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Mike nickte, und Arronax fuhr in versonnenem Tonfall fort, zu erzählen.

»Ich glaube, ich kann ohne falsche Scheu behaupten, daß es nicht viele auf der Welt gibt, die mehr über Atlantis wissen als ich. Und doch ist es mir nie gelungen, einen wirklichen Beweis für die Existenz des untergegangenen Reiches zu finden. Die Taucherglocke, die ich in den letzten Jahren bauen ließ, sollte es mir ermöglichen, diesen Beweis zu erbringen, aber leider ist es anders gekommen. Mir war aber immer klar, daß Atlantis mehr als eine Legende sein mußte. Es gibt zu viele Geschichten darüber, zu viele Überlieferungen, zu viele Hinweise und Unstimmigkeiten, die nicht anders zu erklären gewesen wären. Seht ihr, fast alle alten Völker wissen von Göttern zu erzählen, die über unvorstellbare Macht verfügt haben sollen.«

»Und?« fragte Ben. »Aberglaube, mehr nicht.«

»Das denken die meisten«, antwortete Arronax. »Doch wenn man genau hinsieht, dann stimmt das nicht mehr. Ich habe Legenden von allen Völkern rund um den Globus zusammengetragen, und was ich entdeckt habe, kann kein Zufall gewesen sein. Diese Götter wurden überall gleich beschrieben, ob bei den alten Ägyptern, den Chinesen, den Maya oder den Germanen: Stets waren sie groß, hellhäutig und hatten blondes Haar. Und stets wurde ihre Herkunft gleich angegeben: die Insel der Götter im Atlantik. Es heißt, daß eine gewaltige Flut ihr Inselreich verschlungen haben soll und ihre Überlebenden sich mit den Menschen vermischten. Sie waren es, die die ersten großen Kulturen gründeten und über sie herrschten. So jedenfalls ist es überliefert worden - nicht nur in einigen alten Schriften, sondern in sehr vielen.«

»Na und?« fragte Ben. »Was bedeutet das schon?«

»Das Mädchen, wie sah es aus?«, sagte Arronax. »Schlank, mit heller Haut und blondem Haar«, sagte Trautman.

»Aber das beweist doch gar nichts«, sagte Ben. »Ein altes Volk, das über die ganze Welt geherrscht haben soll! Pah!«

Arronax lächelte gutmütig. »Als man die Gräber der fünf ersten ägyptischen Pharaonen öffnete, stellte man fest, daß sie keine Ägypter waren, sondern Angehörige eines hochgewachsenen, hellhäutigen Volkes.«

»Ja, wahrscheinlich waren es Dornröschens Brüder, wie?« maulte Ben. Er klang unsicher.

»Eher ihre Urgroßneffen«, verbesserte Arronax. »Nach meinen Forschungen muß Atlantis vor mehr als fünftausend Jahren untergegangen sein. Die Legende sagt, daß seine Herrscher ein Volk von Magiern waren, die über das Wasser geboten. Sie vermochten Sturmfluten heraufzubeschwören oder zu besänftigen, sie konnten es regnen oder jahrzehntelange Dürren über die Länder ihrer Feinde kommen lassen, und es heißt, daß sie sich im Wasser zu bewegen vermochten, als wäre dies ihr natürliches Element.«

»Das Mädchen hatte keinen Fischschwanz«, sagte Ben. Arronax ignorierte ihn. »Es gibt viele Legenden, die vom Untergang von Atlantis berichten«, fuhr er fort. »Die Menschen haben die verschiedensten Gründe für die Katastrophe erfunden, die Atlantis verschlang - von dem, daß seine Bewohner in ihrer Machtgier die Götter selbst herausforderten, bis zu dem, daß ein Meteor vom Himmel fiel und Atlantis auslöschte. Mir persönlich erscheint eine Erklärung am wahrscheinlichsten, die ich in einer uralten phönizischen Schrift gefunden habe; zumindest nach dem, was ich nun von euch und Trautman erfahren habe. Nach dieser Schrift sollen die Zauberkönige von Atlantis jahrtausendelang über ihr Inselreich geherrscht und es zu unvorstellbarer Blüte gebracht haben. Sie waren ein Volk von Zauberern, aber sie waren auch sehr umsichtig und weise und lebten mit der Natur in Einklang, nicht wie wir in Konkurrenz. Eines Tages aber begann sich eine schreckliche Krankheit unter den Zauberkönigen auszubreiten. Einige starben sofort, andere wurden wahnsinnig, allen jedoch entglitt die Kontrolle über die furchtbare Macht, über die ihr Geist gebot. Sturmfluten, Taifune, Seebeben und Überschwemmungen suchten Atlantis heim, und alle Versuche der alten Zauberer, der Krankheit Herr zu werden, mißlangen. Schließlich begriffen sie, daß ihr Reich dem Untergang geweiht war, und so taten sich die letzten und mächtigsten Magier von Atlantis zusammen, um wenigstens einem von ihnen das Überleben zu sichern. Es heißt in dieser Legende, daß sie ein Haus auf dem Meeresgrund bauten, in dem die letzte Prinzessin von Atlantis einen magischen Schlaf schläft, der so lange währen soll, bis es einem späteren, nach ihnen kommenden Volk gelungen sein wird, die Krankheit zu besiegen. Und es heißt weiter«, schloß Arronax mit einem Blick auf den Kater, »daß sie einen Wächter bei ihr zurückließen, der unsterblich war und die Jahrtausende hindurch über sie wachte.«

