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Sie ging ins Nebenzimmer, zog sich an und glich am Frühstückstisch mit ihren hellen Haaren und langsamen Bewegungen einer vollendeten Prinzessin.

»Welcher Gedanke!« sagte Hassa. »Kein Mensch macht eine Hochzeitsreise nach Belgrad oder Sarajewo«, es klang keineswegs unzufrieden, und Asiadeh beachtete seine Worte kaum. Sie blickte in die grünen Alleen des Parks, hinter denen im hellen Morgenlicht die breite Donau glänzte, und dachte an Suleiman-Pascha, der einst mit zweihundert Mann diese Stadt gegen die Scharen des schwarzen Georg verteidigte und bis auf den letzten Mann vor den Mauern der Festung fiel. Doch war das schon sehr lange her, lange bevor Asiadeh zur Welt kam, und Hassa würde das Ganze bestimmt nicht verstehen.

»Es ist die Pforte des Orients«, sagte sie und deutete auf einen fesbedeckten Mann mit Brille und Spazierstock, der über die Straße ging. »Ich besuche einfach die Provinzen, die meine Ahnen einst erobert und dann verwirtschaftet haben.«

»Der Orient«, sagte Hassa verächtlich, »unhygienische Wohnungen und rückständige Sitten. Er wird immer mehr zurückgedrängt. In hundert Jahren wird der Orient nur noch ein geographischer Begriff sein.«

»Uhu«, sagte Asiadeh und spielte mit dem Messer. »Ich liebe ihn aber doch«, fügte sie hinzu, und Hassa dachte, daß es dem Orient galt.

Nachher gingen sie durch die Straßen, und Hassa war stolz, wenn sich die Augen seiner Frau mit Freude und Lachen füllten. Sie schleppte ihn in die dunkelsten Nebengassen, betrat die niedrigsten Kellerlokale und sprach überall türkisch in der seltsamen Annahme, daß das Volk die Amtssprache aus den Zeiten Suleiman-Paschas noch nicht vergessen habe. Einmal, es war in einer breiten Gasse dicht hinter der Nationalbank, blieb sie plötzlich stehen und blickte fassungslos erstaunt auf ein niedriges viereckiges Gebäude mit runder Kuppel und kleinem Turm.

»Eine Moschee«, sagte sie entzückt, und ihr Mund blieb offen. Sie betrat den Moscheehof. Ein alter Mann saß an einem kleinen Brunnen und wusch sich nachdenklich die Füße. Asiadeh sprach ihn türkisch an, und der Mann antwortete gebrochen, aber mit Verachtung. Asiadeh verstummte und blickte weg.

»Was sagte er?« fragte Hassa.

»Er sagt, daß die Türken Gott vergessen haben und die Frauen ohne Schleier herumlaufen. Komm.«

Sie wandte sich ab und trabte rasch zum Ausgang. Hassa folgte ihr. Sie gingen zum Café Rußki Zar, und Asiadeh hatte eine gerunzelte Stirn und finster nachdenkliche Augen. Sie trank Kaffee, und Hassa bewunderte ihr weiches mädchenhaftes Profil.

»Genug geschaut«, sagte sie streng. »Morgen fahren wir nach Sarajewo.«

Hassa nahm ihre Hände und spielte mit den kleinen rosigen Fingern. Er blickte in die lachenden und gleichsam verhängten Augen, sah die etwas kurze, leicht aufgeworfene Oberlippe, und es war ihm gleich, ob er dieses hier oder in Sarajewo tat. Asiadeh war ein Märchen, das nach den Gesetzen der exakten Logik nicht zu erfassen war. Er gab es auf, sich im Labyrinth ihrer Gedankengänge zurechtzufinden und den Ursprung des plötzlichen Lachens oder des plötzlichen Leides zu erforschen.

»Gut«, sagte er, »fahren wir nach Sarajewo!«

Sie gingen heim, und Asiadeh packte mit der Geschicklichkeit einer Nomadenfrau, die sich zu einer neuen Lagerstätte begibt.

»Paß auf«, sprach sie, »wir fahren jetzt in eine fromme muselmanische Stadt, wo man mich ehren und dich verachten wird, denn ich führe ein gottgefälliges Dasein, du aber bist ein Abtrünniger, der schlimmer ist als ein Ungläubiger. Aber fürchte dich nicht. Ich werde dich schützen, denn du bist mein Mann, und ich bin für dein Wohlergehen verantwortlich.«

»Gut«, sagte Hassa und hatte eine leise Furcht vor den robusten Vettern aus Sarajewo, die Hassanovic hießen und ihn sicherlich verachten würden.

