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Sie war herrlich in ihrem Zorn. Ihre Pupillen weiteten sich, sie zog den Zigarettenrauch ein, blies ihn zur Decke empor und wußte genau, daß sie sich in Hassa hoffnungslos verliebt hatte.

Hassa sah sie betrübt an.

»Ich wollte Sie nicht verletzen, Asiadeh«, sagte er betrübt.

»Ich frage nicht aus Neugierde, sondern — na ja — sondern… Sie verstehen schon? Wie soll ich mich ausdrücken? Äh.« Er verstummte, verlegen um sich blickend. Vielleicht sollte er doch eine Einführung in die Psychoanalyse lesen. Asiadeh sah ihn belustigt an. Diese Menschen in Europa waren ahnungslos in allen Sachen des Gefühls. Es fehlte eben der Istanbuler Schliff. Sie legte die Zigarette weg und sah ihn mitleidsvoll an. »Erzählen Sie«, sagte sie schlicht.

»Mir ist in meinem Leben etwas Seltsames geschehen. Deswegen frage ich andere Menschen nach Liebe aus. Ich war einmal verheiratet und bin geschieden.«

Asiadeh sah ihn still und unschuldig an. Ihr Mund war leicht geöffnet, und die Oberlippe schob sich nach oben. Plötzlich beugte sie ihr Gesicht nach vorn und hustete heftig. Die Europäer waren seltsame Menschen.

»Ich verstehe«, sagte sie mitleidsvoll. »Die Frau bekam keine Kinder und Sie haben sie verstoßen.«

»Kinder?« Hassa blickte erstaunt auf. »Wieso Kinder? Marion wollte ja gar keine Kinder haben.«

Jetzt staunte Asiadeh. »Sie wollte keine Kinder? Aber dazu war sie doch da.«

»Ach Gott«, stöhnte Hassa. »Das Problem lag ganz woanders. Ich hatte einen guten Freund. Er kam immer zu uns. Eines Tages ging dann Marion mit ihm durch.« Er zuckte mit den Achseln, und Asiadehs Augen wurden rund vor Staunen. Endlich schien sie zu begreifen.

»Aha«, sagte sie. »Sie verfolgten die beiden und töteten sie. Seitdem verbergen Sie sich im Auslande vor Gerichten und Bluträchern. Ich kann Sie verstehen. Ich kenne viele Fälle wie den Ihrigen.«

Hassa war beinahe beleidigt bei dem Gedanken, daß Asiadeh ihn für eines Mordes fähig hielt.

»Ich brauche mich vor niemandem zu verbergen, und die Gerichte sind auf meiner Seite«, sagte er stolz.

Asiadeh schüttelte den Kopf. »Bei uns«, sagte sie, »würde man die Frau mit einer wilden Katze zusammenbinden, sie in einen Sack stecken und in den Bosporus werfen. Den Mann würde man erdolchen. Jedermann würde es für gerecht halten. Verbergen sich denn Ihre Feinde so gut?«

»Nein«, sagte Hassa traurig. »Diesen Sommer waren sie im Salzkammergut. Übrigens… wieso Feinde?«

Asiadeh schwieg. Es hatte keinen Sinn, diesem Menschen das Wesen der Liebe zu erklären. Hassa saß da unbeholfen und gebückt, wie hinter einer Glaswand. Asiadeh blickte in die geleerte Mokkatasse und empfand eine leise Genugtuung. Es war ganz angenehm, daß Hassa so allein war.

»Was halten Sie von Psychoanalyse?« fragte er plötzlich.

»Was bitte?« Asiadeh war außerordentlich erstaunt. Diese Menschen dachten so anders als die Paschas am Bosporus.

»Psychoanalyse«, wiederholte Hassa.

»Was ist das?«

»Psychoanalytiker sind Menschen, die den anderen in die Seele schauen wie ich in den Hals.«

»Schrecklich.« Asiadeh zuckte zusammen. »Wie kann man seine Seele einem Fremden zeigen. Das ist doch schlimmer als Vergewaltigung. Das darf nur ein Prophet oder ein Kaiser. Ich würde den Menschen umbringen, der es wagen würde, mir in die Seele zu schauen. Dann kann man auch nackt über die Straße gehen.« Sie schwieg und strich sich mit der Hand über die Stirn. Plötzlich sah sie Hassa mit großen und strahlenden Augen an und lächelte demütig und freudig zugleich. »Mir sind Menschen, die in den Hals schauen, um vieles lieber.«

Es kostete Hassa einige Mühe, sich nicht über das grauäugige Mädchen zu stürzen. »Fahren wir«, rief er von plötzlicher Lebensfreude ergriffen, und Asiadeh nickte willenlos.

