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Sie warf die Zigarette weg. In ohnmächtiger Angst zertrat sie den Stummel. Vielleicht sollte sich Hassa eine andere Frau suchen, eine Frau, die nicht im Banne eines zerfallenen Reiches steht, die besser zu ihm paßt, die in Kaffeehäusern warten kann, während er Baritone behandelt, und die nicht wegläuft, wenn Marion an den Tisch kommt.

Sie blickte sich um. Sie fürchtete sich plötzlich vor dieser fremden Stadt, vor der fremden Welt, in die sie hineingezwängt wurde, die sie nicht verstand und die sie langweilte. Ja, sie wußte es genau, sie langweilte sich in dem Salon mit den Erkerfenstern, im Kaffeehaus mit den Ärzten, zu Besuch unter Menschen, die anders dachten, anders fühlten als sie, als ihr Vater, als dieser Prinz, den sie nie vorher gesehen hatte und der ihr näher und vertrauter war als Hassa mit seinen Kranken, seinen Freunden und seinen Gesprächen.

Hassa sollte nach Kairo übersiedeln oder nach Sarajewo, er sollte, wie seine Ahnen, einen frommen Fes tragen, so leben, wie Asiadeh gewohnt war, Derwische behandeln und Moscheen besuchen, dann würde sie bei ihm bleiben. Mit einem Ruck blieb Asiadeh stehen. Ihre Gedanken verirrten sich. Eine leere, grüngestrichene Bank stand im Schatten eines großen Baumes. Asiadeh setzte sich hin.

»Mein Gott«, sagte sie leise, und ihre Hände wurden kalt. Hassa war ihr Mann, sie liebte ihn, ohne Zwang war sie die Ehe mit ihm eingegangen, ohne Zwang gab sie sich ihm hin. Und jetzt war sie wie Marion, saß auf der Bank im Park und dachte an einen fremden Mann, während der eigene im Bette lag und sich nach ihr sehnte. Sie wollte zum Prinzen ziehen, wie es ihr die Pflicht gebot, aber Hassas Schatten würde mitziehen, würde sie verfolgen in den Nächten, die sie mit dem Prinzen verbringen würde, in den Gesprächen, die sie am Tage mit ihm führen würde. Überall würde sein Schatten auftauchen, sie würde seine Augen sehen, sie würde den stummen Vorwurf in seinen Zügen lesen, den Fluch hören, den er ihr mit auf den Weg geben wird.

Asiadeh ballte die Hände. Es gab keinen Ausweg aus der Sackgasse des plötzlichen Jammers. Sie wußte genau: sie wird sich nicht auf die Straße trauen, sie wird ihr Gesicht nicht sehen können, wenn sie Hassa verlassen wird. Fassungslos starrte sie vor sich hin. Pflicht und Schande, Ehre und Lust waren plötzlich in einem wirren Bündel verflochten, und sie wußte nicht mehr, ob die Pflicht sie zum Prinzen zog oder die Liebe bei Hassa zurückhielt.

Eins wußte sie aber: Es müßte einen Unterschied geben zwischen der hochmütigen Marion, die ihren Mann verlassen hatte, und Asiadeh, die grüblerisch auf der Bank im Park saß und vor sich hin starrte. Aber auch für Marion war der Mann, mit dem sie wegging, wahrscheinlich dasselbe, was für Asiadeh der wiedergefundene Prinz.

Asiadeh seufzte. Es gab keinen Unterschied zwischen ihr und der ehebrecherischen Marion. Hassa würde keine dritte Frau nehmen. Einsam und traurig würden seine Tage dahinziehen. Er würde allein und menschenscheu durch die Straßen gehen und die Frauen verfluchen, die ihm ewige Treue geschworen hatten und dann mit anderen Männern weggingen.

Asiadeh erhob sich von der Bank. Ihr Gesicht glühte. Sie schämte sich. Langsam ging sie zum Ausgang des Parkes. Ja, es gab einen Unterschied zwischen einer Prinzessin aus Istanbul und Marion, die ihren Mann verriet.

Nachdenklich ging sie zum Ring. Die Zukunft lag vor ihr, im Staube der breiten Straße. Jahrzehntelang wird sie in Kaffeehäusern sitzen, abends zum Kobenzl fahren und Hassa küssen. Sie wird ihre Heimat verlieren, sie wird in der Welt Europas aufgehen, aber sie wird ihren Mann nicht verlassen, sie wird eine gute Frau bleiben, die allen Menschen in die Augen blicken darf, bis auf die trüben und einsamen Augen Rollands, der nach ihr gerufen hat und dem sie nicht gefolgt war.

