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»Seit Jahren versuche ich nun, dir einen Gefährten an die Seite zu stellen, doch du wolltest dich mit keinem meiner Vorschläge zufriedengeben. Warum nun dieser Junge?«

Die Frage hätte ich ebenso gut stellen können. Ich hatte einem Prinzen nichts zu bieten. Was sah er in mir? Peleus und ich warteten auf eine Antwort.

»Er steckt voller Überraschungen.«

Ich blickte auf und runzelte die Stirn. Mit dieser Meinung stand er gewiss allein da.

»Voller Überraschungen«, wiederholte Peleus.

»Ja.« Eine weitere Erklärung blieb Achill schuldig.

Peleus rieb sich die Nasenwurzel und schien nachzudenken. »Der Junge hat sich schuldig gemacht und wurde deswegen verbannt. Er wird deinem Ansehen nicht zuträglich sein.«

»Das braucht er auch nicht«, erwiderte Achill frei heraus, ohne prahlerisch zu klingen.

Peleus nickte. »Aber die anderen Jungen werden eifersüchtig sein. Was wirst du ihnen sagen?«

»Nichts«, antwortete er ohne jedes Zögern. »Ich bin ihnen keine Rechenschaft schuldig.«

Ich spürte das Herz in der Brust schlagen und fürchtete Peleus’ Zorn. Doch der blieb aus. Vater und Sohn betrachteten einander, und ich sah den König schmunzeln.

»Steht auf. Beide.«

Ich gehorchte.

»Nun denn, ich will, dass ihr euch bei Amphidamas entschuldigt.«

»Ja, Vater.«

»Das ist alles.« Er wandte sich wieder seinem Berater zu. Wir waren entlassen.

Achill hatte es plötzlich eilig. »Wir sehen uns beim Essen«, sagte er, als wir wieder draußen waren, und drehte sich um, um zu gehen.

Am Vormittag hätte ich mich noch darüber gefreut, ihn los zu sein, doch nun versetzte es mir seltsamerweise einen Stich. »Wohin gehst du?«

Er blieb stehen. »Zum Drill.«

»Allein?«

»Ja. Es soll mir niemand dabei zusehen.« Er sagte das ganz selbstverständlich.

»Warum nicht?«

Er sah mich einen Moment lang schweigend an und schien nachzudenken. »Meine Mutter hat’s verboten. Wegen der Weissagung.«

Mit einer solchen Antwort hatte ich am wenigsten gerechnet. »Was wurde denn geweissagt?«

»Dass ich der größte Krieger meiner Generation sein werde.«

Es klang wie kindliches Wunschdenken, was er da vortrug, doch er sagte es so schlicht und geradeheraus, als würde er seinen Namen nennen.

Und, bist du schon der Beste?, wollte ich fragen, stammelte aber stattdessen nur: »Wann wurde das geweissagt?«

»Kurz bevor ich zur Welt kam. Von Eileithyia.« Eileithyia war die Göttin der Geburt, und es hieß, dass sie höchstpersönlich über die Geburt von Halbgöttern wachte, über Kinder, die so wichtig waren, dass man bei deren Geburt nichts dem Zufall überließ. Ich hatte es fast vergessen: Achills Mutter war eine Göttin.

»Wissen andere davon?«, fragte ich vorsichtig, denn ich wollte nicht aufdringlich sein.

»Einige wenige. Deshalb mache ich meine Übungen allein.« Aber er ging nicht. Er beobachtete mich. Er schien auf etwas zu warten.

»Wir sehen uns dann beim Essen«, sagte ich schließlich.

Er nickte und ging.

Achill saß bereits an meinen Tisch, als ich kam, umringt von der üblichen Schar der Jungen. Ich hatte fast damit gerechnet, dass dem nicht so sein würde und dass ich alles nur geträumt hatte. Ich setzte mich, schaute ihm flüchtig und verschämt in die Augen und senkte meinen Blick. Ich wurde rot, dessen war ich mir sicher. Meine Hände fühlten sich schwer und unbeholfen an, als ich nach der Schale mit dem Abendessen langte. Jeder Bissen war mir bewusst, jeder Ausdruck auf meinem Gesicht. An diesem Abend schmeckte das Essen besonders gut: gebratener Fisch mit Zitrone und Kräutern, frischer Käse und Brot. Alle aßen mit großem Appetit, und die Jungen beachteten mich nicht. Sie nahmen mich schon lange nicht mehr zur Kenntnis.

»Patroklos.« Die meisten sprachen meinen Namen undeutlich aus, so, als wollten sie ihn möglichst schnell über die Lippen bringen. Nicht so Achill. Er betonte jede Silbe: Pa-tro-klos. Die Sklaven räumten bereits das Geschirr ab. Ich blickte auf, und die anderen Jungen verstummten. Er nannte uns nur selten bei unseren Namen.

