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»Ich weiß es nicht«, antwortete Mike. »Aber ich -«

Ein Krachen und Splittern erscholl. Mike, Winterfeld und alle anderen fuhren herum und starrten auf den Medizinschrank, in dem eines der kleinen Glasfläschchen explodiert war.

Es blieb nicht das einzige. Fasziniert und entsetzt zugleich sah Mike, wie die Flüssigkeiten in den kleinen Glasfläschchen plötzlich zu brodeln begannen. Winzige Taifune schienen ihre Oberflächen zu kräuseln - und dann explodierten die Fläschchen eines nach dem anderen und jedes mit größerer Wucht. Der ganze Schrank zitterte, eine Sekunde später flogen die gläsernen Türen wie unter einem Hammerschlag auseinander und überschütteten die Männer in ihrer unmittelbaren Nähe mit Scherben und Splittern.

Panik brach aus. Die Männer rissen schützend die Arme vor das Gesicht und versuchten die Tür zu ereichen, wobei einige von ihnen gegeneinanderstießen und zu Boden stürzten. Von draußen drängten die auf dem Gang zurückgebliebenen Soldaten herein, alarmiert durch den Schuß und die Schreie.

Nun begannen auch die größeren Behälter und Tiegel zu zittern; manche explodierten, wie die kleinen Glasfläschchen zuvor, andere hüpften wild auf und ab oder flogen auch wie von Geisterhand bewegt urplötzlich durch die Luft, um an den Wänden oder auf dem Boden zu zerschellen, und nicht wenige davon trafen Winterfelds Männer.

Mike war überrascht einen Schritt zurückgetaumelt, als das Chaos losbrach, aber er war - vielleicht mit Ausnahme Winterfelds, der die Wahrheit zumindest zu ahnen schien - der einzige, der wußte, wer für diese plötzliche Katastrophe verantwortlich sein mochte. Geduckt und die Arme schützend über dem Kopf zusammengeschlagen, um nicht von einem herumfliegenden Trümmerstück im Gesicht getroffen zu werden, versuchte er sich an Serena zu wenden, doch er hatte kaum einen halben Schritt getan, da fühlte er sich wie von einer unsichtbaren Faust getroffen und so wuchtig gegen die Wand geschleudert, daß ihm die Luft wegblieb und er nichts als bunte Sterne sah. Hilflos sackte er zu Boden.

Als er wieder halbwegs klar denken - und sehen - konnte, hatte sich die Krankenstation in ein wahres Chaos verwandelt. Fast alle von Winterfelds Männern lagen auf dem Boden, viele von ihnen bluteten aus Schnittwunden, die ihnen die herumfliegenden Glassplitter zugefügt hatten, und wer noch auf den Beinen war, der versuchte aus dem Raum zu kommen.

»Serena, hör auf!« schrie Mike. Eine unsichtbare Gewalt tobte durch den Raum und begann alles zu zerschmettern, was sich ihr in den Weg stellte. Das Licht flackerte, und in die Schreie der Männer und das noch immer anhaltende Klirren des zerberstenden Glases mischte sich ein unheimliches an- und abschwellendes Wimmern.

Mike rappelte sich hoch und versuchte abermals Serena zu erreichen. Er wußte plötzlich, daß das hier nur der Anfang war. Serena hatte die unvorstellbaren Kräfte entfesselt, über die sie, genau wie ihre Vorfahren, die Zauberkönige von Atlantis, gebot und deren Macht längst nicht damit erschöpft war, Winterfelds Männer anzugreifen und Gläser explodieren zu lassen. Bevor er jedoch zum Bett kam, wurde er zurückgerissen. »Bist du verrückt geworden?« schrie Winterfeld und begann ihn auf die Tür zuzuzerren. Mike versuchte mit aller Kraft, Winterfelds Griff zu entkommen. »Aber ich muß -«

»Willst du, daß sie dich umbringt?« unterbrach ihn Winterfeld. »Nichts wie raus hier!« Ohne weiter auf ihn zu hören, zerrte er Mike hinter sich her.

Bevor sie auf den Korridor hinausliefen, wandte Mike noch einmal den Kopf und sah zu Serena zurück, und das Bild, das sich ihm bot, ließ ihn bis ins Innerste erschauern: Serena stand hoch aufgerichtet in ihrem Bett. Ihr Gesicht war jetzt nicht mehr ausdruckslos, sondern zu einer Maske aus Zorn und Schmerz geworden, und ihr Haar und ihr Gewand schienen von einem unsichtbaren Sturmwind gepeitscht zu werden.

Winterfeld zerrte ihn vollends aus dem Raum und versetzte ihm einen Stoß, der ihn in die Arme eines Soldaten taumeln ließ. Gleichzeitig begann er mit lauter Stimme Befehle zu erteilen.

