»Ja«, sagte sie und faltete die Hände über ihren Schoß. »Du sollst nie meinetwegen unglücklich sein, Hassa.« Ihre Stimme klang beinahe bittend. »Ich will alles tun, damit du immer glücklich bist.«
Hassa sah sie verwundert an. »Danke«, sagte er gerührt, »du sollst auch glücklich sein. Hast du es gut bei mir?«
»Ich habe es gut bei dir. Aber was ist das Glück einer Frau? Eine Frau ist glücklich, wenn sie das Lächeln in den Augen ihres Mannes sieht und wenn sie die Ursache davon ist. Ich werde alles tun, damit du nie Kummer durch mich hast. Ich bin nicht Marion.«
Jetzt füllte Hassa selbst sein Glas. Er stieg aus dem Bett und saß neben ihr, lächelnd und sehr gut gelaunt.
»Marion«, sagte er, »Marion ist eine dumme Gans. Ich habe sie sehr geliebt, aber jetzt liebe ich sie nicht mehr. Ich liebe dich. Marion verkommt. Sie müßte mir leid tun, aber sie tut mir nicht leid. Fritz hat sie stehengelassen. Es war nichts anderes von ihm zu erwarten. Jetzt ist sie allein, trotz all ihrer Schönheit, und ich habe Asiadeh und bin glücklich.«
»So straft Gott die Unzucht.« Asiadeh lächelte, ihre kleine Zunge fuhr über die Lippen, aber sie merkte sich sehr gut, daß Marion jetzt allein war.
»Hast du genug getrunken, Hassa?«
»Ja.«
»Dann paß auf«, sie beugte den Kopf zur Seite und blickte fromm und unschuldig vor sich hin. »Wir sind schon lange genug verheiratet, Hassa. Es ist höchste Zeit, daß ich ein Kind bekomme.«
»Uff«, sagte Hassa und schielte bestürzt zur Kognakflasche hinüber. Aber Asiadeh schob die Kognakflasche weg und saß düster und schweigend da.
»Ein Kind?« sagte Hassa und kroch unter die Decke.
»Ja, zuerst eins, dann noch eins und dann weitere, so Gott hilft.«
»Du hast recht«, sagte Hassa, »aber weißt du, welche Schmerzen eine Frau beim Kinderkriegen hat?«
Asiadeh nickte.
»Meine Mutter hat dieselben Schmerzen gehabt, und meine Großmutter auch. Sogar meine Urgroßmutter. Es wird nicht so schlimm sein.«
»Ja, natürlich.« Hassa wußte selbst nicht, warum er eine so rasende Angst vor der Vaterschaft hatte. Er fürchtete sich vor den Kindern, wie er sich einst vor der Schule gefürchtet hatte. Er wünschte sie sich, aber in einer fernen, nicht näher definierbaren Zeit.
»Es ist so«, sagte er verlegen, »wenn ich Kinder habe, so will ich genau wissen, daß es ihnen immer gut gehen wird. Aber ich will, daß es dir auch dann gut gehen soll, wenn wir Kinder haben. Von drei Patienten zahlt einer, und von zehn Operationen sind acht von der Krankenkasse. Beim ersten Kind müßten wir das Auto abstellen, beim zweiten ein Dienstmädchen entlassen, beim dritten statt einer größeren eine kleinere Wohnung nehmen. Du sollst es gut haben und die Kinder auch, deshalb warten wir, bis die Zeiten besser werden, und dann verspreche ich dir Fünflinge.«
Hassa war ganz erschöpft von der langen Rede. Asiadeh sah ihn aufmerksam an.
»Ich habe ohne Dienstmädchen und ohne Auto gelebt und war auch ganz zufrieden. Du wünschst dir keine Kinder, weil du selbst noch ein Kind bist — das ist alles. Bedenke, Hassa, ich bin immer für dich bereit… freudig bereit. Aber ich bin nicht nur deine Geliebte… vor allem bin ich deine Frau.«
Hassa versuchte die letzten Worte zu überhören.
»Als du kein Auto und kein Dienstmädchen hattest, warst du noch nicht meine Frau. Jetzt muß ich doch dafür sorgen, daß du es gut hast.«
»Immerhin«, sie saß noch immer mit gekreuzten Beinen und ihre Hände waren gefaltet, »immerhin, ich war schon damals die Tochter eines Ministers und die Braut eines Prinzen.«
»Dein Prinz«, lachte Hassa, »er wird Statist in Hollywood geworden sein und in orientalischen Filmen die Rolle eines Eunuchen darstellen.«
»Du bist ein ganz dummes Kind«, rief Asiadeh. Sie faßte ihn an den Ohren und rüttelte seinen Kopf. »Du willst mein Mann und mein Kind zugleich sein — das ist es. Wenn du mich ärgerst, schütte ich dir den ganzen Kognak in den Mund. Dann hast du morgen Kopfweh und kannst keine Sänger behandeln.«
»Und wenn du mich ärgerst«, sagte Hassa, und seine Hände umfaßten ihre Wangen, »wenn du mich ärgerst, so schleppe ich dich in das Ordinationszimmer und schneide dir die Mandeln heraus. Dann kannst du acht Tage nicht sprechen und mußt im Bett liegen. Das hast du dann davon.«
»Du bist ein brutaler Mensch«, lachte Asiadeh und ließ Hassa los. Er warf sich zufrieden in die Kissen. Sie löschte das Licht aus. »Schlaf«, sagte sie, und Hassa schlief, schlief ruhig und ahnungslos.
