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Trautman wirkte nicht überrascht - Mike war sicher, daß er genau diesen Vorschlag von Winterfeld erwartet hatte. »Wir werden bleiben, solange wir können«, sagte er. »Die NAUTILUS ist nicht groß genug, um alle Ihre Männer aufzunehmen, aber -«

»Ich fürchte, dazu bleibt Ihnen keine Zeit«, sagte Winterfeld leise. »Schauen Sie.«

Seine ausgestreckte Hand wies nach Norden, und Mike wußte, was er sehen würde, noch bevor er sich herumdrehte und ebenfalls dorthin blickte.

Am Horizont, noch weit, unendlich weit entfernt, entstand eine dünne, glitzernde Linie, nicht mehr als ein Strich aus unterbrochenem Silber, der sich von dem Schwarz der Gewitterwolken abhob. Aber sie wußten alle, was es bedeutete. Es war eine zweite, wahrscheinlich noch gigantischere Welle, die das Schiff diesmal unweigerlich zerschmettern mußte.

Sie rannten los. Als sie die Reling erreichten, war aus dem dünnen Strich am Horizont eine fingerbreite Linie geworden, und Mike glaubte bereits wieder jenes unheimliche Grollen und Rumoren zu hören, das das Nahen der Riesenwoge ankündigte.

Die NAUTILUS lag unter ihnen. Zwei der vier armstarken Seile, mit denen sie an der LEOPOLD vertäut war, waren gerissen, aber das Schiff wies zumindest äußerlich keine Beschädigungen auf, und selbst die Strickleiter, die von der Reling zum Turm des Tauchbootes hinunterführte, war noch da. Juan und Ben stiegen unverzüglich hinab, während Singh Chris auf die Arme nahm und wartete, bis er an der Reihe war. Es würde knapp werden. Selbst wenn die Maschinen der NAUTILUS wieder tadellos funktionierten, wußte Mike, daß sie eine, wenn nicht zwei Minuten brauchen würden, um das Schiff zu tauchen, und er war nicht sicher, daß ihnen noch so viel Zeit blieb.

Trotzdem versuchte er ein letztes Mal, Trautman zu überzeugen. »Wir können Serena nicht einfach hierlassen!« flehte er. »Sie wird sterben!«

»Das wird sie«, antwortete Trautman ernst. »Aber es gibt nichts, was du für sie tun könntest. Sie würde auch dich töten, wenn du es versuchtest.«

Mike wußte, daß genau das geschehen würde, sollte er Serena auch nur in die Nähe kommen. Der Tod des Katers hatte das Mädchen offenbar um den Verstand gebracht. Sie war so rasend vor Zorn, daß sie keinen Unterschied mehr zwischen Freund und Feind machte, und vielleicht konnte sie das auch gar nicht mehr. Möglicherweise, dachte Mike schaudernd, hatten sie alle das Wort Wächter falsch verstanden, und Astaroths Aufgabe war es gar nicht gewesen, Serena vor der Welt zu schützen, sondern die Welt vor Serena. Aber diese Erkenntnis kam etwas zu spät.

Juan und Ben hatten die NAUTILUS erreicht und verschwanden bereits in der Turmluke, und als nächster machte sich Singh auf die kurze, aber lebensgefährliche Kletterpartie. Mike sah rasch nach Norden. Die Wasserwand war näher gekommen, und was bisher nur ein Verdacht gewesen war, wurde jetzt zur Gewißheit: sie war um vieles größer als die erste Woge.

»Das ist das Ende«, flüsterte Trautman. »Hoffentlich schaffen es Arronax und seine Leute.« Er deutete auf die Strickleiter, und Mike streckte gehorsam die Hände nach der Reling aus, um sich darüberzuschwingen. Als er das Metall berührte, schoß ein grausamer Schmerz durch seine Seite.

Mike krümmte sich. Für eine Sekunde sah er nichts als Rot und Flammen. Es war, als hätte ein weißglühender Speer seine Hüfte getroffen, und der Schmerz war so entsetzlich, daß er nicht einmal schreien konnte; schlimmer als alles, was er jemals zuvor gespürt hatte. Wimmernd sank er auf die Knie und blickte an sich herab, überzeugt, eine grauenhafte Wunde zu sehen, die er sich bei seinem Sturz zugezogen und bis jetzt noch gar nicht bemerkt hatte.

