»Komm«, sagte sie leise, »wir wollen packen.«
Nachts lagen sie in den breiten Betten eng aneinandergeschmiegt, und Hassa spielte mit ihrem Haar und sprach von seinen Freunden, von seinem Kaffeehaus, von dem Burgtheater mit der goldbeladenen Marmortreppe und von dem Leben, das beginnen wird, sobald die Sachen ausgepackt sind und die Wohnung gelüftet.
Asiadeh schwieg. Sie sah die Decke mit einem verzierten Gipsmuster und dachte an Marion, die dasselbe Muster sah und dennoch an andere Männer dachte. Sie wollte Hassa nach Marion fragen und traute sich nicht. Das Bett war weich und warm. Hassa trug einen dunklen Pyjama, und seine Wange lag auf Asiadehs Knien.
»Bleib bei mir, Hassa«, sagte sie, obwohl Hassa nirgendwo hin weg wollte. Sie richtete sich auf und sah ihn glückstrahlend an. Er lag da, lächelnd, etwas fremd, voll rätselhafter Kräfte, die sie beherrschten. Er zog sie an sich, und sie fühlte sich wie ein kleines Kind in den Armen eines großen Zauberers.
Sie schloß die Augen und spürte seine Hände, seinen Körper, seinen Atem, der plötzlich nahe und warm war. Freudige Angst ergriff sie. Langsam und schamhaft öffnete sie die Augen. Sie sah weit, weit weg ein verziertes Gipsmuster und Hassas Gesicht, das plötzlich länglich und ernst war, mit schmalen Augen, die etwas Rätselhaftes und Grausames zu sehen schienen…
Später schlief Hassa, mit hochgezogenen Beinen wie ein Kind, und seine Wange lag immer noch auf ihren Knien. Asiadeh schlief nicht. Sie starrte in die Dunkelheit. Die Wohnung glich einer Insel, und sie selbst war eine Schiffbrüchige, die sich hierher vor dem wilden Ozean gerettet hatte, den man Leben nannte. Draußen waren rätselhafte Kaffeehäuser. Männer und Frauen, die so dachten wie Hassa, aber keine Zauberer waren, ohne Gewalt über ihre Sinne und ihre Gefühle. Irgendwo draußen war Marion, deren Platz sie einnahm und von der sie nur wußte, daß sie mit einem Mann durch die Welt reiste und alle Strafen verdiente, die Gott unzüchtigen Frauen vorbereitet hatte. »Hassa«, sagte sie und zupfte an seinen Haaren, »Hassa«, er drehte sich um und räusperte sich erstaunt und verschlafen. »Es ist so viel Luft zwischen uns«, sagte Asiadeh leise. »Sei ganz nahe, Hassa.«
»Gut«, sagte Hassa und schlief weiter. Asiadeh schloß die Augen. Sie wollte, daß diese Nacht ewig dauere, ihr ganzes Leben, daß Hassa immer so neben ihr liege, wie ein schlafendes Kind und nicht weg müsse in die geheimnisvolle Welt der fremden Menschen, Taten und Worte.
Dann schlief sie ein, zusammengekauert und still. Hassas Hand lag auf ihrer Brust, und sie hielt sie fest, als wäre sie ein Kleinod, ein magisches Schutzmittel gegen die Wogen des Ozeans, die die Insel umspülten.
14
Im Ringcafé raschelten die Zeitungen. Der runzlige Ober erkannte Hassa zuerst. Er grüßte und rief dem Kellner zu:
»Einen Fiaker und die ›Medizinische Wochenschrift‹ für den Herrn Doktor, wie immer!«
Dann blieb er in gebückter Haltung vor dem Marmortisch stehen. »Schon wieder daheim?« sagte er, obwohl dieses offensichtlich war.
»Ja«, antwortete Hassa, »und verheiratet.«
»Herzliche Glückwünsche, Herr Doktor. Die gnädige Frau soll eine Ausländerin sein?«
»Ja, eine Türkin.«
Der Ober nickte, als ob es ganz selbstverständlich wäre, eine Türkin zu heiraten. Er erzählte weitschweifig, daß sein Bruder im Kriege unten in der Türkei gewesen war und daß die Türken auch Menschen seien. Dann brachte er einen Stoß Zeitungen.
Hassa blätterte zerstreut. Draußen auf dem Ring leuchtete die Sonne. Damen mit kleinen Hunden gingen über die Straße und blickten siegessicher um sich. Die Baumäste hingen über den Ring, und das dunkle Gebäude der Oper glich einer Festung.
