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»Wir fahren durch«, sagte sie zu Hassa, als sie den Zug zur Heimfahrt bestiegen. »Wir brauchen nicht in Sarajewo zu halten.«

Als sich aber in der Ferne die Gebetstürme der Zarska Dschamia zeigten, packte sie plötzlich die Koffer, ergriff Hassas Hand und sprang auf den Bahnsteig.

»Was hast du, Asiadeh?« fragte Hassa, aber Asiadeh schwieg, und sie fuhren in die Stadt und frühstückten im Hotel. Nachher gingen sie durch die Gassen des Basarviertels. In dem türkischen Gartencafé gegenüber der Zarska Dschamia saß der Derwisch Ali-Kuli und rauchte eine lange Wasserpfeife. Ihn umringten bärtige Männer mit frommen und listigen Blicken. An einem Tisch saß die Sippe Hassanovic und schlürfte Kaffee aus winzigen Tassen.

Der Derwisch erhob sich und schritt auf Hassa zu. Er verbeugte sich tief.

»Weib«, sagte er zu Asiadeh. »Du, die du das Glück hast, die Frau eines Weisen zu sein, übersetze!«

Er sprach sehr feierlich, und Asiadeh stockte der Atem.

»Weiser«, sagte er, »du gabst meinen Augen das Sehen, meiner Haut die Farbe, meinem Körper die Stärke, meinen Haaren das Wachstum. Ich werde beten, daß dein Leben hell sei, dein Bett weich, dein Weg ruhmvoll und dein Weib deiner würdig.«

Hassa verbeugte sich gerührt. Bärtige Männer umgaben ihn. Ernste und feierliche Gesichter blickten ihn an, und die Sippe Hassanovic stand neben ihm und labte sich in den Strahlen seines Ruhmes. Asiadeh war an die Mauer des Gartens zurückgedrängt. Niemand entsann sich mehr, daß sie die Tochter eines Paschas war, dessen Vater einst über Bosnien geherrscht hatte. Sie war nur ein Weib, unfähig, die geheimnisvollen Wunder zu vollbringen, die Hassas Hände vermocht hatten, unfähig, die Augen sehend, den Körper stark, die Haare wachsend zu machen, nur ein Weib, geboren, um einem würdigen Manne demütige Sklavin zu sein.

Mühselig befreite sich Hassa aus dem Ring der asiatischen Dankbarkeit. Er ergriff Asiadehs Hand und verließ schüchtern lächelnd das Lokal.

Sie gingen nach Hause, und Asiadeh schwieg, in eigene Gedanken und Gefühle vertieft. Zu Hause erklärte sie plötzlich und zu Hassas Überraschung, daß sie baden möchte. Sie sperrte sich im Badezimmer ein, und Hassa hörte das geräuschvolle Fließen des Wassers. Asiadeh badete aber nicht. Sie saß hinter der Tür angezogen am Rande der Wanne, und Tränen tropften über ihre Wangen. Sie sah, wie sich die Wanne mit Wasser füllte und schloß die Hähne. Dann saß sie auf dem Boden und weinte still und lange, ohne genau zu wissen, warum. Hassa hatte gesiegt, und es war schmerzlich und freudvoll, nicht mehr die Tochter eines Paschas, sondern die Frau eines Mannes zu sein, der den Tod besiegen konnte.

Sie wischte mit der Handfläche die Tränen ab. Das Wasser in der Badewanne war klar und dampfend. Sie legte ihr Gesicht auf die warme Wasserfläche und hielt für Augenblicke den Atem an. Ja, der alte Orient war tot. Einen Heiligen aus der Bruderschaft der Bektaschi rettete der ungläubige Hassa, der also mehr war als nur ein Mann, den eine Paschatochter liebgewonnen hatte. Sie erhob sich und trocknete das Gesicht. Sie öffnete die Tür und betrat auf Zehenspitzen das Zimmer. Hassa lag ausgestreckt auf dem Diwan und blickte auf das Muster der Zimmerdecke. Nichts verriet an ihm den Sieger und Helden. Asiadeh setzte sich zu ihm und umfaßte seinen Kopf. Sein braunes Gesicht war zufrieden und etwas verschlafen. Sie berührte mit den Wimpern seine Haut und fühlte den leisen Duft seiner Wangen.

»Hassa«, sagte sie. »Du bist ein Held. Ich werde dich sehr lieben.«

»Ja«, sagte Hassa verschlafen. »Es war nicht leicht, der asiatischen Menge zu entfliehen. Sie sprachen wie ein Wasserfall.«

Er streckte die Hände aus und fühlte seltsam erregt den mageren und schmiegsamen Körper, der widerstandslos, schwach und durstend neben ihm lag. Er zog ihn an sich. Asiadehs Augen waren geschlossen, und der Mund lächelte.

