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»Eine schöne Stadt«, denkt er und bleibt vor der Auslage eines Geschäftes stehen. Er sieht bunte Teppiche mit weichen, gerundeten Mustern. Zwischen den Teppichen liegen vergilbte persische Handschriften mit blassen Miniaturzeichnungen. Prinzen mit mandelförmigen Augen trinken aus goldenen Bechern, und in der Ferne steht ein Reh, erschrocken und mit einem elegant erhobenen Bein.

John Rolland betrachtet aufmerksam die Auslage. »Sehr gut«, denkt er und weiß, daß er sich in der Welt der Handschriften und Miniaturen nicht verirren wird. Er denkt an den Barbaren, der im Geschäft sitzt und wahrscheinlich ebensowenig von persischen Miniaturen versteht wie er, Rolland, vom romanischen Baustil. Ein unklares Rachegefühl steigt in ihm auf, und er will den Barbaren, der Miniaturen verkauft, ebenso beschämen, wie der Kirchendiener ihn beschämt hat.

Er tritt ins Geschäft. Ein alter Mann mit kleinen und müden Augen erhebt sich. »Zeigen Sie mir persische Miniaturzeichnungen«, sagt Rolland auf englisch. Der Alte nickt. Vor Johns Augen entfalten sich Landschaften, Jagdszenen und Gelage.

»Dieses da«, sagt der Alte und zeigt auf eine Schar von Engeln im leichtbewölkten Himmel, »dieses da ist eine Kopie des großen Buchari, aus der Schule des Achmed Fabrisi.«

»Nichts für mich«, sagt John Rolland und beißt sich in die Lippen. »Ich möchte eine Landschaft haben mit leicht chinesischem Einschlag, aber doch voll persischen Gefühls. Etwa so, wie sie Dschani zeichnete für den Scheich Ibrahim el-Gülschani.«

Der alte Mann sieht ihn durchdringend an.

»Leider«, sagt er in gebrochenem Englisch. »Wir haben es nicht. Das fünfzehnte Jahrhundert ist bei uns schwach vertreten. Aber hier etwas aus den Zeiten Abbas des Großen. Sehen Sie — die gelblichen Herbstbäume mit den Lichteffekten der Sonnenuntergänge, alles von leichtem Nebel verdeckt. Es könnte von Mani sein, so zart sind die Farben.«

John Rolland sieht das Blatt. Seine Hände streicheln liebevoll den Propheten Jonas im Gewand eines persischen Prinzen.

»Ich nehme es«, sagt er. »Aber es ist eine dekadente Kunst, diese indische Schule. Ich möchte etwas Gesünderes, etwas Lebensbejahenderes haben, so wie es Schudscha ed-Dauleh malte. Sie wissen, was ich meine?«

»Ich weiß es sehr wohl, Kaiserliche Hoheit«, sagt der Alte auf türkisch. »Ich weiß genau, was Sie brauchen, aber ich habe es nicht mehr.«

John Rolland hebt den Kopf. Der Alte steht in tiefer Verbeugung, und die Tür des Geschäftes ist geschlossen. John Rolland macht eine hastige Bewegung, als wollte er fliehen. Er sieht Teppiche und Miniaturen, er riecht den süßlich-dumpfen Geruch des Ladens, und Wirklichkeit und Traum, Vergangenheit und Gegenwart verschieben sich plötzlich wie in einer jähen Vision.

»Hoheit«, sagt die Stimme des Alten, »es ist meine Schuld. Straft mich. Ich hätte wissen müssen: — eines Tages wird Hoheit kommen und danach verlangen, was ihm gebührt und was ich leichtfertig weggab. Frauen haben weder Verstand noch Geduld. Ich aber bin ein alter Mann und müßte sie halten.«

John Rolland flattert es vor den Augen. Wovon spricht der Alte? Was will er? Die Hände des Greises zittern, er preßt sie zusammen, und seine Augen blicken fassungslos.

»Meine Schuld, Prinz«, wiederholt er. »Meine Schuld, Asiadeh hat geheiratet, und ich habe es zugelassen. Richtet mich!«

Rolland steht in der Mitte des Ladens. Seine Stimme klingt plötzlich herrisch. Er vergißt das dünne Paßheft in der Tasche, das auf den Namen Rolland ausgestellt ist. Er fühlt sich erkannt und entlarvt.

»Wer sind Sie?« fragt er im weichen Palasttürkisch seiner Ahnen.

»Achmed-Pascha Anbari. Asiadeh ist meine Tochter.«

»Aha«, sagt Rolland und entsinnt sich eines wirren Briefes an einen landesverwiesenen und verschollenen Prinzen. »Was ist aus der Frau geworden, die der Kaiser mir zugedacht hat?«

Achmed-Pascha steht gebückt. Er ist ganz Demut und Wonne, denn er spricht mit einem Prinzen aus dem heiligen Geschlechte Osman. Er erzählt von Asiadeh, von dem fremden Mann, seine Sätze sind lang und ehrfürchtig, der Prinz steht da mit gerunzelter Stirn, und die Teppiche an den Wänden sind wie in den Palästen am Bosporus.

