Asiadehs Augenwimpern zucken.
»Meinst du, daß deine Freunde mich fragen werden, ob ich dich liebhabe?«
»Sicher.«
»Ich werde jedem die Nase abbeißen, der mich danach fragt. Es geht die andern nichts an.«
Sie steht vor Hassa, ihre Hand berührt seinen Arm, und sie spricht halb flehend, halb scherzhaft: »Ach, Hassa, laß mich einen Schleier tragen. Es wird besser sein.«
Hassa lacht, und Asiadeh rüttelt ihn an den Schultern.
»Lach nicht so einfältig«, ruft sie erbost. »Du bekommst eine sehr gute Frau.«
Sie läuft in das Vorzimmer und zieht ihren Mantel an. Hassa begleitet sie zum Kaffeehause, wo Achmed-Pascha auf sie wartet, und sie umklammert fest ihre Handtasche. In der Handtasche liegt der Brief des nicht existierenden und landesverwiesenen Prinzen, der nicht unterschreiben will.
Sie betritt das Kaffeehaus und setzt sich an den kleinen Marmortisch. Achmed-Paschas Hände sind über der Marmorplatte gefaltet. Seine kleinen schwarzen Augen blicken zu Asiadeh hinüber. Er spricht, und Asiadeh denkt an den landesverwiesenen Prinzen, an Hassa und an die Kaiserstadt Wien, an deren Toren die Macht der Osmanen brach.
»Ja«, sagt sie. »Ich liebe ihn.« Sie blickt gerade vor sich hin und preßt die Lippen zusammen.
»Niemand weiß, was im Buche steht«, sagt der Pascha, »wenn er morgen ein Bein verliert oder seinen Verstand oder sein Geld oder seine Liebesglut, was tust du dann?«
»Ich werde ihn noch immer lieben und eine gute Frau sein.«
»Es kommt vor, daß Männer launisch sind oder vergrämt. Die Frauen haben es nicht leicht, wenn Gott ihre Männer prüft.«
Asiadeh überlegt kurz. Dann meint sie entschlossen:
»Wenn er widerwärtig wird, so sperre ich ihn für eine Weile ein und spiele mit seinen Kindern. Er wird viele Kinder haben, und es wird nie langweilig sein.«
Der Pascha sieht seine Tochter anerkennend an. »Sie ist eine kluge Frau«, denkt er, »sie weiß, worauf es ankommt.«
»Männer sind leichtfertig«, sagt er. »Und dem heutigen Menschen fehlt oft der sittliche Halt. Unausdenkbarer Greuel kommt heute in den Ehen vor. Es gibt Männer, die ihren Samen an andere Frauen vergeuden als an die, die ihnen Gott gegeben hat.«
»Ich weiß«, nickt Asiadeh und schiebt die Unterlippe vor, »das nennt man Ehebruch. Aber das kommt doch unter Menschen nicht vor. Das machen Tiere, und Hassa ist doch ein Mann mit Bildung.« Sie zuckt unbeholfen mit den Schultern und blickt fassungslos auf den Marmortisch. Achmed-Pascha räuspert sich. Er hat eine gute Tochter, aber es gibt so viel Tiere unter den Menschen, und eine junge Frau ist wehrlos und unerfahren.
Asiadeh scheint seine Gedanken zu erraten.
»Ich war fünfzehn Jahre alt, als wir Istanbul verließen«, sagt sie und errötet. »Ich sollte doch einen Prinzen heiraten und wurde darauf vorbereitet. Diener ohne Geschlecht haben mir beigebracht, was ein Geschlecht an das andere bindet. Ich kann mich mit den Frauen der Ungläubigen messen.«
Sie blickt stolz vor sich hin, und ihr Gesicht wird blaß. Der Pascha wird verlegen. Bei Gott — er hat seine Tochter unterschätzt. Hassa wird sie nicht betrügen.
Dann runzelt er die Stirn, und sein Gesicht bekommt einen autoritären Ausdruck.
