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»Wir wollen in den nächsten Tagen abreisen, Hanum, geradenwegs nach Libyen.«

Asiadeh blickte weg. Libyen — dachte sie — schwarze Nomadenzelte. Und der erste Prinz soll in New York zur Welt kommen. Ich werde aber keinen Prinzen in New York zur Welt bringen. Sie zwang sich, Rolland ins Gesicht zu sehen. Sein hageres Antlitz erschien ihr wunderbar schön.

»Prinz«, sagte sie, »ich habe Ihnen aus Berlin geschrieben und Ihnen meine demütige Liebe angetragen. Sie haben mir geantwortet und mich für ewige Zeiten freigegeben. Ich habe einen anderen Mann gefunden, der mich braucht. Es ist unfair von Ihnen, fremde Häuser zu zerstören, nachdem Sie auf ein eigenes verzichtet haben. Ich kann Ihnen nicht folgen.«

Sie sprach leise und blickte ihm fest in die Augen. John errötete heftig. Seine Augen weiteten sich und glänzten.

»Ich schrieb Ihnen, aber ich kannte Sie nicht. Es ist nicht unfair, fremde Häuser zu zerstören. Alles Gegenwärtige ist aus den Trümmern des Vergangenen errichtet. Fatih Mohammed zerstörte Byzanz und errichtete Istanbul. Ohne die Trümmer von Byzanz gäbe es kein osmanisches Reich. Wer ist Ihr Mann? Ein Ungläubiger, der seinen Besitz nicht schätzen kann. Bestimmt nicht. Sie werden ihm immer fremd bleiben. Und ich, ich liebe Sie.«

So sprach Rolland und wußte nichts von der Nacht in den Alleen des Wiener Parks und später am Rande des Bettes neben Hassa, der Kognak trank und von Marion sprach.

Asiadeh lächelte schwach. Das Leben war wirklich beinahe zu schwer für eine Frau aus Istanbul.

»Ich bin nicht Ihre Untertanin«, sagte sie hart. »Sie haben mich in aller Form entlassen. Ich bin jetzt eine Österreicherin. Frau eines Österreichers und, so Gott hilft, Mutter von Österreichern. Es ist zu spät, Rolland. Krieger zerstören fremde Häuser, aber sie verlangen nicht die Beihilfe einer Frau. Auch ist mein Mann kein Ungläubiger. Er ist Meister über Leben und Tod und stammt aus einem frommen Geschlecht aus Sarajewo.«

Sie verstummte. Rollands Gesicht wurde plötzlich grau und verfallen. Seine Schläfen bedeckten sich mit Runzeln. Seine Augen wurden trüb, stolz und fremd. Asiadeh blickte ihn an, und das ganze Leben Rollands zog plötzlich an ihren Augen vorüber.

Ein Vertriebener war er, ein Armseliger. Ohne Halt trieb er in der Welt herum. Als Gefangener saß er einst im Palast am Bosporus, ohne Wissen um die Welt, die außerhalb des Palastes begann. Ein Nackter war er in der Fremde, ein Nackter, der vor ihr saß und um Kleidung bat. Die ganze Schwäche des alten Geschlechtes war in ihm. Sie sah ihn an, von plötzlichem Mitleid und Liebe ergriffen. Sie beugte sich vor und ergriff seine Hand:

»Abdul-Kerim, ich kann nicht, ich darf nicht. Begreifst du denn nicht? Vielleicht lieb ich dich, Abdul-Kerim, aber jetzt kann ich nicht.«

Er sah sie fragend und stumm an.

»Warte doch«, sie wußte nicht mehr, was sie sprach. Sie hielt seine Hand fest umklammert und fühlte sich von einer geheimnisvollen fremden Macht getrieben, »warte doch«, und wie von einer plötzlichen Vision gepackt, rief sie verzweifelt und leidenschaftlich: »Vielleicht wirft mich mein Mann hinaus. Dann komme ich zu dir, Abdul-Kerim. Ich kann keine Häuser zerstören.«

Jetzt lachte Rolland. Er zog seine Hand zurück und saß kerzengerade in seinem Sessel.

»Es ist herrlich, Hanum. Das heilige Haus Osman soll warten, bis ein ungläubiger Hund auf den Gedanken kommt, seine Frau hinauszuschmeißen. Sie lieben mich doch, Sie wollen doch zu mir. In Ihren Augen, an Ihren Händen, an Ihren Lippen lese ich die Zeichen der Liebe. Sie liebten mich, als Sie in Ihrem Boot an meinem Haus am Bosporus vorbeifuhren. Sie liebten mich, als Sie mir aus Berlin schrieben, und Sie lieben mich jetzt, während Sie vor mir sitzen. Liebe zu mir ist Ihre Pflicht. Aber Sie sind feige, Hanum, einfach feige, wie es keine Osmanin sein sollte.«

Asiadeh schwieg. Es gehörte viel Mut dazu, jetzt zu schweigen.

