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»Ich bin Achills Sohn«, erklärt er.

Die Könige starren ihn an. Nur wenige wussten, dass Achill ein Kind hat. Odysseus hat sich als Erster wieder gefasst und fragt: »Und wie ist dein Name, Sohn des Achill?«

»Neoptolemos, aber genannt werde ich Pyrrhos.« Feuer. Ausschließlich der Haare wegen. »Wo hat mein Vater gesessen?«

Idomeneus sitzt auf dessen Platz. Er steht auf. »Hier.«

Pyrrhos mustert den kretischen König mit schneidendem Blick. »Ich verzeihe dir deine Anmaßung. Du wusstest nicht, dass ich komme.« Er setzt sich. »Herr von Mykene, Herr von Sparta.« Er neigt den Kopf kaum merklich. »Ich will mich euren Truppen anschließen.«

Agamemnons Gesicht verrät ungläubiges Staunen und Missfallen zugleich. Er hat geglaubt, sein Problem mit Achill sei gelöst. Doch nun scheint es sich in Person dieses seltsamen Jünglings fortzusetzen.

»Dazu fehlt es dir an Jahren.«

Er ist elf.

»Ich habe bei den Göttern auf dem Meeresgrund gelebt«, sagt er. »Ich habe ihren Nektar getrunken und mich an Ambrosia gelabt. Jetzt werde ich den Sieg für euch erringen. Die Schicksalsgöttinnen haben geweissagt, dass Troja nicht ohne mich fällt.«

»Was?« Agamemnon ist entsetzt.

»Wenn dem so ist, freuen wir uns, dich in unseren Reihen zu wissen«, sagt Menelaos. »Wir beraten gerade darüber, wo dein Vater bestattet werden soll.«

»Auf dem Hügel«, beharrt Odysseus.

Menelaos nickt. »Ein passender Ort für beide.«

»Beide?«

Es bleibt eine Weile still.

»Für deinen Vater und seinen Gefährten. Patroklos.«

»Und warum sollte dieser an der Seite des Aristos Achaion begraben werden?«

Die Luft ist zum Schneiden dick. Alle warten auf Menelaos’ Antwort.

»Weil es dein Vater so wollte, Prinz Neoptolemos. Wir können den einen nicht ohne den anderen begraben.«

Pyrrhos hebt sein spitzes Kinn. »Ein Sklave ist fehl am Platz in der Gruft seines Herrn. Zwar lässt sich die Asche beider nicht mehr voneinander trennen, doch werde ich nicht zulassen, dass der Ruhm meines Vaters Schaden nimmt. Für ihn allein soll das Denkmal sein.«

Nein! Lass mich nicht hier ohne ihn.

Die Könige tauschen fragende Blicke miteinander.

»So sei es«, sagt Agamemnon. »Ganz wie du willst.«

Ich bin Luft und Gedanke und kann nichts tun.

Je größer das Denkmal, desto größer der Mensch, dem es gewidmet ist. Die Griechen markieren sein Grab mit einem großen weißen Stein, der bis zum Himmel reicht und mit der Aufschrift ACHILL versehen ist. Er steht für ihn und sagt allen, die vorüberziehen: Er lebte und starb und lebt in der Erinnerung weiter.

Pyrrhos’ Banner trägt das Wappen von Skyros, der Heimat seiner Mutter. Nicht etwa das von Phthia. Auch seine Truppen stammen von der Insel. Pflichtschuldig lässt Automedon die Myrmidonen antreten, um ihn zu begrüßen. Sie sehen ihn mit seinen Kämpfern, alle in strahlender Rüstung, über den Strand auf sich zukommen. Seine rotgoldenen Haare lodern vor der Bläue des Himmels.

»Ich bin Achills Sohn«, stellt er sich ihnen vor. »Eure Dienstbarkeit und Treue geht auf mich als seinen Erben über.« Er heftet seinen Blick auf eine Frau, die ihre Augen niedergeschlagen und die Hände gefaltet hat. Er geht auf sie zu und hebt mit der Hand ihr Kinn an.

»Wie heißt du?«, fragt er.

»Brisëis.«

»Ich habe von dir gehört. Deinetwegen hat mein Vater die Waffen gestreckt.«

In der Nacht schickt er seine Leibwachen zu ihr. Ergeben lässt sie sich abführen und in Pyrrhos’ Zelt bringen. Der sitzt in einem Sessel, ein Bein lässig über die Armlehne gelegt. In dieser Pose hätte man früher auch Achill antreffen können, doch nie wären seine Augen so kalt und leer gewesen wie die des Jungen.

