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All diese Gedanken und Gefühle überfielen Mike, kaum daß er durch die Tür getreten war. Auch Astaroth reagierte auf den Anblick des Mädchens. Er erwachte jäh aus seiner Lethargie, sprang mit einem schrillen Laut von Mikes Armen herunter und war mit einem gewaltigen Satz auf dem Bett. Der Arzt machte instinktiv einen Schritt vor, um ihn davonzuscheuchen, aber Winterfeld hielt ihn mit einer raschen Bewegung zurück. Astaroth stieß ein lautes Miauen aus, war mit einem einzigen Sprung neben der Schulter des Mädchens und begann seinen Kopf schnurrend an ihrem Gesicht zu reiben. Seine Krallen gruben sich mit schnellen, regelmäßigen Bewegungen immer wieder in das Kissen, und er wedelte heftig mit dem Schwanz.

Serena blinzelte. Ihre Lider senkten sich und blieben eine Sekunde geschlossen, und als sie sie wieder hob, war in ihren Augen etwas Neues, das bisher nicht dagewesen war. Das Mädchen wirkte noch immer betäubt wie eine Schlafwandlerin, doch der Funke von Leben in ihren Augen glomm jetzt heller. Sie bewegte den Kopf nicht, aber ihre Augen suchten den Kater, und obwohl ihr Gesicht völlig reglos blieb und sie nicht eine Miene verzog, glaubte Mike mit einem Male so etwas wie ein Lächeln darauf zu erkennen. Schließlich hob sie, ganz langsam, zitternd und voller Mühe, den Arm, streckte die Hand aus und legte die Finger zwischen die Ohren des Katers. Astaroth schnurrte immer lauter und kuschelte sich in ihrer Halsbeuge zusammen.

»Unglaublich«, sagte der Arzt. »Wir haben alles versucht, aber sie hat auf nichts reagiert. Sie scheint dieses Tier zu kennen.«

Winterfeld wandte sich zu Mike um. »Ich glaube, ich habe dich schon wieder unterschätzt«, sagte er. »Ein Meerkater, wie? Und ihr habt das Tier auf dem Grund des Ozeans gefunden?«

»Ich habe es Ihnen ja gesagt«, antwortete Mike knapp. »Ja«, seufzte Winterfeld. »Das hast du. Aber - gibt es vielleicht ein paar Dinge, die du mir nicht gesagt hast?«

»Das müssen Sie schon selbst herausfinden«, erwiderte Mike patzig.

Winterfeld wurde nicht zornig, wie er erwartet hatte. Es schien überhaupt recht schwierig zu sein, diesen Mann aus der Ruhe zu bringen oder wirklich zu verärgern.

Da niemand etwas dagegen zu haben schien, trat Mike mit vorsichtigen Schritten an das Bett heran und beugte sich über die schlafende Prinzessin. Er sah dem Mädchen jetzt direkt in die Augen, aber noch immer war kein Erkennen darin zu sehen. Es waren nicht mehr die Augen einer Statue, aber ihr Blick schien geradewegs durch Mike hindurch und in unbekannte Fernen zu gehen, und für einen Moment glaubte er einen Ausdruck von solchem Schmerz und Leid zu erkennen, daß es ihn schauderte.

»Wer ist dieses Mädchen?« fragte Winterfeld.

Mike schüttelte den Kopf: »Ich weiß es nicht.«

»Du enttäuscht mich, mein Junge«, sagte Winterfeld.

»Du hast doch mit Arronax gesprochen. Hat er dir nicht erzählt, daß ich im Besitz seiner Aufzeichnungen bin?«

»Wenn Sie es wissen, warum fragen Sie dann?«

Diesmal sparte sich Winterfeld eine Antwort. Er trat auf der anderen Seite an das Bett heran und streckte die Hand aus, um das Mädchen zu berühren, doch er hielt inne, als Astaroth ein drohendes Fauchen hören ließ und die Zähne bleckte.

»Und ich glaube, da haben wir auch ihren Wächter«, sagte Winterfeld. Die Worte klangen kein bißchen spöttisch, und der Ausdruck auf seinem Gesicht zeigte Respekt. Nach einigen Sekunden trat Winterfeld vom Bett zurück, und der Kater beruhigte sich wieder.

»Was haben Sie mit ihr vor?« wollte Mike wissen.

Winterfeld lächelte beruhigend. »Vorerst nichts. Außer ihr zu helfen, versteht sich. Später ...« Er zuckte mit den Achseln. »Wir werden sehen. Nachdem die Kuppel zerstört ist, ist dieses Mädchen möglicherweise alles, was vom Volk der Atlanter geblieben ist. Aber du mußt dir keine Sorgen machen. Es liegt mir fern, ihr irgend etwas anzutun.«

»Solange sie Ihnen sagt, was Sie wissen wollen, nicht wahr?«

»Ich glaube, du hast zu viele schlechte Romane gelesen«, erwiderte Winterfeld mit gutmütigem Spott.