John erhob sich. »Ich bin Euer Sklave, Hanum«, sagte er nach dem höflichen Rhythmus der Istanbuler Paläste.

»Gehen Sie mit einem Lächeln, Prinz«, mechanisch formten Asiadehs Lippen den vorgeschriebenen Satz. Sie blieb sitzen, die Schulter hochgezogen, die Augen in die Ferne gerichtet.

Abdul-Kerim ging durch die Halle die Hoteltreppe hinauf. Schon auf der Treppe verwandelte er sich wieder in John Rolland, einen versoffenen Filmautor, der in Libyen Eindrücke für seinen nächsten Film sammeln muß.

Er betrat sein Zimmer. Sam Dooth saß im Sessel, neugierig zu Rolland emporblickend. Auf dem Nachttisch stand eine unberührte Whiskyflasche. John hatte gestern keinen Durst gehabt. Jetzt ging er zum Tisch. Er nahm ein Wasserglas, füllte es mit Whisky und leerte es auf einen Zug.

»Aha«, sagte Sam und wußte Bescheid.

»Ich bin ein Hund.« John füllte das Glas zum zweitenmal. »Meine Ahnen haben zwei Kontinente bezwungen, und ich kann nicht einmal eine Frau bezwingen.«

Er setzte sich auf den Bettrand. Das Glas zitterte in seiner Hand.

»Ich brauche keine Frau«, sagte er plötzlich. »Ich brauche keine Heimat. Ich brauche Whisky.«

Er trank, und Sam sagte wieder »Aha«. Dann trank auch er, in kleinen Schlucken und nicht aus einem Wasserglas. Jetzt mußte John ganz wahnsinnig werden, dachte er.

»Was liegt dir an der Frau«, sagte Sam. »Es gibt so viele. Ich werde dir in Afrika eine Sklavin besorgen. Fahren wir nach Libyen. Europa ist kein gesunder Boden für dich.«

John starrte in das Glas.

»Fahren wir nach Libyen«, sagte er trüb. »Was ein Säufer ist, braucht keine Frau und keine zwei Kontinente und keinen Palast am Bosporus.«

Er begann sich plötzlich auszukleiden.

»Ich gehe schlafen, Sam. Verschwinde! Drahte dem Pascha in Berlin, daß er seine Tochter schlecht erzogen hat.«

Sam erhob sich und schüttelte mißbilligend den Kopf. Es war nicht zu fassen, wie es den Ahnen von John hatte gelingen können, Byzanz zu erobern.

»Geh schlafen«, sagte er, »ich bin zwar für die Angelegenheiten des prinzlichen Harems nicht zuständig, aber ich werde die Sache in die Hand nehmen, denn ich bin ein guter Mensch, und ich verzeihe dir die Zerstörung von Byzanz. Das Ganze ist lächerlich. In drei Tagen bringe ich alles in Ordnung.«

Er ging, und John warf sich aufs Bett.

Sam Dooth verließ das Hotel. Er ging in das Kaffeehaus in der Nähe der Oper. Dort saß er längere Zeit und schlürfte türkischen Kaffee. Niemand, der ihn da ruhig sitzen gesehen hätte, konnte ahnen, daß er eine fieberhafte Tätigkeit entfaltete.

Sam Dooth war ein kluger Mann. Es war sein Ehrgeiz, John zu zeigen, daß sich ein Grieche dort bewährt, wo ein Osmane versagt. Nachlässig hielt er einen Zehnschillingschein in der Hand und blickte gelangweilt zu dem Ober empor, der sich vor ihm verbeugte. Er erfuhr das Alter, die Vergangenheit, die Gewohnheiten und den Freundeskreis Hassas. Daraufhin steckte er die Zehnschillingnote in die Tasche und entließ den Ober mit einem dankbaren Kopfnicken. Dann ging er zu dem Nebentisch, an dem der Chirurg Matthes mit dem Orthopäden Sachs über die Gegensätze zwischen der chirurgischen und orthopädischen Behandlung der Spreizfüße stritt, und stellte sich vor: »Sam Dooth, Filmagent aus New York.«

Die Arzte waren sichtlich geschmeichelt. Sam nahm an dem Tisch Platz. Überlegen lächelnd erzählte er von einer Gesellschaft, die medizinische Filme für Unterrichtszwecke herstellen wolle. »Ich bin nach Wien gekommen, weil wir den wissenschaftlichen Teil der Filme unter Aufsicht von Wiener Ärzten drehen wollen.«

Die Ärzte hörten interessiert zu und fühlten sich vom Wirbel der großen Welt ergriffen. Es war nicht festzustellen, wie das Gespräch von der Wissenschaft zu den Ärzten im allgemeinen überging, von da auf die Laryngologen kam und endlich beim Privatleben des Dr. Hassa endete.

Nach einer Stunde erhob sich Sam Dooth und dankte geflissentlich. »Wir werden uns wegen der Filme noch sprechen«, warf er hin.