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»Ich werde nicht feiern.« Er stößt ihn beiseite und schleift Hektor hinter sich her.

»Hokumoros«, ruft ihn die Mutter mit sanfter Stimme. So bald vom Schicksal Abberufener. »Willst du nichts essen?«

»Nein.«

Sie streckt eine Hand aus, als wollte sie das Blut von seiner Wange wischen.

Er weicht zurück. »Lass das!«, sagt er.

Ihre Miene erstarrt für einen Moment, was er jedoch nicht sieht. »Gib Hektors Leichnam seiner Familie, damit sie ihn bestatten kann. Du hast ihn getötet und Rache geübt. Das sollte dir genügen.«

»Das wird es nie«, erwidert er.

Zum ersten Mal seit meinem Tod findet er Schlaf.

Achill. Ich kann es nicht ertragen, dass du trauerst.

Seine Glieder zucken und beben.

Gönn uns Ruhe und Frieden. Verbrenne meinen Leichnam. Ich werde in der Schattenwelt auf dich warten. Ich werde –

Doch er ist schon aufgewacht. »Patroklos! Warte! Ich bin hier.«

Er schüttelt meinen Leichnam. Weil ich nicht antworte, fängt er wieder zu weinen an.

Im Morgengrauen schleift er Hektors Leiche um die Stadtmauer herum, damit es alle sehen. Gegen Mittag wiederholt er diesen Gang und auch am Abend. Er bemerkt nicht, dass die Griechen ihren Blick von ihm abwenden und missbilligen, was er tut.

Thetis wartet auf ihn im Zelt, groß und aufrecht steht sie da.

»Was willst du?« Er lässt Hektors Leiche fallen.

Ihre Wangen sind fleckig und sehen aus wie mit Blut besprenkelter Marmor. »Du musst damit aufhören. Apoll zürnt. Er will dich bestrafen.«

»Soll er doch.« Er lässt sich auf die Knie fallen und streicht mir die Haare aus der Stirn. Ich bin in Decken gewickelt, die den Verwesungsgeruch mildern.

»Achill.« Sie tritt zu ihm und ergreift sein Kinn. »Hör mich an! Du gehst zu weit. Wenn du so weitermachst, werde ich dich nicht vor ihm schützen können.«

Er wirft seinen Kopf zurück und faucht sie an. »Das brauchst du auch nicht.«

Ihre Haut ist weißer als jemals zuvor. »Sei kein Narr. Einzig durch mich und meinen Einfluss –«

»Was ändert das?«, fällt er ihr barsch ins Wort. »Er ist tot. Reicht dein Einfluss, ihn mir zurückzubringen?«

»Nein«, antwortet sie.

Er steht auf. »Glaubst du, ich sehe nicht, dass du frohlockst? Du hast ihn gehasst, all die Jahre über. Hättest du dich nicht in deinem Groll an Zeus gewandt, wäre er noch am Leben.«

»Er ist ein Mensch und somit sterblich«, entgegnet sie.

»Das bin ich auch!«, schreit er. »Wozu taugen Götter, wenn sie ihn nicht lebendig machen können? Wozu taugst du?«

»Ja, du bist ein Sterblicher«, bestätigt sie und platziert jedes kalte Wort wie den Stein eines Mosaiks. »Ich habe wider besseres Wissen zugelassen, dass Patroklos bei dir bleiben durfte, als du bei Cheiron am Pelion warst. Er hat dich ruiniert.« Sie deutet flüchtig mit der Hand auf sein zerfetztes Gewand und das blutverschmierte Gesicht. »Das ist nicht mein Sohn.«

Seine Brust geht heftig auf und ab. »Wer dann, Mutter? Bin ich dir nicht berühmt genug? Ich habe Hektor getötet.«

Ihr Gesicht zuckt. »Du verhältst dich wie ein Kind. Mit seinen elf Jahren ist Pyrrhos mehr Mann als du.«

»Pyrrhos?«

»Er wird kommen und Troja zu Fall bringen. Nur er kann die Stadt bezwingen, das weissagen die Moiren.« Ihr Gesicht glüht.

Er starrt sie an. »Du bringst ihn hierher?«

»Er ist der nächste Aristos Achaion

»Noch bin ich nicht tot.«

»Es fehlt nicht viel.« Die Worte sind wie Peitschenhiebe. »Weißt du eigentlich, was ich auf mich genommen habe, um dich zu Ruhm und Größe aufsteigen zu lassen? Und jetzt willst du deswegen alles zunichtemachen?« Sie zeigt auf meinen verwesenden Leichnam und verzieht das Gesicht vor Abscheu. »Es gibt nichts mehr, was ich für dich tun könnte.«

Ihre schwarzen Augen scheinen sich wie sterbende Sterne zusammenzuziehen. »Sein Tod ist mir eine Freude«, sagt sie.

