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Am nächsten Morgen ging er zur Telephonzelle und ließ sich mit Hassas Wohnung verbinden.

»Hier Maharadscha von Travenkor«, keuchte er in den Hörer, »ich habe schreckliches Ohrensausen. Wann kann ich den Doktor sprechen?«

»Der Herr Doktor ist im Spital und kommt erst in drei Stunden.«

Daraufhin hängte Sam den Hörer auf und ging in Hassas Wohnung. Er fand Asiadeh allein, zusammengekauert, in der Ecke des Salons.

Er verbeugte sich. Asiadeh hatte leicht geschwollene Lippen und blasse Wangen.

»Gott schütze dieses Haus«, sagte er zeremoniell.

»Ihr tut aber alles, um es zu zerstören!«

»Ich diene meinem Herrn«, sagte Sam ernst und mit Nachdruck. Seine Augen wurden groß und finster. »Viele Osmanen fanden ihr Ende durch die Hand eines Mörders, aber nur selten war der Mörder eine Frau.«

»Ich bin keine Mörderin«, Asiadeh sprang auf und lief im Zimmer auf und ab. Ihre Lippen zitterten. »Ich habe Sie nicht gerufen! Auch ich tue meine Pflicht. Ich bin die Frau meines Mannes.«

Sam blickte sie ruhig an und erklärte, daß Pflicht aus zwei Komponenten bestehe: Verantwortungsscheu und Phantasielosigkeit. Wenn die Türken treue Söldner der Araber geblieben wären, wie es ihnen ihre Pflicht gebot, hätten sie sich nie einen großen und gefürchteten Namen gemacht.

Asiadeh blieb mit offenem Munde im Zimmer stehen.

»Aber ich will mir gar keinen gefürchteten Namen machen. Lassen Sie mich doch in Ruhe!«

Sam lächelte wehmütig.

»Der Bruder, der Vater und der Großvater Abdul-Kerims endeten unter sehr traurigen Umständen. Er sucht eine Stütze, und Sie stürzen ihn in den Abgrund. Sie sind nicht besser als jene, die seine Ahnen in den Tod trieben.«

Asiadeh kauerte auf den hohen Kissen in der Mitte des Zimmers. Sie weinte lautlos und mit offenem Mund.

»Ich kann nicht«, sagte sie gequält. »Sehen Sie denn nicht, daß ich nicht kann.«

Sie wischte die Tränen ab und sagte mit plötzlicher Härte:

»Effendi, wenn eine Frau, die sich selbst einen Mann gewählt hat und ihm Treue geschworen hat, wenn also diese Frau grundlos ihren Mann verläßt und mit einem reichen Fremden durchgeht — wie nennt man dann diese Frau? Es gibt sehr schlechte Worte zur Bezeichnung solcher Frauen, Effendi. Das Gesetz sagt: im Diesseits sei solche Frau gesteinigt. Im Jenseits dem ewigen Verderben preisgegeben. Ein Mensch aus dem Geschlechte des Kalifen sollte Mitleid mit einer Frau haben und sie nicht ins Verderben stürzen.«

Sam sprang auf. Diese Türkin war verstockt.

»Hanum«, rief er, »Sie sind eine Heilige. Ich verbeuge mich vor Ihrer Gesinnung, und ich achte sie. Kein Wort mehr darüber. Aber auch ich habe eine Pflicht, und ich werde sie tun.«

Er ballte die Fäuste. Sein Gesicht wurde rot.

»Bleiben Sie hier, aber Sie müssen wissen, mit wem. Dr. Alexander Hassa, ein Mann, der sich seiner Ahnen schämt und sie verleugnet. Ein Mann, dessen Wissenschaft damit endet, daß er Sängern Kokain in den Hals gießt. Jeder Arzt in Wien lacht über ihn. Als Student hatte er eine Geliebte. Als sie ein Kind von ihm erwartete, ließ er sie stehen. Seine erste Frau verließ ihn, angewidert durch seine Einfalt und Verstocktheit. Für Jahre mußte er weg aus dieser Stadt, weil die Kinder mit dem Finger auf ihn zeigten. Wissen Sie überhaupt, wer sein Vater war? Ein balkanesischer Schieber, der sich am Blute seiner Brüder bereicherte. Und diesem Mann opfern Sie John Rolland. Wahrlich, Frauen sind keine Menschen. Sie haben nur die äußeren Umrisse eines menschlichen Wesens.«

Die Tränen schwanden aus Asiadehs Augen. Sie stand im Zimmer und lachte. Ihr Körper schüttelte sich und ihre Augen glänzten. Sie beugte den Kopf zur Seite und sagte mit gebrochener Stimme:

»Ja, und außerdem war er wegen Bankeinbruch eingekerkert. Er pflegt gewerbsmäßig Wechsel zu fälschen und wurde nur aus Mangel an Beweisen von einem dringenden Mordverdacht freigesprochen. So ist es, und nun nehmen Sie Ihren Hut und gehen Sie!«

Sie wandte sich um und verließ das Zimmer.