»Heute Nacht schläfst du in meiner Kammer«, sagte er. Fast wäre mir die Kinnlade heruntergefallen, aber ich wollte mir vor den Jungen meine Verwunderung nicht anmerken lassen, schließlich war ich als Prinz mit einem gewissen Stolz erzogen worden.

»Einverstanden«, sagte ich.

»Ein Diener wird deine Sachen holen.«

Ich konnte die Gedanken der anderen buchstäblich hören. Warum er? Obwohl von seinem Vater immer wieder dazu aufgefordert, sich einen Gefährten zu erwählen, hatte sich Achill für keinen der Jungen am Hof sonderlich interessiert, wenngleich er, wohlerzogen, wie er war, sich allen gegenüber freundlich verhielt. Und nun erwies er seine lang erwartete Ehre ausgerechnet dem niedrigsten in der Runde, mir, einem kleinen, undankbaren und womöglich verfluchten Burschen.

Als er ging, folgte ich ihm auf wackligen Beinen und spürte die Blicke der anderen im Rücken. Er führte mich am Thronsaal vorbei in einen zum Meer hin ausgerichteten Flügel des Palasts, den ich bislang nie betreten hatte. Die Wände waren mit schmuckvollen Mustern bemalt, die im Schein seiner Fackel hell aufleuchteten.

Achills Kammer lag in unmittelbarer Nähe des Wassers, von dem ein salziger Hauch durchs Fenster wehte. Hier waren die Wände nicht bemalt, sondern aus blankem Stein. Auf dem Boden lag ein einzelner Teppich. Die Möbel waren schlicht, aber sorgfältig hergestellt aus einem dunklen Holz, das, wie ich zu erkennen glaubte, aus der Fremde stammte.

Er deutete auf ein Strohlager vor der Wand und sagte: »Das ist für dich.«

»Oh.« Danke zu sagen erschien mir unangemessen.

»Bist du müde?«, fragte er.

»Nein.«

Er nickte wie zur Bestätigung einer klugen Antwort. »Ich auch nicht.«

Ich nickte ebenfalls. Wir versuchten beide, höflich zu sein. Es blieb eine Weile still.

»Willst du mir beim Jonglieren helfen?«

»Ich wüsste nicht, wie.«

»Ich zeig’s dir.«

Ich bereute, gesagt zu haben, dass ich nicht müde sei, und fürchtete, einen Narren aus mir zu machen. Aber er schaute zuversichtlich drein, und ich wollte kein Spielverderber sein.

»Na schön.«

»Wie viele Bälle kannst du halten?«

»Keine Ahnung.«

»Zeig mir deine Hand.«

Ich streckte meine Hand aus, mit dem Teller nach oben, worauf er seine darüberlegte. Ich versuchte, nicht zurückzuzucken. Seine Haut war weich und noch ein bisschen klebrig vom Essen. Die Fingerkuppen streiften meine und fühlten sich sehr warm an.

»Ungefähr gleich groß. Fangen wir erst einmal mit zweien an. Nimm diese.« Er zeigte auf sechs kleine Lederbälle, wie sie von Gauklern benutzt wurden. Gehorsam nahm ich zwei davon.

»Wenn ich’s dir sage, wirfst du mir einen zu.«

Normalerweise hätte ich mich so nicht herumkommandieren lassen. Aber aus irgendeinem Grund klangen die Worte aus seinem Mund nicht wie Befehle. »Jetzt«, sagte er. Ich ließ den Ball von meiner in seine Hand fliegen und sah ihn in der Luft kreisen.

»Und jetzt.« Ich warf den anderen Ball.

»Das machst du gut«, lobte er.

Ich fühlte mich verspottet und schaute ihn an. Aber seine Miene war ernst.

»Fang!« Ein Ball flog auf mich zu, wie die Feige am Esstisch.

Was ich zu tun hatte, war nicht schwer, und ich hatte meinen Spaß daran. So warfen wir uns gegenseitig die Bälle zu. Es war ein Vergnügen, und wir lachten.

»Es ist schon spät«, sagte er schließlich und gähnte. Ich schaute zum Fenster hinaus und sah den Mond hoch am Himmel stehen. Es überraschte mich, wie schnell die Zeit vergangen war.

Ich setzte mich auf mein Strohlager und schaute ihm dabei zu, wie er sich zum Schlafengehen zurechtmachte. Er wusch sich mit dem Wasser aus einer Kanne mit breiter Tülle und löste das Lederband von seinen Haaren. In der Stille kehrte meine Beklommenheit zurück. Wieso war ich hier?