Sie gingen zum Auto, und ihre Hände waren fest umschlungen. Es war Nacht geworden. Die geraden Reihen der Straßenlaternen vereinten sich in der Ferne. Asiadeh starrte in das Licht und dachte weder an das Haus am Bosporus noch an den Pascha, der zu Hause saß und auf sie wartete. Hassa war groß und unverständlich wie ein exotisches Tier, und sein Auto glich im nächtlichen Schein einem großen waffenstrotzenden Elefanten. Sie bestiegen den Wagen. Der Asphalt schwand unter den Rädern wie der Nebel beim nahenden Wind. Sie fuhren den Kurfürstendamm entlang und bogen zur Avus ein. Die viereckigen Häuser mit flachen Dächern waren vom Lichte der Scheinwerfer erhellt. Das Gerüst des Funkturms ragte zum Himmel empor und glich einer Stahllanze. Sie fuhren über die breite Avus eng aneinandergerückt und schweigsam. Hassa drückte auf den Gashebel, und der Geschwindigkeitszeiger stieg. Feuchter Wind schlug in Asiadehs Gesicht. Hassa sah ihre wehenden Haare und graue erstarrte Augen. Er steigerte die Geschwindigkeit und fühlte, wie bei der Biegung Asiadehs Hand seine Schulter umfaßte. Das Auto raste durch die Nacht, wie von einer übersinnlichen Kraft getrieben. Die Formen der äußeren Welt schwanden in eintönigem, großartigem Grau. Das Blut klopfte in Hassas Schläfen. In der Raserei der Geschwindigkeit offenbarten sich ihm die Zuckungen eines nie erlebten Liebestaumels. Der Asphalt unter Hassas Scheinwerfern glich einem rollenden endlosen Band. Die Frau neben ihm war plötzlich nahe und erreichbar, wie für ewig im Wirbel der Geschwindigkeit ihm ausgeliefert. Asiadeh saß regungslos, mit halbgeschlossenen Augen von dem unerwarteten Gefühl der Hingabe ergriffen. Sie umfaßte den Fenstergriff, und alles Gegenwärtige schien im Rausche der vorbeisausenden Kilometer zu verschwinden. Der Wagen verwandelte sich in einen schwebenden Teppich, und der nächtliche Wind drückte sie immer näher und näher zu dem fremden Mann, der, rätselhaft mit ihr vereint, vom gleichen Wirbel erfaßt einem unsichtbaren Ziel entgegengetragen wurde. Sie blickte auf das Armaturenbrett. Der Zeiger zeigte irgendeine Zahl an, und sie wußte nicht mehr, ob es viel oder wenig sei. Sie saß da, aufgelöst im Wind, in der Geschwindigkeit, im spukhaften Scheinwerferlicht des fernen Funkturms.

»Genug«, flüsterte sie erschöpft, und eine trunkene Müdigkeit stieg in ihr auf. Hassa fuhr langsam und bestürzt in die Stadt. Er schwieg, und seine schönen Augen waren traurig und erleichtert. Er schien blaß und müde. An der Uhlandstraße hielt er. Asiadehs Hand legte sich um seinen Hals, und er beugte sein Gesicht zu ihr. »Danke«, sagte Asiadeh mit leiser, wie von weit her kommender Stimme. Hassa fühlte die Wärme ihres Gesichtes und den heftigen Atem der kindlich-weichen Lippen. Seine Hand berührte ihre Wange, und er schloß die Augen. Asiadehs Lippen waren ganz nahe. Er beugte sich vor und öffnete die Augen. Ihr Gesicht war regungslos und sie blickte ängstlich und sehnsüchtig in die Ferne. »Danke«, sagte sie nochmals und stieg aus dem Wagen. Sie verschwand wortlos im Haus, und Hassa starrte ihr bestürzt und erschöpft nach.

6

»…Und es sprach das Volk der Chinesen: ›Rotten wir die Türken aus. Es soll kein Türkenvolk mehr geben.‹ Da sprachen aber der Himmel der Türken und die heilige Erde und das heilige Wasser der Türken: ›Nicht vergehen soll das Volk der Türken. Möge es uns erhalten bleiben.‹ Dieses sprechend, ergriff der Himmel meinen Vater Ilteres-Khan an den Haaren und hob ihn hoch über das ganze Volk. Und mein Vater, der Khan, sprach…«

Asiadehs Finger verfolgten angestrengt die runenartigen Zeichen der Inschrift. »Eigentlich ›verkündete‹ und nicht ›sprach‹«, dachte sie müde, und die geheimnisvollen eckigen Striche der uralten Schrift schwammen vor ihren Augen.

Vor Jahrtausenden errichtete ein wildes Volk in den Steppen der fernen Mongolei barbarische Denkmäler seiner Größe. Das Volk wanderte ab, aber die rauhe Schrift blieb. Verwittert und rätselhaft blickte sie in die Öde der mongolischen Steppen, in die dunklen Spiegel der kalten namenlosen Flüsse. Steine zerfielen. Nomaden zogen an ihnen vorbei und blickten scheu und angstvoll auf die verschütteten Denkmäler vergangenen Ruhms. Wanderer aus fernen Ländern verirrten sich hie und da in die wilde Öde der mongolischen Steppen. Sie brachten die Kunde von der rätselhaften Schrift nach dem Westen. Reisen wurden ausgerüstet, geübte Hände schrieben die geheimen Runen ab. Dann lagen sie auf säuberlichem Papier gedruckt in den stillen Stuben der Gelehrten. Trockene geäderte Hände streichelten liebevoll die geheimnisvollen Zeichen. Gerunzelte Stirnen beugten sich über die Blätter. Langsam wich das Geheimnis der Schrift, und von den eckigen verwitterten Hieroglyphen ertönte das Geheul der Steppenwölfe, erstand das ferne Nomadenvolk, erstand ein wilder Führer auf kleinem langmähnigem Pferd, erklang die dunkle Kunde von uralten Abenteuern, Kriegen und Heldentaten.