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Asiadeh zuckte fassungslos die Achseln. Sie trauerte einem Prinzen nach, der gar kein Prinz mehr war und der sie nie gesehen hatte. Sie nahm einen Bleistift und zeichnete um den Namen des Prinzen ein schön geschwungenes Ornament. »Asiadeh ist eine Gans«, schrieb sie darunter und hatte plötzlich das Gefühl, als sei sie ihr ganzes Leben in einen wirren Wachtraum versunken gewesen. Sie hob die Hand und strich mit langsamer Bewegung die Haare aus der Stirn. Dann suchte sie in ihrer Ledermappe, fand ein Blatt, ergriff eine Füllfeder und schrieb langsam und bedächtig »An Seine Kaiserliche Hoheit den Prinzen Abdul-Kerim-Effendi.« Sie blickte lange auf die Überschrift und war überzeugt, nicht minder wahnsinnig zu sein als die letzten Osmanen. Dann schrieb sie:

»Kaiserliche Hoheit! Sie haben mich nie gesehen und werden sich vielleicht kaum noch meines Namens erinnern. Seine Majestät unser erhabener Kaiser und der Beschützer aller Gläubigen hatte einst bestimmt, daß ich, so Gott uns gnädig sein wird, in das Palais Ew. Hoheit einziehen sollte, um Eure gehorsamste Sklavin und treuste Gattin zu werden.

Ich bin sehr arm, Hoheit, denn Gott hat es nicht gewollt. Ich wohne jetzt in Berlin und besuche das Haus des Wissens, in dem ich die Geschichte der erlauchten Ahnen Ew. Hoheit studiere. Trauer erfüllt mich, denn ich bin ganz einsam. Ich trage keinen Schleier mehr, und sehr viel fremde Männer können mich sehen. Strafen Sie mich, o Gewaltiger! Aber es ist für eine entschleierte Frau schwer, der Sünde nicht zu verfallen. Ich sinke zu Ihren erhabenen Füßen und flehe Sie an: nehmen Sie mich zu sich, wo immer Sie sind, damit ich Ihnen dienen kann und dieselbe Luft wie Sie atmen kann. Wenn Sie geruhen, Kellner zu werden, werde ich abends nach der Arbeit Ihre Füße massieren, wenn Sie ein Taxi durch die engen Straßen einer fremden Stadt fahren, werde ich Ihnen Flaschen mit heißem Kaffee auf den Weg geben und zu den Haltestellen gehen, um Ihnen zuzuwinken. Sollte aber die Gnade Ew. Hoheit mir für immer versagt bleiben, so flehe ich Sie an, mich zu verstoßen, auf daß ich mich frei fühle und zum Abgrund eile, den man Liebe nennt und der das Schicksal der Entschleierten ist. Denn ich bin jung, Hoheit, und meine Erziehung im väterlichen Hause war noch nicht beendet, als uns dieses Haus genommen wurde. Deshalb bin ich schwach und habe noch nicht die Geduld und Beherrschung, die Gott den Frauen als Pflicht auferlegt hatte. Ich denke oft an Sie, an Ihr Palais am Bosporus und an die Bäume, die in Ihrem Garten wuchsen und an denen ich vorbeifuhr, als ich noch glaubte, einst in ihrem Schatten ruhen zu dürfen. Zürnen Sie mir nicht, Hoheit, denn ich bin Ihre Sklavin, angekettet an die Pflicht, Ihnen zu gehorchen, die unser Kaiser und Herr mir anbefohlen hat.«

Asiadeh unterschrieb und steckte den Brief in den Umschlag. Dann nahm sie ihn wieder heraus und schrieb errötend die Nachschrift: »Und sollte mir Ew. Allerhöchste Antwort versagt bleiben, so fürchte ich mich, das als Zeichen Eurer Ungnade zu deuten, einer endgültigen Ungnade, die mich in die Arme einer fremden Liebe treiben wird.«

Sie verklebte den Brief und blickte unschlüssig auf den Umschlag. Kein Mensch wußte, wo sich der Prinz aufhielt. Ihre Zungenspitze glitt aus dem Mund und verschob sich langsam aus dem rechten Mundwinkel in den linken. Sie schrieb:

»An die Regierung der türkischen Republik — zu Händen des landesverwiesenen Prinzen Abdul-Kerim. Sehr wichtig! Bitte nachsenden!«

Es bestand keinerlei Hoffnung, daß der Brief je ankommen werde. Sie erhob sich und verließ die Bibliothek. Der glatzköpfige Bibliothekar blickte ihr nach, voll Anerkennung und Achtung. »Welch fleißige Studentin«, dachte er. »Ob sie habilitieren wird? Sie sollte der Wissenschaft erhalten bleiben.«