»Schande«, sagt der Prinz. »Schande!« und hat das Gefühl, daß ihm etwas genommen sei, was ihm von Rechts wegen zustehe. »Schande!« wiederholte er inbrünstig und schlägt mit der Hand auf einen Teppich. »Dazu saßest du in der Hohen Pforte auf dem Teppich unserer Gunst, dazu haben wir dich aus dem Staube erhoben und mit Gunst überschüttet! In die Wüste mit dir, in die Verbannung!!«

Er entsinnt sich plötzlich, daß er Rolland heißt und Filmautor in New York ist. Das Ganze kommt ihm ungemein lächerlich vor.

»Schon gut«, sagt er versöhnlich, denn der Pascha ist im Begriff niederzuknien. »Schon gut.« Er reicht ihm die Hand, und der Alte küßt sie ehrerbietig.

»Gehen wir essen«, sagt Rolland unvermittelt, denn er hat genug von der dumpfen Luft des Ladens, von dem Zwielicht der rötlichen Teppiche und den milden Farben der Miniaturen. »Gehen wir.«

Der Pascha sieht ihn bestürzt an. »Welche Ehre«, sagt er und denkt an das Gift, das der Prinz ihm in die Speisen einmengen wird, und an den Tod, den er verdient hat. Aber der Prinz denkt nicht an Gift, er geht zu Kempinski und bestellt ein Essen, streng nach den kulinarischen Regeln des alten Reiches, ohne Alkohol und ohne Schweinefleisch, denn er weiß plötzlich, was sich gehört.

»Ich bin jetzt kein Prinz mehr«, sagt John Rolland beim Essen. »Ich bin ein Autor, das heißt Künstler.«

»Ein königlicher Beruf«, meint der Pascha. »Viele Ihrer erlauchten Ahnen waren große Künstler.«

»Ich bin kein großer Künstler«, sagt Rolland ernst. »Jeder Mensch ist der sterbliche Sohn, der den ewigen Vater in sich trägt. Der Zweck der Kunst ist, den unsichtbaren Atem des Vaters durch ein Fühlbares und Sichtbares auszudrücken. Wenn dem Menschen nichts anderes gelingt, als den Sohn zu erfassen und darzustellen — und nur das gelingt mir —, so ist seine Kunst nur ein oberflächliches und unbedeutendes Werk. Wenn er bestrebt ist, durch abstrakte Ideen einzig und allein den Vater darzustellen, schafft er kein Kunstwerk, sondern Metaphysik. Das Unsterbliche, das in uns lebt, das durch das Wort zu fassen — das ist Magie. Das Wort muß die Materie erkennen — so wie Adam Eva erkannte. Aber mein Wort vermag es nicht.«

»Weil es ein fremdes Wort ist, in einer fremden Sprache gesprochen«, sagt der Pascha und faltet traurig die Stirn. »Ich glaube, daß die Sprachen Europas allmählich die Kraft verlieren, die im Worte wohnt. Sie werden zu einer Sache der Technik, eine reine Verstandesübung, ein neutrales, entmanntes Mittel der Verständigung. Wir im Orient sind animalischer, wir fühlen noch die Kraft des Wortes, und das ist der Unterschied zwischen Ost und West.«

»Nein«, sagt Rolland und schüttelt den Kopf. Er spricht langsam und eindringlich und hat plötzlich das Gefühl, in einem orientalischen Palastsaal zu sitzen, inmitten einer Gesellschaft von Weisen.

»Im westlichen Bewußtsein«, sagt er, »herrscht das Individuelle vor, das Persönliche. In unserem die Empfindung, daß wir unlöslich mit dem Ganzen verbunden sind. Der Westen ist losgelöst von dem großen All, das Band zwischen ihm und dem Universum ist durchschnitten. Durch Dünkel droht der Westen eine individualistische Monade zu werden, die Gräben um sich zieht, um sich zu isolieren. Der Osten ist zwiegeschlechtlich, er lebt und handelt in Verbundenheit mit dem All. Das ist der Grund dafür, daß die orientalische Kunst etwas Unvollkommenes und gleichsam Unbegrenztes hat, während die Kunst des Westens persönlich und fest umrissen ist. Wenn ich kein verkommener Mensch wäre und gestalten dürfte, müßte ich erst meine Seele aus dem kosmischen Ozean auftauchen lassen, der in mir brandet. Bei dem westlichen Künstler ist es gerade umgekehrt. Aber auch das ist im Grunde gleich, denn wir alle sind nur durchsichtige Masken des Unsichtbaren.«