Aber er war völlig unversehrt. »Was ist mit dir?« fragte Trautman erschrocken. »Hast du dich verletzt?«

Mike hörte die Worte kaum. Er bekam noch immer keine Luft, und spürte, wie er das Bewußtsein zu verlieren begann. Alles drehte sich um ihn. Er fühlte eine Pein wie nie zuvor im Leben, einen Schmerz, der ... nicht sein eigener war.

Im gleichen Moment, in dem er dies begriff, erlosch die Qual.

Mike fand sich erschöpft und nach Luft ringend am Boden sitzen, einen vollkommen fassungslosen Trautman über sich stehen, der auf ihn einredete. Doch Mike hörte nicht zu, denn ganz plötzlich wußte er nicht nur, woher dieser Schmerz gekommen war, sondern auch, was er bedeutete ...

So schnell, daß Trautman nicht dazu kam, eine Bewegung zu machen, um ihn aufzuhalten, sprang Mike in die Höhe und rannte mit Riesensätzen auf die Tür zu, hinter der die Treppe zur Krankenstation lag ...

Wenn er geglaubt hatte, oben an Deck Bilder vollkommener Zerstörung erblickt zu haben, so war dies falsch gewesen. Die restlose Verheerung begann erst hier unten. Die metallenen Wände, die Decke, ja selbst der Fußboden waren verbogen und zerbeult und zermalmt, wie von Hammerschlägen tobsüchtiger Riesen getroffen. Türen waren aus den Angeln gerissen und meterweit durch die Luft geschleudert worden, und auch die Einrichtungen der Kabinen, an denen er vorbeikam, waren völlig zerstört. Hier und da lag eine Waffe, die einer der Soldaten auf seiner Flucht fallengelassen hatte. Überall in den Wänden gähnten große, ausgezackte Löcher, und aus manchen ragten die Reste zerborstener Wasserleitungen oder -tanks, die Serena mit ihren unheimlichen Kräften zur Explosion gebracht hatte.

Aber Mike beachtete all dies kaum, sondern rannte weiter, so schnell er nur konnte. Seine Logik sagte ihm, daß er praktisch keine Chance mehr hatte. Was er oben gesehen hatte, war, als wäre das Meer selbst aufgestanden, um die winzigen Wesen abzuschütteln, die sich einbildeten, es zu beherrschen. Taumelnd und nach Atem ringend, erreichte er die Krankenstation - oder das, was davon übrig war. Winterfelds Männer hatte die Tür verbarrikadiert, ganz wie es ihnen der Kapitän befohlen hatte, aber es hatte nichts genutzt. Die Tür war nicht aufgebrochen - sie war einfach - verschwunden, und mit ihr der allergrößte Teil der Wand, in die sie eingelassen gewesen war. Der Raum dahinter sah aus, als wäre gleich ein ganzes Dutzend Bomben darin explodiert. Von der Einrichtung war im wahrsten Sinne des Wortes nichts übriggeblieben. Mikes Mut sank, als er sah, daß Serenas außer Kontrolle geratenen Kräfte das Mobiliar regelrecht in Kleinholz verwandelt hatten.

Dann hörte er das Miauen.

Es war ein kläglicher, dünner Ton, der im Brüllen des Orkans beinahe unterging, aber Mike hörte ihn trotzdem ganz deutlich. Mit wilden Blicken sah er sich um - und entdeckte den Kater in einem Winkel des Raumes, wo er halb begraben unter verbogenen Trümmerstücken lag.

»Astaroth!« schrie er. »Gott sei Dank, du lebst!«

Aber nicht mehr lange, wenn du weiter da rumstehst und Maulaffen feilhältst, antwortete die lautlose Stimme des Katers in seinen Gedanken. Wieso hat das so lange gedauert?

Mike antwortete nicht, sondern war mit einem Satz bei dem schwarzen Tier und hob es vorsichtig auf die Arme. Astaroth wimmerte vor Schmerz, und Mike fuhr erschrocken zusammen, als er sah, wie schwer er verletzt war. Die Kugel hatte seine Hüfte durchbohrt und eine Wunde hinterlassen, an der ein Mensch wahrscheinlich gestorben wäre. Ganz bestimmt sogar, verbesserte sich Mike in Gedanken, schließlich hatte er den furchtbaren Schmerz des Katers gespürt.

»Du armer Kerl«, sagte er. »Es tut mir -«

Kümmere dich jetzt nicht um mich, unterbrach ihn der Kater. Wo ist die Prinzessin?

»Oben an Deck«, antwortete Mike. »Sie zerstört das ganze Schiff. Winterfelds Männer haben versucht, sie aufzuhalten, aber es ist ihnen nicht gelungen.«