Indessen ging Asiadeh durch die Dorotheenstraße. Hassa winkte ihr zu. Sie stieg in den Wagen, und Hassa sagte, daß es schön wäre, eine Hochzeitsreise im Wagen durch Italien zu machen. »Halt«, sagte Asiadeh. Hassa hielt. Sie stieg aus, ging zum Briefkasten und warf den Brief ein. Zurückgekehrt, lehnte sie sich in die Kissen und sagte etwas nachlässig: »Nach Italien? Meinen Sie? Das kann sehr schön sein.« Sie verstummte und blickte zum Fenster hinaus. Sie hatte Hassa sehr lieb.

7

Achmed-Pascha saß im Café »Watan« und wußte, daß sein Leben in Unordnung geriet. Der Inder hinter der Theke spielte mit einem Rosenkranz. Smaragd, der bucharaische Kellner, servierte Kaffee, und der Tscherkesse Orchan-Bei meinte, daß die Wege Allahs unergründlich seien.

»Die Religion verbietet es nicht«, sagte Smaragd, denn im Café »Watan« gab es keine Geheimnisse.

»Nein«, sagte der Pascha traurig. »Die Religion verbietet es nicht.«

Der Priester der Achmedia-Sekte trat auf ihn zu und streichelte seinen Bart: »Alle sind in einem und einer ist in allem«, sagte er rätselhaft. »Durch Vereinigung des Fleisches zur Vereinigung des Blutes.« Er trank einen Scherbett und gab dem Pascha eine Zigarette.

Der indische Professor legte den Rosenkranz weg und sagte finster:

»Gott hat durch den Mund des Propheten gesprochen: Lieber ein gläubiger Sklave als ein ungläubiger Hund.«

»Das bezieht sich nur auf Heiden«, unterbrach ihn Smaragd. »Der Imam von Buchara hat darüber einen Kommentar geschrieben.«

Alle schwiegen darauf, und der Tscherkesse verschwand im Nebenzimmer.

»Eigentlich ist er gar kein Ungläubiger«, sagte der Pascha. »Er ist ein Freigeist.«

Er nickte betrübt, und der Inder sagte teilnahmsvolclass="underline" »Wie richtig Sie urteilen, Exzellenz, und reich ist er auch.«

Der dicke Syrer trat ins Kaffeehaus und nahm sofort die Haltung eines Propheten ein.

»Was ist Geld?« sagte er. »Staub vor dem Throne des Allmächtigen. Wo sind die Millionen Abdul-Hamids? Retteten sie seinen Thron? Ein heiliger Mann aus der Wüste Nedschd hat gesagt…«

Er beendete den Satz nicht, denn Smaragd stellte den Kaffee vor ihn hin, und der Professor sagte melancholisch und teilnahmslos: »Wie richtig Sie urteilen!«

Minuten vergingen, und der Pascha hob den trockenen, braunen Finger und bestellte noch einen Kaffee. Seine Augen blickten dabei sorgenvoll in die Leere, und er dachte, daß, wenn der Vetter aus Kabul nicht bald wieder Geld schickte, er doch noch als Sachverständiger in ein Teppichgeschäft eintreten werde.

Ein leises Geflüster unterbrach die Stille des Kaffeehauses. Ein Marokkaner sprach auf Smaragd ein: »… und da ergriff er den Säbel und metzelte eintausend Ungläubige nieder. Das ganze Rif ist auf seiner Seite. Alle Kabylen. Er marschiert auf Fes. Er wird Kalif werden, und die Stunde der Ungläubigen hat dann geschlagen…«

»Wie richtig Sie urteilen«, sagte Smaragd begeistert und schenkte Kaffee ein.

Im Nebenzimmer ertönte die Stimme des Tscherkessen. »Kommen Sie nur, mein Bruder, der Pascha wird sich freuen.« Er trat ein und führte an der Hand einen rundlichen, bärtigen Mann mit finstern und gleichsam kindlichen Augen.

»Exzellenz«, sagte der Tscherkesse, »darf ich Ihnen Herrn Ali Sokolowic, Kaufmann aus Sarajewo, vorstellen?«

Der Bosniake verbeugte sich und war sichtlich erfreut, mit einem leibhaftigen Pascha zu sprechen.

»Aus Sarajewo«, sagte der Pascha, und seine Augenbrauen bewegten sich, »es ist eine berühmte Stadt.«