Es sind die letzten Worte überhaupt, die sie an ihren Sohn richtet. 

Zweiunddreißigstes Kapitel

In der Nacht, zu einer Zeit, als selbst die wilden Hunde schlafen und die Eulen still sind, kommt ein alter Mann in unser Zelt. Seine Haare sind voller Asche, die schmutzigen Kleider zerrissen und triefen vor Nässe. Er ist offenbar durch den Fluss geschwommen. Und doch leuchten seine Augen hell und klar, als er sagt: »Ich bin gekommen, um meinen Sohn zu holen.«

Der König von Troja kniet vor Achills Füßen nieder und beugt sein weißes Haupt. »Willst du, mächtiger Prinz von Phthia, bester der Griechen, eines Vaters Bitte anhören?«

Achill starrt wie benommen auf die altersschwachen und gramgebeugten Schultern herab. Dieser Mann hat fünfzig Söhne gezeugt und die meisten davon verloren.

»Ich höre«, sagt Achill.

»Die Götter segnen deine Güte«, sagt Priamos. Seine Hände liegen kühl auf Achills brennender Haut. »Ich habe in dieser Nacht einen langen Weg voller Hoffnung zurückgelegt.« Er zittert unter den nassen Kleidern. »Ich bedaure, dir nur meine Gebete zum Geschenk machen zu können.«

Achill scheint berührt. »Steh auf«, sagt er. »Ich will dir zu essen und zu trinken geben.« Er reicht dem Alten seine Hand und hilft ihm auf, legt ihm einen trockenen Umhang über die Schulter und lässt ihn auf den weichen Kissen Platz nehmen, auf denen Phoinix am liebsten sitzt. Von der gefurchten Haut und den langsamen Bewegungen abgesehen, wirkt Priamos plötzlich wie verjüngt.

»Danke für deine Gastfreundschaft«, sagt er mit starkem Akzent. Doch sein Griechisch ist einwandfrei. »Ich habe gehört, du bist ein Mann von Adel, und auf deinen Edelmut vertraue ich, zumal es heißt, dass du, obwohl unser Feind, nie grausam gewesen bist. Ich bitte dich inständig, mir meinen Sohn zurückzugeben, damit ich ihn begraben kann und seine Seele Ruhe findet.« Er hütet sich, seinen Blick auf die im Schatten am Zeltrand mit dem Gesicht nach unten liegende Gestalt zu richten.

Achill starrt ins Dunkel seiner ineinandergelegten Hände. »Es war mutig von dir, dich allein auf den Weg gemacht zu haben«, sagt er. »Wie bist du ins Lager gekommen?«

»Die Götter geleiteten mich in ihrer Gnade.«

Achill blickt auf. »Was gab dir die Zuversicht, dass ich dich nicht töte?«

»Diese Zuversicht hatte ich nicht.«

Es bleibt eine Weile still. Das angebotene Brot und den Wein rührt Priamos nicht an. Sein Blick fällt auf den anderen Leichnam, den meinen, ausgestreckt auf dem Bett. Er zögert einen Moment. »Ist das – dein Freund?«

»Philtatos«, sagt Achill. Der über alles Geliebte. »Der Beste, erschlagen von deinem Sohn.«

»Ich bedaure deinen Verlust«, entgegnet Priamos. »Und ich bedaure, dass mein Sohn dir den Liebsten entrissen hat. Trotzdem bitte ich dich, gnädig zu sein. Trauernde sollten einander helfen, selbst als Feinde.«

»Und wenn nicht?« Sein Tonfall ist schärfer geworden.

»Dann sei es so.«

Wieder tritt ein Moment der Stille ein. »Ich könnte dich immer noch töten«, sagt Achill.

Achill.

»Ich weiß«, antwortet der König ruhig und gelassen. »Aber dafür, dass die Seele meines Sohnes Frieden finden kann, gebe ich mein Leben gerne hin.«

Achills Augen füllen sich mit Tränen. Er wendet sich ab.

Priamos spricht mit sanfter Stimme. »Nur dann, wenn die Toten in Frieden ruhen, können auch wir, die noch leben, Frieden finden.«

»Nein«, flüstert Achill.

Nichts regt sich im Zelt; die Zeit scheint stillzustehen.

Schließlich steht Achill auf. »Es dämmert schon, und ich möchte nicht, dass du auf deinem Rückweg in Gefahr gerätst. Ich werde den Leichnam deines Sohnes von meinen Dienern herrichten und überführen lassen.«