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»Jetzt dreht er völlig durch«, sagte Ben. »Was ist los? Hat dir die Todesangst den Verstand geraubt?«

Mike antwortete nicht. Bis zu dieser Sekunde hatte er nicht einmal gewußt, daß es das Gerät, von dem er sprach, an Bord der NAUTILUS überhaupt gab, geschweige denn, welche Art von Anschlüssen es besaß. Auch Trautman sah ihn an, als zweifle er ernsthaft an seinem Verstand - aber plötzlich sprangen Singh und er auf ein gemeinsames Kommando hin auf und stürzten davon. Mike hörte ihre Schritte auf der metallenen Treppe nach unten poltern.

Es dauerte nicht einmal fünf Minuten, bis Trautman und Singh zurückkamen. Mikes Augen weiteten sich ungläubig, als er das kleine Metallstück sah, das Trautman wie einen kostbaren Edelstein in beiden Händen vor sich her trug. Verblüfft beobachtete er, wie Trautman das Ventil mit einer einzigen, raschen Bewegung am Ende der Preßluftflasche befestigte und es mit einem hörbaren Klicken einrastete.

»Es paßt!« keuchte Trautman. »Gott im Himmel, es ... es paßt!« Er fuhr herum. »Hört auf zu pumpen! Ich brauche den Schlauch - schnell!«

Binnen einer Minute hatten sie die schwere Handpumpe abmontiert und das Ende des Druckschlauches mit dem Ventil verbunden. Trautman drehte an einem kleinen Rad an der Flasche, und sie alle konnten hören, wie sich die Preßluft zischend ihren Weg durch den Schlauch und in die Kammer hinter dem geschlossenen Stahlschott bahnte.

»Es paßt!« sagte Trautman noch einmal. Fassungslos schüttelte er den Kopf, starrte Mike kurz an und wandte sich dann den anderen zu.

»Ihr helft Singh!« befahl er. »Pumpt so viel Luft in den Raum, wie es nur geht. Mike und ich gehen auf die Brücke. Ich schicke ihn wieder zu euch, wenn ihr aufhören könnt. Komm!«

Das letzte Wort galt Mike. Trautman wartete nicht ab, ob er seinen Befehl befolgte, sondern war bereits wieder auf dem Absatz herumgewirbelt und rannte abermals die Treppe hinunter.

Mike folgte ihm, so schnell er konnte. Ihn schwindelte. Er mußte sich an der Wand abstützen, um auf der schmalen Treppe nicht den Halt zu verlieren. Mit schleppenden, kleinen Schritten legte er den Weg zum Kommandoraum zurück, wo Trautman bereits wieder hinter den Kontrollinstrumenten des Schiffes stand und fieberhaft an den Schaltern und Hebeln hantierte. Als Mike eintrat, sah er kurz auf und wandte sich wieder dem Schalttisch zu.

»Wie tief sind wir schon?« erkundigte sich Mike.

»Viertausend Meter«, antwortete Trautman. »Und wir sinken immer noch.«

Viertausend Meter! Mike spürte ein eisiges Frösteln. Plötzlich vermeinte er das Gewicht der Millionen und Abermillionen Tonnen von Wasser über seinem Kopf fast körperlich zu spüren. Und wie um seine Angst noch zu erhöhen, hörte er in diesem Augenblick wieder jenes schreckliche, knirschende Geräusch, als stöhne die NAUTILUS unter den Schmerzen, die ihr der unvorstellbare Wasserdruck zufügte.

»Schaffen wir es?« fragte er leise.

Trautman hob zur Antwort nur die Schultern. »Ich glaube, wir sinken schon nicht mehr ganz so schnell«, murmelte er. »Aber ich weiß nicht, ob es reicht.«

Die Zeit schien stehenzubleiben. Mike hatte das Gefühl, daß die Sekunden träge verstrichen, während die Zahlen auf dem Tiefenmesser auf Trautmans Pult nur so dahinzurasen schienen. Die NAUTILUS sank auf viereinhalbtausend, dann auf fünftausend Meter, bis auch Mike zu erkennen glaubte, daß sich die Geschwindigkeit ihres Absinkens allmählich verlangsamte.

»Fünfeinhalbtausend«, mumelte Trautman. Er schüttelte den Kopf. »Unglaublich.«

»Wie tief sind Sie jemals zuvor getaucht?« fragte Mike.

Trautman zögerte einige Sekunden.

»Fünfhundert Meter«, sagte er dann.

»Dann sind wird jetzt elfmal so tief«, murmelte Mike.