13

Es war eine große Wohnung im ersten Stock eines vornehmen Hauses am Ring. Zwei Tanten, runzlige Gesichter mit verklärten und schweigsamen Augen, behüteten sie in Hassas Abwesenheit. Asiadeh gewann ihre Zuneigung durch einen tiefen Knicks, den sie in Istanbul gelernt hatte, als sie während des Krieges einer Erzherzogin vorgestellt werden sollte.

Durch die Fenster der Wohnung sah man die breite Straße und die grünen Bäume des Burggartens. Asiadeh beugte sich aus dem Fenster und atmete die milde Luft Wiens ein, den Duft der Blumen, der fernen Wälder und grünen Hügel Österreichs. Sie ging durch die Wohnung, und die Tanten übergaben ihr freudig lächelnd die Schlüssel zu den Schränken, Kammern und Kellern.

Hassa lief durch die Zimmer und hatte die Augen eines Kindes, das ein längst vergessenes Spielzeug wiedergefunden hatte. Er faßte Asiadeh am Arm und schleppte sie durch das lange Speisezimmer, mit den dunklen lederbeschlagenen, kühl wirkenden Stühlen. Er führte sie in den Salon — ein Erkerzimmer, das beinahe nur aus Fenstern bestand und mit weichen hellen Sesseln ausgestattet war. Asiadeh sah den Ordinationsraum mit den weißgetünchten Wänden und unzähligen Metallgegenständen in den Glasschränken. Im Wartezimmer lagen vorsintflutliche Zeitschriften, und an den Wänden hingen Photographien von Menschen, denen Hassa nach eigenen Angaben das Leben gerettet haben sollte. Die Geretteten hatten stolze und erstarrte Gesichter und blickten streng auf Asiadeh herab.

Im Badezimmer angelangt, blieb Asiadeh erschöpft stehen und sah im Spiegel ihr aufgeregtes und gerötetes Gesicht.

»Wasser«, bat sie. »Bitte, Wasser. Zuviel Möbel für einmal.«

Hassa öffnete den Hahn und reichte ihr ein Glas. Sie trank langsam und genießerisch. Ihr Gesicht wurde dabei ganz ernst.

»Welches Wasser«, sagte sie erstaunt. »Das beste nach Istanbul.« Sie sah Hassas verständnisloses Gesicht und erklärte: »Du weißt, wir Türken, wir trinken keinen Wein. Dafür kennen wir uns in Wasser aus. Mein Vater unterscheidet jedes Wasser der Welt. Als Großvater nach Bosnien kam, ließ er sich Trinkwasser in großen Tonkrügen aus Istanbul nachschicken. Dieses hier ist das beste Wasser Europas.«

Sie trank weiter in kleinen Schlucken, und Hassa dachte, daß so ihre wilden Ahnen getrunken haben müssen nach langen Wanderungen am Ufer der heimatlichen Quelle.

»Bei uns«, sagte Asiadeh und setzte das Glas ab, »hat die Wohnung nur Teppiche und Diwans, die den Wänden entlang laufen. Auf dem Diwan liegen Kissen, und hin und wieder steht im Zimmer ein kleiner niedriger Tisch. Wir schlafen auf Matratzen, die auf den Boden gelegt werden. Am Tage werden die Matratzen in den Wandschränken versteckt. Im Winter stellt man in dem Zimmer ein Becken mit glühender Kohle auf, und es wird warm. Ich bin an so viel Möbel nicht gewohnt, Hassa, ich werde mich an den Tischen und Schränken stoßen, aber es macht nichts. Zeige weiter.«

Sie gingen durch den langen dunklen Korridor, und Hassa öffnete die Tür zum Schlafzimmer.

»Hier«, sagte er stolz. Asiadeh trat ein. Sie sah zwei breite aneinandergeschobene Betten, einen Wandschirm, Diwan und Tische.

»Hier, also«, sagte sie bescheiden und dachte an die entschwundene Marion, die in diesem Bette schlief und von anderen Männern träumte. Hassa schloß stolz die Tür. Er stand inmitten des Zimmers und blickte auf das Bett, auf Asiadeh, auf den kleinen runden Tisch, und sein Gesicht wurde traurig. Asiadeh berührte sein Kinn, und er sah sie mit schrägen, bittenden Augen an. Er umfaßte sie, als wolle er sich vor etwas Fremdem und Dumpfem verbergen, das sich unsichtbar aus dem Zimmer erhob. Asiadeh beugte den Kopf. Sie sah Hassas breiten Nacken und fühlte die starken Muskeln seiner Arme. Ein plötzliches Mitleid erfüllte sie. Der breite, starke Hassa, der so unbeholfen im Zimmer stand, war hilflos und arm in der Welt der ungesagten Worte und halbgedachten Gefühle. Sie streichelte seine Wange und dachte, daß sie alles tun würde, damit Hassa immer ein Wundertäter bleibe, stark und klug in der Welt der sichtbaren Formen. »Fürchte dich nicht«, wollte sie sagen. »Ich werde eine treue Frau sein.« Sie sagte es nicht. Sie hielt seinen Hals umarmt, und Hassa sah in ihren Augen die demütige Treue der asiatischen Frau.