Trojaner unser Lager stürmen und unsere Schiffe in Flammen aufgehen lassen. Willst du ihnen untätig dabei zusehen?«

»Das hängt von Agamemnon ab. Wenn er das Unrecht, das er an mir begangen hat, wiedergutmacht, werde ich, wenn ihr es wünscht, die Trojaner bis nach Persien jagen.«

Unvermittelt fragt Odysseus: »Warum ist Hektor noch nicht gefallen?« Er hebt die Hand. »Ich suche nicht nach einer Antwort, sondern wiederhole lediglich, was sich alle Männer fragen. Während der vergangenen zehn Jahre gab es tausendfach Gelegenheit für dich, ihn zu töten. Aber du hast es nicht getan, worüber sich alle wundern.«

Seine Stimme verrät, dass er sich selbst nicht wundert. Er kennt die Prophezeiung. Ich bin froh, dass er nur von Ajax begleitet wird, der nicht versteht, was Odysseus meint.

»Ich freue mich für dich, dass du zehn zusätzliche Jahre herausgeschunden hast. Aber was ist mit uns anderen?« Seine Lippen kräuseln sich. »Dein Müßiggang zwingt uns zu warten. Du hältst uns hier fest, Achill. Du hattest die Wahl und hast dich entschieden. Jetzt verhalte dich entsprechend.«

Wir starren ihn an. Er hat offenbar noch mehr zu sagen.

»Dass du den Lauf der Dinge aufzuhalten versuchst, ist verständlich. Aber es wird dir auf Dauer nicht gelingen. Das lassen die Götter nicht zu.« Er legt eine Pause ein, damit jedes seiner Worte seine Wirkung entfalten kann. »Du zerreißt den Faden nicht, den dir das Schicksal gesponnen hat. Als dein Freund rate ich dir, den vorbestimmten Weg mutigen Schrittes zu gehen.«

»Das werde ich.«

»Gut«, sagt Odysseus. »Ich habe gesagt, was ich sagen wollte.«

Achill steht auf. »Dann ist es Zeit für euch zu gehen.«

»Noch nicht«, meldet sich Phoinix zu Wort. »Ich habe noch etwas hinzuzufügen.« Aus Respekt vor dem Alten setzt sich Achill wieder hin und schluckt seinen Stolz hinunter.

»Als du ein Kind warst, hat dein Vater dich mir anvertraut. Deine Mutter hatte sich längst zurückgezogen, und ich war zuerst deine Amme, dann dein Lehrer. Jetzt bist du ein Mann, doch ich sorge mich immer noch um dein Wohl.«

Ich werfe einen Blick auf Achill und sehe, dass er angespannt und argwöhnisch ist. Ich weiß, er fürchtet, sich von den freundlichen Worten des Alten einwickeln zu lassen. Oder schlimmer noch: dass Phoinix gegen ihn Partei ergreifen und sich von ihm abwenden könnte.

Der Alte hebt eine Hand wie zur Abwehr solcher Gedanken. »Was immer du tust, ich werde dir beistehen. Aber bevor du dich entscheidest, will ich dir eine Geschichte erzählen.«

Er lässt Achill keine Zeit, Widerspruch einzulegen. »Zu Zeiten deines Vaters machte ein junger Held namens Meleager von sich reden, dessen Heimatstadt Kalydon von einem wilden Volk, den Kureten, belagert wurde.«

Ich kenne diese Geschichte aus Peleus’ Mund und erinnere mich, wie Achill mir zuschmunzelte, während sein Vater sie erzählte. Damals hatte Achill noch kein Blut an den Händen, und von der Weissagung seines frühen Todes ahnte niemand etwas.

»Anfangs konnten die Kureten dank der Kriegskunst des Meleagers zurückgeschlagen werden«, führt Phoinix aus. »Eines Tages tötete Meleager seinen Onkel, woraufhin seine Mutter ihn verfluchte. Im Zorn über seine Mutter weigerte er sich hinfort, für seine Stadt zu kämpfen. Das Volk machte ihm Geschenke und bat ihn um Verzeihung, doch er nahm davon nichts an, sondern legte sich stattdessen zu seiner Frau Kleopatra, um Trost bei ihr zu finden.«

Bei der Erwähnung ihres Namens funkeln Phoinix’ Augen, wie mir scheint.

»Als schließlich ihre Stadt den Feinden in die Hände zu fallen drohte und viele ihrer Freunde gestorben waren, hielt es Kleopatra nicht länger aus und flehte ihren Gatten an, den Kampf wieder aufzunehmen. Weil er sie über alles liebte, ließ er sich erweichen und erfocht einen großartigen Sieg für sein Volk. Zwar hatte er es gerettet, doch waren schon zu viele Leben seinem Stolz zum Opfer gefallen. Und so wurde ihm kein Dank zuteil, im Gegenteil, man verachtete ihn, weil er nicht früher eingegriffen hatte.«

In der Stille, die nun einsetzt, höre ich den Alten ächzend Luft einsaugen. Er hat sich mit seiner langen Rede verausgabt. Ich wage es nicht, ein Wort zu sagen oder mich zu rühren, und fürchte, dass man mir ansieht, was ich denke. Was Meleager letztlich umgestimmt hat, war nicht etwa die Aussicht auf Ruhm und Ehre, auch nicht die Sorge um Freunde oder um das eigene Leben. Es war vielmehr Kleopatra, die mit tränennassem Gesicht auf den Knien vor ihm kauerte. Mir ist klar, worauf Phoinix abzielt. Allein schon ihr Name legt den Vergleich nahe. Er ist meinem ähnlich, nur eine Umkehrung der Silben: Kleopatra, Patroklos.

Achill lässt sich nicht anmerken, ob auch er den tieferen Sinn versteht. Dem Alten zuliebe spricht er leise, bleibt aber bei seinem Nein. Nicht bevor Agamemnon meine Ehre wiederhergestellt hat. Odysseus scheint mit seiner Weigerung gerechnet zu haben. Ich kann mir vorstellen, wie er den anderen Bericht erstattet, die Arme zu einer Gebärde des Bedauerns ausbreitet und sagt: Ich habe es versucht. Würde Achill nachgeben, wäre alles gut. Doch eine Weigerung trotz all der angebotenen Geschenke und Entschuldigungen kann nur als krankhafte Trotzhaltung und Verblendung ausgelegt werden. Man wird ihn dafür verabscheuen, so wie man Meleager verabscheute.