»Unglaublich«, sagte Trautman noch einmal. »Ich hätte es nicht für möglich gehalten. Das Schiff hätte längst zerbrechen müssen.«

Mike wollte antworten, doch in diesem Moment ging eine spürbare Erschütterung durch den Rumpf der NAUTILUS, und er hielt erschrocken den Atem an, sicher, in der nächsten Sekunde das furchtbare Geräusch berstender Stahlplatten zu hören, gefolgt von dem Rauschen und Sprudeln, mit dem sich das Wasser seinen Weg ins Innere des Schiffes bahnte.

Doch das geschah nicht. Statt dessen hörten die Zahlen auf dem Tiefenmesser auf, sich zu bewegen. Bei etwas mehr als fünfeinhalbtausend Metern Wassertiefe hörte ihr Sturz auf. Die NAUTILUS stand still.

»Ich glaube, wir schaffen es«, flüsterte Trautman atemlos. »Sie haben das Wasser hinausbekommen. Wir sinken nicht mehr.«

»Dann ... dann sind wir gerettet?« fragte Mike. »Wir können wieder auftauchen?«

»Noch nicht«, antwortete Trautman nach einem Blick auf seine Instrumente. »Und wenn, dann nur sehr langsam. Daß das Schiff nicht längst wie eine Konservendose zerquetscht worden ist, ist ein Wunder. Ich fürchte, es könnte auseinanderreißen, wenn ich die Maschinen zu schnell hochfahre.«

Er schwieg eine Weile, dann sah er auf und blickte Mike nachdenklich an. »Also los«, sagte er. »Raus mit der Sprache. Woher hast du das gewußt? Nicht einmal ich wußte es, und ich kenne dieses Schiff wie meine Westentasche.«

Mike hatte die Frage erwartet. Es war ihm klar gewesen, daß sie der einzige Grund war, aus dem Trautman ihn allein mit heruntergenommen hatte, denn es gab absolut nichts für ihn zu tun hier unten.

»Ich weiß es nicht«, sagte Mike hilflos. »Ich meine, ich ... ich wußte einfach, daß es passen wird. Aber ich habe keine Ahnung, woher ich es wußte.«

»Das klingt nicht sehr überzeugend«, sagte Trautman. »Aber es ist so«, antwortete Mike hilflos.

»Bitte lüg mich nicht an«, sagte Trautman. »Das ist wirklich nicht der Moment für Geheimnisse.«

»Aber ich weiß es doch nicht!« antwortete Mike, und vielleicht war es der hörbare Unterton von Verzweiflung in seiner Stimme, der Trautman Abstand von weiteren Fragen nehmen ließ. Mit einem erleichterten Seufzer ließ er sich in seinem Kommandosessel zurücksinken, schloß für einen Moment die Augen und atmete dann tief ein.

Mike wartete einige Sekunden lang mit klopfendem Herzen darauf, daß Trautman eine neue Frage stellte, doch als dies nicht geschah, wandte er sich um und ging langsam zu dem großen Panoramafenster an der Seite des Salons hinüber. Auf der anderen Seite der Scheibe war nichts als Schwärze, eine solch absolute, schattenlose Finsternis, wie Mike sie niemals zuvor erblickt hatte. Trautman hatte die großen Scheinwerfer am Bug der NAUTILUS eingeschaltet, die helle, scharf abgegrenzte Bahnen in die Dunkelheit rissen, ohne daß darin irgend etwas zu erkennen war, aber das Licht schien die sie umgebende Finsternis nur noch zu betonen. Mike suchte vergeblich nach irgendeiner Bewegung, irgendeinem Anzeichen von Leben. Fische oder andere Lebewesen schien es in dieser Wassertiefe nicht mehr zu geben.

Dann glaubte er doch etwas zu sehen. Am Rande des Lichtkegels erschien für einen Moment etwas Großes, Massiges, sonderbar Fließendes - doch als er genauer hinsah, war es verschwunden. Wahrscheinlich hatten ihm seine überanstrengten Nerven nur einen Streich gespielt.

Mike stand eine gute Viertelstunde vor dem Aussichtsfenster und starrte in die Dunkelheit, ehe das Geräusch von Schritten in seine Gedanken drang und er sich wieder umdrehte. Unter der Tür des Salons erschien ein zu Tode erschöpft aussehender Singh, gefolgt von vier weiteren Gestalten, die vor Schwäche und Anstrengung mehr hereintaumelten, als sie gingen. Trotzdem war auf ihren Gesichtern der Ausdruck großer Erleichterung zu erkennen.

»Wie sieht es aus?« fragte Singh.

»Fünftausendvierhundert Meter«, verkündete Trautman. Aus Singhs Gesicht wich jedes bißchen Farbe, aber Trautmans Stimme klang beinahe fröhlich, als er fortfuhr: »Wir steigen bereits wieder. Es geht langsam, aber wir haben wieder Auftrieb.«