Im Schlafwagen, in dem kleinen rötlichen Raum, stand er lange am Fenster und blickte auf die serbische Ebene, auf die Felder und die kleinen weißgetünchten Stationsgebäude und die hageren Bauern, die aus dem Zug sprangen und hastig Wasser tranken. Asiadeh berührte seine Schulter. Er wandte sich um, und sie umschlang seinen Hals. Er sah ihren nach rückwärts gebeugten Kopf und die seltsam geschnittenen Augen. Sie zog ihre Füße hoch und blieb an seinem Hals hängen, klein, zierlich und unfaßbar. Behutsam ergriff er sie und trug sie zum Bett. Sie ließ sich willig zudecken und schien sofort einzuschlafen.

Hassa kletterte die kleine Stiege hinauf, die zum oberen Schlafwagenplatz führte. Der Wagen zitterte gleichmäßig und elastisch. Hassa blickte zum Fenster. Er sah Bäume, die plötzlich und rätselhaft aus der Finsternis auftauchten und für Augenblicke den schmalen Mond verdeckten. Unten ertönte ein Knabbern. »Hassa«, rief Asiadeh, »soll ich morgen den Schleier anlegen? Wir fahren in eine sehr fromme Stadt.«

Hassa kicherte beim Gedanken, mit einer vermummten Frau verheiratet zu sein. »Nicht nötig«, sagte er sanft. »Sarajewo ist eine zivilisierte Stadt.«

Asiadeh schwieg. Die kleine blaue Birne an der Tür erhellte kaum das Innere des Schlafwagens. Asiadeh blickte auf die ledergepolsterte Wand und krabbelte mit dem Nagel am Ledermuster.

»Hör zu, Hassa«, rief sie. »Kannst du mir sagen, wie das kommt, daß ich dich so liebhabe?«

Hassa war gerührt. »Ich weiß es nicht«, sagte er bescheiden, »es wird mit meinen Eigenschaften zusammenhängen.«

Asiadeh erhob sich im Bett. »Ich liebte dich, als ich deine Eigenschaften noch gar nicht kannte«, rief sie verletzt. »Schläfst du, Hassa?«

»Nein«, sagte Hassa und streckte die Hand nach unten aus. Asiadeh ergriff seinen Finger und hielt ihn, als wäre er ein Talisman. Sie näherte ihren Mund seiner Handfläche und sprach wie in ein Telephon. Hassa verstand ihre Worte nicht, aber ihre Lippen berührten seine Handfläche und waren weich und warm.

»Asiadeh«, rief Hassa. »Es ist schön, verheiratet zu sein!«

»Ja«, antwortete Asiadeh nachdenklich, »aber ich bin ja noch eine Anfängerin. Was wird in Wien sein?«

»In Wien wird es schön sein. Wir wohnen am Opernring. Ich habe eine herrliche Wohnung, und von der Oper kommen Sänger und Sängerinnen und lassen sich behandeln.«

»Sängerinnen?« brummte Asiadeh. »Kann ich dir bei der Ordination behilflich sein?«

»Um Gottes willen! Du bist viel zu jung, und das Ganze wird dich anwidern. Nein, du wirst repräsentieren.«

»Was ist das?«

Hassa wußte es selbst nicht genau.

»Naja«, sagte er, »Auto fahren, Gäste empfangen und so… es wird sehr schön sein.«

Asiadeh schwieg. Das Fenster war ganz schwarz geworden. Der Wagen schwankte in den Biegungen des Geleises. Sie schloß die Augen und dachte an Wien und an die Kinder, die Hassas Augen haben werden.

»Bei uns«, sagte sie, »wird ein Mensch entweder Offizier oder Beamter. Wie kommt es, daß du einen so ausgefallenen Beruf ergriffen hast?«

»Heutzutage ist es viel ausgefallener, Beamter zu sein. Arzt ist ein guter Beruf. Ich helfe den Menschen!«

Hassa sagte es sehr pathetisch und dachte wie stets in solchen Fällen daran, daß das durchschnittliche Menschenalter im Laufe der letzten Zeit von 50 auf 55 Jahre gestiegen sei. Hassa fühlte sich an diesem Erfolg mitbeteiligt.

Asiadeh wußte nichts von dem durchschnittlichen Lebensalter des Menschen. Hassa war unverständlich und dennoch vertraut wie eine Maschine, die man besitzt, aber von der man nicht weiß, wie sie gebaut ist. Er lag über ihr, und sie hörte sein leises Atmen. »Schlaf nicht«, rief sie. »Deine Frau ist ganz allein. Sind wir schon in Bosnien?«

»Sicherlich«, antwortete Hassa schlaftrunken.