»Wir sind ein Kriegsvolk«, sagt er, »wir waren vierhundertvierundvierzig Mann, als Ertogrul uns nach Anatolien führte. Aber wir waren tapfer und waghalsig, deshalb gab uns Gott die Herrschaft über die halbe Welt. Unsere Frauen müssen schön, tapfer und klug sein und dürfen nie weinen. Vergiß es nicht. Die Frau hat nur eine Pflicht — dem Mann zu dienen und Kinder zu erziehen. Der Mann aber hat auch andere Pflichten — er muß kämpfen und das Haus verteidigen — heute ebenso wie einst. Deshalb kann er nie ganz der Frau gehören. Es ist wichtig, das zu wissen, um glücklich zu sein. Aber eine kluge Frau dient und wird bedient, und wer zum Herrschen geboren ist, herrscht auch hinter dem Schleier.«
Der Pascha schweigt eine Weile, er scheint in Gedanken und Erinnerungen versunken zu sein. Dann sagt er mit harter Stimme:
»Der beste Schatz des Menschen ist eine tugendhafte Frau, das hat noch unser Prophet gesagt. Du wirst mir keine Schande machen. Wenn aber ein Schatten auf dich fällt, so komm zu mir — dann töte ich dich selbst. Ich will nicht, daß das ein Ungläubiger tut. Kannst du dich an deine Mutter erinnern?«
»Ja, Vater. Die Mutter stand am Springbrunnen und trug ein weites rotes Gewand, sie hatte eine helle Haut und einen Ring am Zeigefinger. Ich war damals drei Jahre alt. Mehr weiß ich nicht.«
Der Pascha nickt. »Deine Mutter war eine gute Frau. Ich habe drei Frauen verstoßen, bis ich sie gefunden habe. Ich gab für sie acht große Diamanten und den Ertrag von vier Dörfern. Denn gute Frauen sind viel seltener als gute Diamanten. Sie starb in Ehren, noch bevor die Sünde ins Land kam. Sei wie sie, sonst wird dich dein Mann verstoßen.«
Asiadeh beugt den Kopf. Sie denkt an Hassas schräge Augen und unbeholfene Gestalt im Zwielicht der abendlichen Dämmerung.
»Mein Mann wird mich nicht verstoßen«, sagt sie überzeugt, »es sei denn, daß ich es selbst will.«
Sie lacht, und der Pascha versteht nicht, was sie meint, denn auch er ist nur ein Mann und hat acht große Diamanten für seine Frau gegeben, die ihm dann Gott genommen hat. Er blickt auf Asiadeh und denkt, daß sie in einer Woche weg sein wird, anders als seine Frau, aber auch weg. Er blinzelt mit seinen kleinen schwarzen Augen und fühlt sich alt und verfallen. Einst gab es ein Haus mit Marmorhof und Fontäne. Einst gab es Regimenter in bunter Tracht und Fahnen mit großem Halbmond. Es gab stille Frauen, Paläste und würdige Männer, mit denen man zu Rate saß. Es gab die Herrschaft über drei Erdteile und über Millionen Menschen. Alles war weg, und was übrigblieb, verfiel oder ging weg, wie die blonde Asiadeh, die einen Barbaren heiratet, wie seine Söhne, die hinauszogen, um das Haus Osman zu verteidigen und nicht mehr heimkehrten wie er selbst, mit dem Körper, mit gebücktem Gang und der Erinnerung an die strahlende Sonne Istanbuls und die rotbekleideten Negerbataillone am Freitag, am Platze Ak-Maidan, vor den großen Moscheen.
»In einer Woche wirst du eine Frau sein«, sagt er leise und erhebt sich. Asiadeh sieht ihn an, sieht sein verstörtes runzliges Gesicht und fühlt sich plötzlich wie eine Fahnenflüchtige vom Felde der Verbannung.
»Sei eine gute Frau«, sagt der Pascha müde, und sie nickt und antwortet tapfer: »Zu Befehl, Exzellenz.«
9
Das Hotel hieß Srbski Kralj, das Kaffeehaus hieß Rußki Zar, und die Stadt hieß Belgrad. Hassa schlenderte durch die Fürst-Michael-Straße, und Asiadeh blieb vor den Geschäften am Terapia-Platz stehen und führte tiefsinnige Gespräche mit den Geschäftsleuten.
Abends wanderten sie durch den stillen Park zwischen dem Hotel und dem Save-Fluß oder aßen auf der glasverdeckten Veranda ungeheure serbische Austern, seltsame Gewürze und Speisen, die Asiadeh bestellte und deren Namen Hassa nicht aussprechen konnte. Nach dem Essen versenkte Asiadeh Augen und Nase in die winzigen dampfenden Kaffeetassen, leerte sie in kleinen Zügen und sah Hassa dankbar und hingebungsvoll an. Dann gingen sie durch die große Halle am schmunzelnden Portier vorbei, Hassa schloß die Zimmertür hinter ihnen zu, und Asiadehs Körper wurde klein und gebrechlich. Sie streckte ihm ihre Hände entgegen, und im schwachen Lichte der verhängten Tischlampe sah Hassa ihre hingebungsvollen Augen und kindlich geöffneten Lippen. Er löschte das Licht aus, und sie war schamvoll und still in ihrer schüchternen, tastenden Neugierde. Nachts wachte sie auf und sprach schlaftrunken lange und zwitschernde türkische Sätze, die Hassa nicht verstand und in deren weichem Klang er geheime Zärtlichkeiten vermutete. Frühmorgens sprang sie über Hassas Körper und verschwand im Badezimmer. Hassa folgte ihr, erkämpfte sich den Zugang zum Baderaum und ergriff die Dusche. Asiadehs Gesicht verzog sich schreckerfüllt, und sie stellte sich stockenden Atems unter den kalten Wasserstrahl. Dann rieb sie sich ab und blickte kopfschüttelnd auf Hassa, der zähnefletschend im Wasser herumplätscherte. »Barbar«, sagte sie hoheitsvoll und beglückt.