Sie kniet nieder. »Mein Herr.«

»Deinetwegen hat sich mein Vater seinem Heer entfremdet. Es scheint, du bist eine vorzügliche Bettsklavin.«

Brisëis rührt keine Miene. »Deine Worte ehren mich, mein Herr. Doch ich glaube nicht, dass er sich meinetwegen zu kämpfen geweigert hat.«

»Weswegen dann? Deiner Sklavenmeinung nach?« Er zieht eine Braue hoch. Ihn so mit ihr sprechen zu sehen ist schrecklich. Er ist eine Schlange, die jederzeit beißen könnte.

»Ich war Kriegsbeute, und Agamemnon hat ihn entehrt, indem er mich zu sich nahm. Das ist alles.«

»Du warst nicht seine Bettsklavin?«

»Nein, mein Herr.«

»Genug.« Seine Stimme ist scharf. »Belüge mich nie wieder. Du bist die beste Frau im Lager und hast ihm gehört.«

Ihre Schultern straffen sich. »Ich fürchte, du machst dir ein falsches Bild von mir. So glücklich war ich nie.«

»Warum nicht? Was stimmt mit dir nicht?«

Sie zögert. »Mein Herr, hast du von dem Mann gehört, mit dem dein Vater begraben ist?«

Seine Miene verliert jeden Ausdruck. »Er ist ein Niemand.«

»Und doch hat ihn dein Vater geliebt und verehrt. Es war sein Wunsch, mit ihm begraben zu werden. Für mich hatte er keine Verwendung.«

Pyrrhos starrt sie an.

»Mein Herr –«

»Schweig still!«, herrscht er sie an. »Ich will dich lehren, was es heißt, den Aristos Achaion zu belügen.« Er steht auf. »Komm her.« Er ist erst elf, sieht aber um einiges älter aus und hat die Statur eines jungen Mannes.

Ihre Augen sind weit aufgerissen. »Mein Herr, es tut mir leid, dich verstimmt zu haben. Aber du kannst andere fragen, Phoinix oder Automedon. Sie werden bestätigen, dass ich nicht lüge.«

»Ich habe dir einen Befehl erteilt.«

Sie steht auf und zupft nervös an den Falten ihres Gewandes. Lauf weg, flüstere ich. Geh nicht zu ihm. Aber sie geht.

»Mein Herr, was willst du von mir?«

Er tritt mit funkelnden Augen auf sie zu. »Du wirst tun, was ich verlange.«

Ich sehe nicht, woher das Messer kommt. Sie hat es plötzlich in ihrer Hand und fährt damit auf ihn nieder. Dabei hat sie noch nie einen Mann getötet. Sie weiß nicht, wie die Klinge zu führen ist, und es fehlt ihr die nötige Entschlossenheit. Zudem reagiert er blitzschnell und weicht ihr aus. Die Klinge streift seine Haut und ritzt sie auf, ohne ins Fleisch einzudringen. Mit einem wuchtigen Schlag streckt er sie zu Boden. Sie schleudert ihm das Messer ins Gesicht, steht auf und rennt.

Sie flieht aus dem Zelt, an zwei Wachen vorbei, die zu langsam sind, sie zu greifen, hinunter zum Strand und ins Meer. Pyrrhos setzt ihr nach. Sein Leibrock ist zerrissen und blutdurchtränkt. Er bleibt neben den verdutzten Wachen stehen und nimmt ruhig einen Speer aus der Hand des einen.

»Wirf!«, drängt dieser ihn, denn sie ist schon jenseits der Brandung.

»Moment«, murmelt Pyrrhos.

Wie auf Vogelschwingen gleitet sie durch die grauen Wellen. Sie war schon immer die beste Schwimmerin von uns dreien und hat einmal, wie sie uns versicherte, schwimmend die Insel Tenedos erreicht, die zwei Bootsstunden vor der Küste liegt. Zu meiner großen Erleichterung sehe ich, wie sie sich immer weiter entfernt. Der Einzige, dessen Speer sie jetzt noch erreichen könnte, ist tot. Sie ist frei.

Der Einzige bis auf seinen Sohn.

Der Speer, vom Strand aus geschleudert, fliegt lautlos und präzise. Seine Spitze trifft auf ihren Rücken wie ein Stein auf ein treibendes Laubblatt. Das Wasser verschlingt sie.

Phoinix schickt einen Mann, um sie zu bergen, doch er findet sie nicht. Vielleicht sind ihre Götter freundlicher als die unseren und gewähren ihr Frieden. Dafür würde ich noch einmal mein Leben hingeben.

Die Prophezeiung bewahrheitet sich. Pyrrhos ist gekommen und Troja fällt, jedoch nicht allein durch ihn. Auch mit Hilfe des Holzpferds und der List des Odysseus sowie des riesigen Heers. Aber er ist derjenige, der Priamos tötet und Hektors Frau Andromache aufspürt, die sich mit ihrem Sohn in einem Keller versteckt hält. Er reißt ihr das Kind aus den Armen und zerschmettert seinen Kopf an der Mauerwand. Sogar Agamemnon erbleicht, als er davon hört.