»Tür zu!« rief er. »Und verbarrikadiert sie. Das Mädchen darf auf keinen Fall herauskommen!«

»Aber hören Sie mir doch zu!« schrie Mike verzweifelt. »Sie können sie nicht aufhalten, glauben Sie mir! Nur ich kann es versuchen!«

Seine einzige Möglichkeit, sich mit Serena zu verständigen, war Astaroth gewesen. Jetzt, wo der Kater tot war, mußte er direkt mit ihr in Verbindung treten. Und etwas sagte ihm, daß es ihre einzige Chance war, mit dem Leben davonzukommen. Er mußte plötzlich wieder an das denken, was er von Arronax erfahren hatte - Atlantis war untergegangen, weil seinen Herrschern die Fähigkeit abhanden gekommen war, ihre unheimlichen Kräfte zu kontrollieren.

Aber Winterfeld beachtete ihn nicht. Die Tür, die er hinter sich zugeworfen hatte, begann jetzt unter einer Reihe harter Schläge zu erzittern, und in dem massiven Metall entstanden gewaltige Beulen, als tobe auf der anderen Seite ein außer Rand und Band geratener Elefant. Vier, fünf Soldaten zugleich warfen sich gegen die Tür und versuchten sie zuzudrücken, aber nicht einmal das schien auszureichen.

»Winterfeld!« schrie Mike, so laut er konnte. »Lassen Sie mich zu ihr! Vielleicht kann ich sie aufhalten!«

Aber Winterfeld schüttelte nur den Kopf und machte eine befehlende Geste. »Bringen Sie den Jungen zurück. Und schicken Sie Verstärkung hierher. Die Männer sollen einen Balken oder irgend etwas mitbringen, um die Tür zu verstärken!«

Mike hätte am liebsten losgeheult. Er versuchte noch einmal, Winterfeld zuzuschreien, daß er ihn in die Kabine und zu Serena lassen sollte, aber der Soldat zerrte ihn bereits grob hinter sich her, in Richtung Treppe.

Weitere Soldaten kamen ihnen entgegen, und schließlich stolperte Mike, angetrieben durch eine Reihe unsanfter Stöße, auf das Deck der LEOPOLD hinauf.

Was er sah, erschreckte ihn bis ins Mark. Vor einer halben Stunde, als er zur Krankenstation hinuntergebracht worden war, war der Himmel über dem Schiff wolkenlos und klar gewesen; von jenem fast unnatürlich strahlenden Blau, wie man es nur in diesem Teil der Welt und selbst hier nur selten zu sehen bekommt. Jetzt wirkte diese Farbe verwaschen und blaß. Am Horizont begannen sich schwarze Wolken zusammenzuballen, und das Meer wirkte stumpf wie ein Spiegel, den jemand mit Schmirgelpapier bearbeitet hatte. Das Wimmern, das er schon unten im Schiff gehört hatte, war jetzt viel deutlicher zu vernehmen, und er spürte ein ganz sachtes Kribbeln auf der Haut, wie vor einem bald ausbrechenden Gewitter.

Auch sein Begleiter hatte den plötzlichen Wetterumschwung bemerkt und hielt mitten im Schritt inne. Ein verblüffter Ausdruck erschien auf seinem Gesicht, und Mike faßte ein letztes Mal Hoffnung. »Ich muß zurück!« sagte er. »Bringen Sie mich zurück zu Winterfeld - bitte! Sehen Sie nicht, was -«

»Ich sehe, daß ein Gewitter kommt«, unterbrach ihn der Soldat und versetzte ihm einen derben Stoß zwischen die Schulterblätter. »Na und? Und jetzt mach keinen Ärger, oder ich mache dir welchen.«

Mike gab auf. Der Mann konnte gar nicht verstehen, was dieser vermeintliche »Wetterumschwung« zu bedeuten hatte. Es war kein Unwetter; und schon gar kein normales. Aus den dunklen Wolken am Horizont wurden schwarze, gigantische Wolkengebirge, die mit geradezu unheimlicher Schnelligkeit über den Himmel herankrochen, und noch bevor Mike und sein Begleiter den Achteraufbau des Schiffes erreichten, heulten die ersten Sturmböen über das Deck der LEOPOLD. Mike spürte, wie das gewaltige Schiff unter seinen Füßen zu zittern begann. Das Kribbeln auf seiner Haut wurde stärker. Der Sturm näherte sich dem Schiff mit geradezu unheimlicher Schnelligkeit. Als sie die metallene Treppe hinuntergingen, die zu dem Korridor mit ihren Quartieren führte, war das Heulen des Sturmes bereits so laut geworden, daß es selbst hier drinnen deutlich zu hören war. Es wurde rasch dunkler.