Für einige Augenblicke breitete sich eine fast atemlose Stille in der Kabine aus, Aller Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf Astaroth, der beharrlich weiter so tat, als schliefe er. Schließlich war es Ben, der das Schweigen brach.

»Ja«, sagte er höhnisch. »Er wartet, bis ihre Feinde die Schuhe ausziehen, dann schlägt er blitzartig zu.«

Arronax' Blick drückte vollkommenes Unverständnis aus, während es in Trautmans Augen ärgerlich aufblitzte. Ben grinste, lehnte sich in seinem Stuhl zurück - und kämpfte mit wild rudernden Armen um sein Gleichgewicht, als eines der Stuhlbeine abbrach und er haltlos nach hinten kippte.

Mit einem gewaltigen Poltern landete er auf dem Boden, sprang sofort wieder hoch und begann wütend zu fluchen.

»Deutsche Arbeit, wie?« schimpfte er. Wütend versetzte er dem zerbrochenen Stuhl einen Tritt, der ihn quer durch den Raum schleuderte und vollends in Stücke gehen ließ. »Hoffentlich fällt nicht der ganze Kahn auseinander, wenn ihn ein Windhauch trifft.«

Mike und Arronax tauschten einen Blick, aber keiner von ihnen sagte etwas. Mike lauschte in sich hinein, doch auch Astaroths Gedankenstimme blieb stumm. Und trotzdem spürte er, daß Arronax' Erzählung der Wahrheit sehr, sehr nahe gekommen war.

»Das ist unglaublich«, sagte Trautman nach einer Weile. »Aber so phantastisch es sein mag - es hilft uns im Moment nicht weiter. Wenn es uns nicht gelingt, zu entkommen und die NAUTILUS mitzunehmen oder schlimmstenfalls zu versenken, dann wird Winterfeld zu einer Gefahr, die sich jetzt noch gar nicht abschätzen läßt.«

»Die Kuppel ist zerstört«, gab Singh zu bedenken.

Arronax wiegte betrübt den Kopf. »Ich fürchte, das allein reicht nicht«, sagte er. »Die Tatsache ihrer Existenz beweist endgültig, daß Atlantis keine Legende war - wenn es nicht die NAUTILUS schon getan hat. Und nun, wo er im Besitz des Schiffes ist, wird er nach anderen Hinterlassenschaften der Atlanter suchen. Und finden, fürchte ich.«

»So einfach dürfte das nicht sein«, sagte Trautman. »Immerhin haben Sie Ihr Leben lang geforscht, um -«

»Das ist ja gerade das Schlimme«, sagte Arronax leise. Trautman wirkte alarmiert. »Was meinen Sie damit?«

Arronax zögerte, dann sagte er, ohne einem von ihnen dabei ins Gesicht zu sehen. »Als wir die Expedition ausrüsteten, habe ich all meine Aufzeichnungen mitgenommen. Kapitän Winterfeld ist im Besitz meiner sämtlichen Unterlagen.«

Seine Worte erfüllten Mike mit eiskaltem Schrecken. Wenn Winterfeld Arronax' Aufzeichnungen und die NAUTILUS besaß ... das war unvorstellbar. Das Schiff war beschädigt, aber mit den Mitteln der LEOPOLD würde Winterfeld es zweifellos in kürzester Zeit reparieren können. Und wie sie gerade selbst bewiesen hatten, vermochte das Tauchboot Tausende von Metern tief in die See vorzudringen. Doch bevor er seine Befürchtungen in Worte fassen konnte, geschah etwas, was sie Winterfeld und seine Eroberungspläne zumindest für den Moment vergessen ließ.

Astaroth fuhr mit einem hysterisch klingenden Fauchen hoch und stieß sich von Mikes Schoß ab, wobei er so rücksichtslos von allen Krallen Gebrauch machte, daß Mike vor Schmerz aufschrie. Der Kater raste auf die Tür zu, prallte in vollem Lauf dagegen und wurde zurückgeworfen, wobei er sich zwei-, dreimal überschlug. Sofort war er wieder auf den Beinen und rannte ein zweites Mal gegen die Tür. Wie besessen versuchte er sie mit den Pfoten aufzukrallen.