Langsam kam die Fremde auf Asiadehs Tisch zu. Asiadeh blickte zu Kurz empor. Sein Gesicht war plötzlich rot geworden. Die Augen blinzelten verwundert und verlegen. Der Mund stand halb offen, als könne er sich nicht entschließen, zu lächeln oder zu niesen. Die fremde Frau stand am Tisch. Ihre Lippen öffneten sich. Asiadeh sah zwei Reihen kleiner glänzender Zähne.
»Guten Tag, Dr. Kurz. Ich freue mich, Sie zu sehen.« Die Stimme klang melodisch und weich. Kurz erhob sich. Schweißtropfen traten auf seine Stirn. Asiadeh musterte neugierig die fremde Dame. Sie stand immer noch da und lächelte hochmütig und überlegen. Kurz räusperte sich.
»Sie erlauben… darf ich bekannt machen.« Seine Stimme klang heiser. Asiadeh sah ihn erstaunt an. Er glich einem Menschen, der sich mit einem plötzlichen Entschluß in eine kalte Flut stürzen will.
»Darf ich vorstellen… Frau Dr. Marion Hassa — Frau Dr. Asiadeh Hassa.« Er verstummte, und es war ihm gar nicht mehr anzusehen, daß er Arzt für Nervenkranke war.
Asiadeh schloß die Augen. Nur für einen Augenblick. Irgendwo in der Brust entstand ein plötzlicher reißender Schmerz. Der Mund wurde trocken. Sie hatte das Gefühl, in einen wirbelnden Abgrund hinabzustürzen. Ganz unten in der Tiefe spielte die Kapelle. Wilde Klänge drangen an ihr Ohr. Sie öffnete die Augen. Marion saß an ihrem Tisch und lächelte hoheitsvoll.
»Ich freue mich sehr. Welcher Zufall!« Die Stimme klang weich, aber nicht mehr melodisch. »Ist Alex auch hier? Oder blieb er in Wien?«
»Wer bitte?«
»Alex, unser Mann.« Marion lachte.
»Ja so… nein. Hassa ist in Wien. Ich nenne ihn immer Hassa, wissen Sie…«
Sie stand auf. Rasch durchquerte sie den Saal und fühlte stechende Nadeln im Rücken. Das war es also, »unser Mann«. Frau Marion Hassa — Frau Asiadeh Hassa. Sie lag in einem fremden Bett. Sie führte einen fremden Namen. Sie saß in dem Salon mit dem Erkerfenster, in dem auch die schlanke Marion gesessen war, und Hassa küßte die stolzen hochmütigen Augen. Es gab wirklich eine Frau, die Marion hieß und deren Stelle sie einnahm.
Asiadeh lief über den Hof. Ihre Stirn war gerunzelt. Die grauen Augen starr.
»Den Wagen, bitte.«
Der Diener öffnete die Garage. Der Wagen sprang an. Asiadehs Hände umklammerten das Steuerrad, als wäre es Marions Hals. Sie fuhr, wild hupend, und blickte haßerfüllt auf zwei Kinder, die erschrocken zur Seite sprangen.
Man müßte dieses Hotel in die Luft sprengen — dachte sie und gab Vollgas. Der graue Asphalt kreiste vor ihren Augen. Sie schluchzte kurz und wischte die Tränen ab. Rechts erhob sich die Kirche Maria-Schutz. Die Türken waren ein müdes und schwaches Volk. Kein Stein sollte in diesem Lande stehenbleiben, keine Wiese, keine Kuh. Wüst sollte es werden, grau und öd, wie die Steppen Turkestans.
Die Achsen des Autos quietschten. Mitten in der Kurve bremste Asiadeh den Wagen. Die Räder bohrten sich in den Staub des Wegrandes. Sie schaltete um. Weiter!
Auch wenn das Wasser im Kühler schon zu kochen beginnt. Unten an der nächsten Biegung zeigte sich ein Viersitzer. Asiadeh beachtete ihn nicht. Sie umklammerte das Steuerrad und löste die Bremse. So! — jetzt auf Touren!..
Sie kam nicht auf Touren. Sie blickte auf das Armaturenbrett und fühlte, wie ihr plötzlich jemand einen Schlag an die Brust versetzte. Glas klirrte. Sie hob den Kopf und sah den fremden Wagen mit verbogener Stoßstange und zerschlagenen Lampen. Sie hatte keine Ahnung, wie sie in ihn hineingefahren war.
Zwei Menschen saßen im fremden Wagen und sahen sie erstaunt und erschrocken an. Asiadeh sprang aus dem Wagen. Sie eilte zu den Fremden hinüber, und ihre grauen Augen funkelten vor Zorn. Sie sah zwei Gesichter, ein dickes und ein schmales, und die aufgespeicherte Wut zerriß ihre Brust.