Asiadeh schlief nicht. Sie dachte nach, und das Leben erschien ihr wie ein unlösbares Rätsel. In den Dörfern Anatoliens, in den Steppen Turkestans, an den Lagerstätten der fernen Nomaden ging die Frau einmal im Jahr ins Gebüsch oder in das schwarze Filzzelt. Die Männer saßen am Feuer und beteten, und die Frau lag auf der Erde und gebar ein Kind. Dann kamen die Männer, durchschnitten die Nabelschnur und das Kind war da, schrie, strampelte mit den Füßen und streckte die kleinen Lippen der Mutterbrust entgegen. Es gab keine Dienstmädchen in den Filzzelten der Nomaden, und das Auto hatte vier Beine, eine lange Schnauze und hieß Kamel.
Sie seufzte. Es war ganz unverständlich, daß ein Kamel wichtiger war als ein Kind, das mit den Beinen strampelte und nach der Mutterbrust rief. Sie schloß die Augen. Für einen Augenblick sah sie Marions geschwungene Brauen und die hellen stachligen Augen des Mannes, dem sie zugesprochen war.
Dann schlief sie ein.
20
»Es ist gut, daß Sie so pünktlich sind, Hanum.« John Rolland stand am Tisch der Hotelterrasse. »Setzen Sie sich, Hanum«, er rückte den Stuhl zur Seite und war ungemein höflich und gesprächig. »Sie müssen wissen, Hanum, mit meinem Freunde Sam kann ich nur über die Dinge der äußeren Welt sprechen. Er ist stumm und taub in der Welt der Gefühle. Ich werde Sie sehr liebhaben, Hanum, ich habe einen unverschwendeten Vorrat an Liebe, denn ich glaube, daß ich bis jetzt niemanden geliebt habe.«
Asiadeh schwieg. Seltsam, daß dieser Mann sie Hanum nannte und einen unverbrauchten Vorrat an Liebe hatte.
»Wir müssen bald verreisen«, sprach Rolland, und in seinen trüben Augen zeigte sich so etwas wie Zärtlichkeit. »Ich habe heute eine Nachricht bekommen. Meine Firma bestellt bei mir einen Film ›Herrin der Wüste‹ oder etwas Ähnliches. Sie wünscht, daß ich die nötigen Eindrücke an Ort und Stelle sammle, und schickt mich zu diesem Zwecke nach Gamades in der Libyschen Wüste. Ich würde ungern allein dahinfahren. Fahren Sie mit. Wir werden zwei Monate in den Zelten schlafen, Kamelmilch trinken und das Leben der Nomaden führen. Das wird unsere Hochzeitsreise sein. Dann fahren wir nach New York. Dort bringen Sie den ersten Prinzen zur Welt. Dann übersiedeln wir nach Kalifornien in einen Bungalow. Wissen Sie, als das Reich zerbrach und die Welt ihre Formen verlor, glaubte ich, daß das Leben zu Ende sei. Ich weiß selbst nicht, wie ich nach Amerika kam. Dort hungerte ich. Wissen Sie — hungern ist sehr unangenehm. Aber ich merkte es kaum. Ich dachte, daß für mich gar kein Platz mehr in der Welt sei. Später hat Sam mich aufgelesen. Ich hörte auf zu hungern, aber mein Leben wurde nicht sinnreicher. Jetzt soll es anders werden.«
John sprach, von den eigenen Worten berauscht. Ja, Frauen waren lärmende Spielzeuge, viel wertloser als eine Flasche guten Whiskys. Ein Mann ohne Heimat hatte zu träumen, zu arbeiten, Kopfweh zu haben und an den Tod zu denken. Aber diese da — das war gar keine Frau, das war kein lärmendes Spielzeug — das war ein Geschenk der entschwundenen Heimat an den Prinzen Abdul-Kerim, ein plötzlicher Stützpunkt im Ozean des fremden Lebens. Die ersten Osmanen waren Nomaden, die ganz Asien durchwandert hatten, bevor sie sich entschlossen, seßhaft zu werden. Das war ihr Fehler. Ein Nomade hat keine Heimat. Das Zelt ist die Heimat des Nomaden. Wo er es aufschlägt — dort ist er zu Hause. Asiadeh sollte sein Zelt sein.