Die Türen des Kaffeehauses öffneten sich. Menschen kamen herein, schauten sich um und traten mit freudig ausgestreckten Händen an Hassas Tisch.
»Servus«, sagten die Menschen und setzten sich. Hassa drückte die ausgestreckten Hände, und die Freude der Rückkehr überkam ihn. Da saßen sie — die Menschen, die man einen Kreis nannte und die durch eine geheimnisvolle Fügung des Schicksals dazu bestimmt waren, um Hassa zu sitzen, sich mit ihm zu unterhalten, ihn einzuladen, ihn nett oder unausstehlich zu finden und sein Leben mit der tatenlosen Neugierde der Zuschauer zu verfolgen. Dr. Halm war da, der Gynäkologe, der weißhaarige Matuschek, der Erfinder einer berühmten, aber wirkungslosen Diät, der Orthopäde Sachs, der nur im Winter, in der Skisaison, Praxis hatte, der Chirurg Matthes, mit langen Beinen und einer Vorliebe für chinesische Malerei, und der Nervenarzt Kurz, der ein Sanatorium leitete und die Liebe für eine Gefäßerkrankung hielt.
Die Freunde saßen am Tisch und stellten Fragen, die sich durch nichts von den Fragen des Kellners unterschieden. Dann schüttelten sie halb zustimmend, halb besorgt die Köpfe, und jemand sagte entgeistert und neiderfüllt:
»Eine Angorakatze hast du also geheiratet, du Sodomit, du.«
Hassa nickte und hatte das Gefühl, in einen reigenhaften Traum versunken zu sein, denn die Worte klangen, als hätte er sie schon einmal in einer anderen unwirklichen Welt gehört und beantwortet.
Der Marmortisch bedeckte sich mit Kaffeetassen. Aus einem halb verschütteten Wasserglas floß über die Marmorplatte ein schmaler Wasserstreifen. Er bildete Buchten und Seen, dehnte sich aus und verlief sich unter der Tasse des Dr. Kurz.
Hassa erzählte von dem Schwiegervater, der ein Pascha war und jetzt ein großes Teppichgeschäft leitete, und von dem Palais am Bosporus, das er, für sich selber unerwartet, plötzlich genau zu kennen glaubte. Er zählte die seltsamen Disziplinen auf, die seine Frau studiert hatte, und erzählte etwas zaghaft von der wundersamen Rettung des weltberühmten Derwischs Ali-Kuli aus Sarajewo.
Der Tisch hörte entgeistert und neiderfüllt zu. Erst als das Wort »Hypophysentumor« fiel, klärten sich die Gesichter auf, und die Gedanken bekamen eine sachliche und berufliche Richtung.
»Ich hatte neulich einen Fall«, sagte Dr. Kurz, als ob ein Hypophysentumor nichts wäre. »Der Kommerzienrat Danski erkrankte am nervösen Schnackerl. Er schnackerlte drei Tage ununterbrochen. Was tut man da?«
Er verstummte und blickte überheblich um sich.
»Den Kopf eine halbe Stunde unter Wasser halten und den Atem anhalten. Hilft bestimmt«, sagte der Chirurg mit der Roheit seines Standes.
»Eis schlucken«, meinte der Orthopäde und dachte an die Eisgletscher in der Skisaison.
»Ich versuchte Hypnose«, setzte Dr. Kurz fort. »Und stellt euch vor, der Mann erwachte aus der Hypnose und schnackerlte weiter.«
»Du solltest Professor Saäm rufen«, sprach Hassa teilnahmsvoll. »Ich habe gehört, daß er ein sicheres Mittel gegen das Schnackerl kennt.«
Die Ärzte rückten aneinander. Kurz sprach etwas vom psychischen Schock. »Eine vasomotorische Störung des Zwerchfells«, sagte Matuschek leidenschaftlich und laut. An den Nebentischen sah man sich um. Der alte Ober stand an einer Marmorsäule und blickte zufrieden auf den Ärztetisch. »Ein wissenschaftliches Gespräch«, dachte er. »Wir sind ein besseres Kaffeehaus.«
»Ihr solltet Nachhilfekurse für medizinische Ignoranten besuchen«, sagte der Gynäkologe Halm. »Ihr habt verlernt, theoretisch zu denken. Es ist einfach eine Reizung der Diafragma. Und was regiert die Diafragma? Der Nervus sympathicus. Ha! Ha! Habt ihr schon was vom Lucus cisylbachi gehört? Na also. Da habt ihr es. Da gibt es nur eins…«