»Bagage«, schrie sie und wußte nicht, daß es Marion galt. »Könnt ihr nicht fahren!? Seht ihr nicht, was ihr tut?! Jedes Pack hat heute einen Führerschein! Besoffen seid ihr! Anzeigen müßte man euch, Bande!!!«
Sie stand im Staub der Straße und schimpfte mit Marion. Die beiden Männer krochen bedächtig aus dem Wagen. Sie verbeugten sich und lächelten verlegen.
»Grinst nicht so«, rief Asiadeh und stampfte mit dem Fuß.
Die Herren verbeugten sich nochmals: »Entschuldigen Sie, Madame«, sagte der eine im näselnden Englisch. »Wir sind untröstlich, daß Sie in uns hineingefahren sind. Wir sind bereit, alles wieder gutzumachen.« Eine gepflegte Hand streckte Asiadeh einen Geldschein entgegen.
»Ausländer seid ihr auch noch?!« rief Asiadeh, außer sich vor Wut. »Kommt einfach in unser Land und fahrt Damen an! Ausweisen müßte man euch. Bleibt doch zu Hause, Zigeunerbande! Was reist ihr herum?!«
Die Fremden verstanden offensichtlich kein Wort. Verlegen standen sie da und traten von einem Fuß auf den anderen. Endlich sagte der Dickere zu dem Schlanken in einer landesfremden, aber auch Asiadeh verständlichen Sprache:
»Schau, John, welch schönen Busen das Mädchen hat! Und was für Hüften! Gib ihr einen Kuß, vielleicht wird sie dann sanfter.«
Wilde Raserei ergriff Asiadeh beim Klange der heimatlichen Worte. Sie nahm dem Schlanken den grünen Dollarschein aus den Fingern. Sie zerriß ihn in kleine Fetzen, spuckte sie an und schmiß die Fetzen mit einer majestätischen Geste dem Fremden ins Gesicht. Dann sprang sie in den Wagen und fuhr wortlos davon.
Die beiden blickten ihr stumm nach. »Eine temperamentvolle Frau«, sagte John endlich, »ihr Mann wird einen schweren Stand haben.«
»Schöner Busen«, wiederholte Sam. »Sie ist noch ganz jung. Was wollte sie eigentlich? Sie ist verrückt. Nur Verrückte zerreißen Geldscheine.«
Betrübt nahm er im Wagen Platz. John folgte ihm. Vorsichtig fuhren sie weiter. Eine halbe Stunde später betraten sie das Hotel. Der Fünf-Uhr-Tee war vorbei. Gähnend leer war die große Halle.
»Wohnt hier eine Frau Dr. Hassa?« fragte John.
Der Portier verbeugte sich. »Jawohl. Zimmer achtundzwanzig.«
»Gehen wir vorher in die Bar«, meinte Sam. »Du solltest dir ein wenig Mut antrinken.« John nickte. Sie gingen zur Bar hinüber. Beim dritten Whisky sagte Sam: »Sprich mit ihr zuerst englisch, damit sie nicht erschrickt. Sei höflich und zuvorkommend. Das haben die Frauen gern.«
Beim sechsten Whisky blickte er verschämt vor sich hin und brummte: »Wenn sie dir gefällt, kannst du sie gleich mitnehmen. Sollten die Verhandlungen ins Stocken geraten, so rufe mich. Ich bin ja dein Agent. Geh jetzt. Ich warte hier.«
John erhob sich. Er ging die Treppe hinauf und hatte ein ernstes und stolzes Gesicht. Er klopfte an der Tür.
»Herein«, rief eine melodische Frauenstimme.
John Rolland trat ein. Eine Frau mit hochmütigen braunen Augen und vornehm geschwungenen Lippen erhob sich.
»Frau Dr. Hassa?« fragte John und verbeugte sich. Die Dame nickte. John sah sie durchdringend an und lächelte gnädig. Dann nahm er in einem Sessel Platz und zündete sich eine Zigarette an.
»Ziehen Sie eine englische oder eine türkische Unterhaltung vor?« fragte er nachlässig.
Die Dame sah ihn erstaunt an. »Eine englische natürlich«, sagte sie schüchtern.
John lächelte und schlug ein Bein über das andere. Die Dame war sehr schön, aber offensichtlich ahnungslos.
»Ich bin Prinz Abdul-Kerim. Ich hole Sie jetzt ab, denn Sie gefallen mir.« Sechs Whisky an einem Nachmittag waren entschieden zuviel.
»Wie bitte?« sagte die Dame und wurde sehr blaß.
John lachte. »Sie haben mich nicht erwartet. Mein Palast ist weg, aber ich bin da. Ich langweile mich in der fremden Welt und bin dem Produzenten durchgegangen. Wir können schon heute wegfahren.«
»Mein Gott«, sagte die Dame und biß sich auf die Lippe. »Was wollen Sie eigentlich?«