Wutentbrannt wackelte Sam über den Ring. Der Feldzug war noch lange nicht beendet. Er lief zum Telegraphenamt. Mit gerunzelter Stirn schrieb er ein langes Telegramm, in dem Koranzitate und Ermahnungen mit Bitten und Ratschlägen vermengt waren.

Unterdessen ging Asiadeh in die Stadt. Sie ging durch die Straßen, an den Geschäften und Kaffeehäusern vorbei.

Die Männer auf den Kaffeehausterrassen hatten Rollands Augen, und die Modepuppen in den Auslagen der Herrengeschäfte hatten prinzliche Gestalten und osmanische Nasen. Das Ringhotel glich einem bösen, auf der Lauer liegenden Tier, und sie machte einen großen Bogen darum.

Zu Hause wartete das Essen. Hassa löffelte die Suppe und sprach von Backhendeln und von einem Strudel, den nur seine Mutter zu bereiten verstand. Asiadeh hörte andächtig zu und berichtete von Baklava, einer türkischen Honigspeise, die zum Kaffee gereicht wird.

Nachmittags, als Hassa ordinierte, brachte ihr das Mädchen ein Telegramm:

»Über alles unterrichtet. Dienst am Herrscher oberstes Gebot. Achmed-Pascha.«

Asiadeh faltete das Telegramm. Auch das noch! Sie fühlte sich wie eine Festung, die dem Feuer der Schwerartillerie preisgegeben ist.

»Ich gehe spazieren«, sagte sie zu Hassa, und Hassa nickte. »Paß auf«, sie blieb in der Tür stehen, »was würdest du tun, wenn ich nie wieder zurückkäme?«

»Ich würde nie wieder lachen können.« Hassa blickte sie scheu an.

»Aber ich komme ganz sicher zurück. Bei uns in Istanbul mußte immer jemand eine Frau begleiten, damit sie auch richtig zurückkomme. Aber mich braucht man nicht zu bewachen, ich komme auch so zurück.«

Sie ging zum Telegraphenamt und sandte zwei gleichlautende Telegramme, an John Rolland und an Achmed-Pascha Anbari: »Kann nicht, Asiadeh.«

Dann schlenderte sie durch die Stadt. Auf der Terrasse des Kaffeehauses am Stephansplatz erblickte sie Marion. Sie wollte sich abwenden, aber es fiel ihr ein, daß sie selber nur um eine Haarbreite dasselbe getan hätte, weshalb sie Marion verachtete.

Sie hatte plötzlich Mitleid und Mitgefühl mit Marion. Sie nickte ihr lächelnd zu, und Marion erwiderte den Gruß erstaunt und etwas hoheitsvoll.

Sie ging nach Hause. Am Hotel vorbei. Sie blickte auf die graue Fassade. Oben packte Sam die Koffer.

»Wir fahren nach Rom, John. Die Weiber brachten deiner Familie stets nur Unheil. Von Rom fliegen wir hinüber nach Tripolis und dann zur Arbeit nach Gadames. Du mußt einen guten Film schreiben, sonst zahlt man uns kein Honorar.«

John nickte.

»Laß die Schreibmaschine draußen, Sam. Ich werde im Zuge mit der Arbeit beginnen. Was trinkt man in Italien? Ich war noch nie dort.«

Sam schloß die Koffer.

»Italien ist beinahe so schön wie Griechenland«, erklärte er gewichtig. »Man trinkt dort Wein. In Tripolis dagegen gibt es Dattelschnäpse. Sie sind sehr gut. Auf zur Arbeit, John.«

Sie verließen das Hotel.

21

Das Wasserflugzeug lag im Hafen von Ostia wie ein Autobus vor der Haltestelle. Oben erprobte der Pilot mit angestrengtem Gesicht Maschine und Propeller. Der Propeller surrte. Die mächtige Maschine erzitterte in gleichmäßigem Takt. John Rolland stieg ein. Er nahm auf dem Fenstersitz Platz und preßte den langen Ventilatorenschlauch in die Hand. Hinten raschelte Sam mit den Zeitungen. Die Mitreisenden saßen in ihren Sitzen wie im Vorzimmer eines Zahnarztes. Die Tür schloß sich.

Weiße Wellen zeigten sich an den Fenstern des Abteils. Sie schlugen an das dicke Glas, schäumend und weich, als nähmen sie Abschied. Plötzlich wurden sie kleiner, stiller, unscheinbarer, wie gebändigt vom mächtigen Rauschen des Propellers. Sie sanken in die Tiefe, und vor Rollands Augen breitete sich der Strand von Ostia aus, die Badekabinen, das Strandhotel und die mächtigen Hallen der Littoria.