Sie näherte sich dem Hause. Langsam ging sie die Treppe hinauf, langsam öffnete sie die Tür. Im Schlafzimmer brannte das Licht. Sie trat ein. Hassa lag im Bett und blätterte schlaftrunken und gleichgültig in den philosophischen Zeitschriften, die er von Asiadehs Tisch geholt hatte. Er blickte auf und lächelte:

»Es ist spät geworden. Hast du dich gut unterhalten? Ich las inzwischen deine Zeitschriften, aber ich habe nichts verstanden. Was ist eine Polystadialität?«

»Ein Hypophysentumor, ins Philologische übertragen. Macht nichts, daß du es nicht verstehst. Danke, ich habe mich gut unterhalten.«

Sie stockte. Es erschien ihr plötzlich sehr seltsam, daß sie sich mit ihrem Mann deutsch unterhielt, während sie selbst in einer anderen Sprache dachte und träumte. Sie unterdrückte ein leises Gefühl des Unbehagens und trat an Hassas Bett. Er lag auf dem« Rücken und sah sie an:

»Schön bist du heute, Asiadeh, sehr schön.«

Sie setzte sich an den Bettrand. Sie beugte sich vor und küßte Hassas Stirn. Hassas Hände streckten sich ihr entgegen. Er streichelte sie, und sie fühlte den Duft seiner Haut, die Stärke seiner Muskeln, die vertrauten Wahrzeichen seiner Liebe.

Sie entkleidete sich und saß im Pyjama auf seinem Bett, die Füße hochgezogen und den Kopf auf die Knie gestützt:

»Es war sehr nett«, sagte sie. »Wir sprachen von alten Zeiten und von der Heimat. Aber die wahre Heimat der Frau ist das Bett ihres Mannes.«

Hassa zog sie zu sich. Sie umfaßte seinen Kopf. Ihr Körper schmiegte sich an den seinen. Ihre Lippen glitten über seine Haut, sie umfaßte seinen Körper, als suchte sie Schutz und Rettung in seinen kräftigen Armen.

Hassa wurde ganz wach. Asiadehs verborgene Leidenschaft übertrug sich auf ihn. Ihre Augen blickten ihn demütig und verzückt an, ihr Körper war plötzlich durstend und lockend. Er sah ihre helle Haut, die blonden weichen Haare fielen über ihr Gesicht.

Sie kniete im Bett und ihr Kopf preßte sich gegen Hassas Brust. Sie wiegte sich langsam und stöhnend, und es klang wie das nächtliche Murmeln eines einsamen Tieres.

»Ich liebe nur dich, Hassa, dich allein«, sagte sie, und Hassa ergriff ihren Körper, warf ihn auf die weißen Laken, sah, als wäre es zum erstenmal, ihre ernst emporgerichteten Augen, ihre weichen zusammengepreßten Lippen. Hassa vergaß seine Kranken, seine Ärztegesellschaft, seine Müdigkeit. Er fühlte nur noch die feuchte Wärme ihres Mundes, die Hingegebenheit ihres zarten Körpers.

Später saß sie im Bett, die Hände um seinen Nacken geschlungen, schweigsam vor sich hin starrend. Ihre Mundwinkel lächelten. Sie sah ihn bittend und zärtlich an:

»Hassa«, sagte sie, »erfülle mir eine Bitte!«

»Ja, Asiadeh.«

»Im Speisezimmer, Hassa, da steht im Büfett eine Flasche Kognak. Ich hole sie dir. Trinke etwas Kognak, Hassa, sonst schläfst du jetzt ein und ich will nicht, daß du einschläfst, ich will deine offenen Augen sehen.«

Sie lief barfuß durch die Wohnung und kehrte zurück, eine Flasche unter dem Arm und ein Glas in der Hand. Ihre Augen glänzten, ihre Wangen waren gerötet. Im Pyjama, mit zerzaustem blondem Haar, glich sie einem Knaben, einem kleinen Pagen, der aufgeregt seinen ersten Dienst tut.

»Trink mit«, sagte Hassa und reichte ihr das Glas.

»Nein, ich brauche keinen Kognak, um berauscht zu sein.«

Sie füllte das Glas, und er trank mit langsamen Schlucken. Sie füllte es nochmals.

»Du verführst mich zur Sünde«, lachte er. »Der Koran verbietet das Saufen.«

»Es gibt einen Kommentar«, sagte sie sehr ernst. »Er stammt von dem großen Gelehrten Scheich Ismail aus Ardedil. Manchmal ist das Trinken erlaubt.«

Hassa trank. Asiadeh saß mit angewinkelten Beinen auf dem Bett und blickte auf die Kognakflasche.

»Ich bin schon ganz wach, Asiadeh, aber wenn du befiehlst, trinke ich weiter.«