»Selbst wenn ich der wäre, für den du mich offensichtlich hältst, hätte ich längst begriffen, daß Gewalt selten zu einer befriedigenden Lösung führt.«

»Warum wenden Sie sie dann immer wieder an?«

»Weil es manchmal nicht anders geht«, erwiderte Winterfeld in einem Tonfall, der Mike zeigte, daß ihn sein Mißtrauen verletzt hatte. »Eines Tages wirst du begreifen, warum ich all das hier tue. Aber jetzt ist nicht der Moment, darüber zu reden. Wir sind hier, um diesem Mädchen zu helfen. Für alles andere ist später Zeit.«

Er trat einen Schritt beiseite und gab dem Arzt einen Wink. Dieser trat ans Bett und beugte sich über das Mädchen. Wieder stieß Astaroth ein drohendes Fauchen aus und zeigte die Zähne, und der Arzt schrak zurück.

»Nicht, Astaroth!« sagte Mike. »Er will ihr nur helfen.«

Eine Sekunde lang starrte der Kater ihn aus seinem einzelnen, unheimlich leuchtenden Auge an, dann wurde er ruhig und ließ es zu, daß der Doktor sie mit seinem Stethoskop abzuhören begann.

Winterfeld sah Mike nachdenklich an, und noch bevor er etwas sagte, begriff Mike, daß er vielleicht einen nicht wieder gutzumachenden Fehler begangen hatte.

»Du kannst dich also mit ihm verständigen«, stellte Winterfeld fest.

»Es ist ... ein sehr kluges Tier«, stammelte Mike. »Manchmal glaube ich tatsächlich, daß er mich versteht.«

Winterfeld lächelte nur, und Mike sah selbst ein, wie wenig überzeugend diese Worte klangen.

Unter Astaroths mißtrauischen Blicken untersuchte der Arzt Serena sehr vorsichtig, aber sehr gründlich. Schließlich trat er vom Bett zurück und machte ein ernstes Gesicht. »Sie ist sehr schwach«, sagte er. »Aber das ist nicht alles. Irgend etwas stimmt nicht mit ihr. Ich kann nicht sagen, was.«

»Kannst du uns helfen?« fragte Winterfeld.

Der Kater hatte bisher beharrlich geschwiegen, und seine lautlose Gedankenstimme drang auch jetzt nicht in Mikes Kopf. Trotzdem war Mike ziemlich sicher, daß er - zumindest über den Umweg durch den Kater - mit dem Mädchen in Verbindung hätte treten können. Aber er glaubte auch zu spüren, daß Astaroth ihm jetzt nicht antworten würde.

»Nein«, antwortete er einsilbig.

»Du machst es nur schwerer für uns alle«, sagte Winterfeld. Er schüttelte leicht den Kopf. »Aber gut, ganz wie du meinst. Wir haben Zeit genug.« Er gab den beiden Soldaten, die mit ihm hereingekommen waren und die ganze Szene bisher schweigend, aber mit offensichtlichem Staunen verfolgt hatten, einen entsprechenden Wink. »Bringt ihn zurück zu den anderen.«

Sie bekamen einen weiteren Beweis für Winterfelds Großzügigkeit, denn einer der beiden Soldaten, die Mike zurückbegleiteten, erklärte, daß er mit Trautman zu den anderen gehen durfte. Natürlich mußte Mike Arronax und Ben ausführlich erzählen, wie es ihm ergangen war, und natürlich hatte jeder der anderen eine andere Meinung dazu; sowohl zu dem, was Mike erlebt hatte, als auch zu dem, was davon zu halten war. Vor allem Ben verkündete lautstark, daß man Winterfeld auf keinen Fall trauen dürfe und seine vermeintliche Freundlichkeit gar nichts anderes als ein Trick sein konnte.

Aber Mike war davon mittlerweile nicht mehr so überzeugt wie noch vor einer Stunde, als man ihn zu Winterfeld gebracht hatte. Er war weit davon entfernt, irgendwelche freundschaftlichen Gefühle für Kapitän Winterfeld zu hegen oder ihm gar zu trauen - aber es fiel ihm auch immer schwerer, Winterfeld als den gewissenlosen Verbrecher zu sehen, als den ihn Ben gerne hingestellt hätte. Und zumindest Trautman schien es ganz ähnlich zu ergehen, denn er beteiligte sich kaum an der Auseinandersetzung, sondern wurde immer nachdenklicher und stiller; und manchmal - wenn er glaubte, Mike merke es nicht - warf er ihm einen sonderbaren Blick zu.