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»Eine seltsame Welt«, wiederholte Kurz. Er stand vor ihr im Halbdunkel des parfümierten Zimmers. Plötzlich beugte er sich vor.

»Asiadeh«, sagte er und ergriff ihre Hand, »nicht nur in Gadames, auch hier sind Menschen durch Dächer und Straßen voneinander getrennt. Viel strenger als in Gadames. Es gibt keinen Gang von Seele zur Seele. Einsamkeit ist des Menschen Los. Dort in der Sahara oder hier in dem versteinerten Wald der Großstadt.«

Er beugte sich ganz nahe zu Asiadeh. Er flüsterte:

»Einsam bleibt die Frau im Ehebett und einsam der Wanderer durch die Welt des Alltags. Nur selten, nur sehr selten, wie das Blitzlicht eines Wunders…« Er sprach nicht weiter. Er ergriff Asiadehs Kopf. Er preßte seine Lippen an die ihrigen. Sie zuckte heftig zusammen. Er zog sie zu sich empor und seine Hände umfaßten ihren Leib. Er drückte ihren Kopf an seine Brust und sein heißer Atem berührte ihren Nacken.

Plötzlich riß Asiadeh den Kopf hoch. Kurz sah zwei rasende wildfunkelnde Augen. Asiadehs Hände ergriffen seinen Hals. Mit einem wilden Ruck sprang sie hoch. Ihre Knie bohrten sich in seinen Leib. Er sah das Zittern ihrer kleinen, plötzlich erblaßten Lippen. Die Lippen kamen immer näher. Die rasenden Augen wurden ganz schmal. Plötzlich pfiff Asiadeh, kurz und scharf, wie ein Raubvogel. Ihre Zähne erfaßten etwas Fremdes und Weiches. Entsetzt rückte Kurz zurück. Er zerrte an dem kleinen wilden Körper, der ihn krallenartig umfaßte. Er riß, von lähmender Furcht ergriffen, an ihren Schultern.

Wortlos kämpften sie im Halbdunkel des parfümierten Zimmers. Alles Menschliche war von Asiadeh gewichen. In tierischem Haß biß sie sich in das Fremde hinein. Sie fühlte einen salzigen Geschmack in ihrem Mund. Kurz taumelte.

Plötzlich ließ sie ihn los. Sie stand in der Mitte des Zimmers, den Kopf nach vorne gebeugt, und wischte mit dem Taschentuch die Lippen ab. Über Kurz’ Gesicht rann ein breiter Blutstreifen. Sein Gesicht war grünlich. Ganz erschöpft sank er in den Sessel.

Wortlos verließ Asiadeh den Raum. Sie trat in das hell erleuchtete Zimmer, ihre Augen waren noch immer ganz schmal. Auf dem runden Tisch stand ein großes Glas Bowle. Sie ergriff es und leerte es in einem Zug. Zum erstenmal in ihrem Leben verspürte sie den Geschmack des Alkohols. Sie hatte das Gefühl, als bohrten sich feurige Spieße in ihre Eingeweide.

So was gab es also wirklich! Ein Freund ihres Mannes sah sie mit den Augen der Liebe an. Sie trat an den Spiegel. Alles an ihr erschien ihr besudelt, beschmutzt und befleckt. Die Gesichter der Gäste kreisten vor ihren Augen. Jemand lachte, und es klang wie das nächtliche Geheul einer Hyäne. Sie ging weiter, das blutbefleckte Taschentuch in den Händen zerknüllt.

Im zweiten Zimmer auf dem Diwan saß Hassa. »Es kann auch in Allgemeinnarkose gemacht werden«, sagte er, »aber natürlich beim hängenden Kopf.«

Sie winkte ihm zu. Er erhob sich sogleich und folgte ihr. Sie schwieg. Sie glaubte die Folgen der Worte zu ahnen, die an ihren Lippen hingen. Hassa stand da, breit und kräftig in seiner herrlichen Schutzbereitschaft. Sie vergaß den Prinzen und die ferne Oase in der sandigen Sahara. Hassa war da, er war ihr Mann. Etwas Schreckliches mußte jetzt geschehen, und sie konnte es nicht mehr zurückhalten.

»Hassa«, sagte sie, »Herr und Gebieter. Dein Freund, der uns in dieses Haus rief, brach das Gesetz der Gastfreundschaft. Er lockte mich in ein leeres Zimmer. Er überfiel mich und wollte mich vergewaltigen. Ich glaube, ich habe ihm das Ohr abgebissen. Geh hin, Hassa, und töte ihn.«

Sie sprach hastig, mit heiserer Stimme. Hassa blickte sie erschrocken und verwundert an.

»Was hast du, Asiadeh?« Er sah das blutbefleckte Taschentuch in ihrer Hand. »Woher das Blut?«

»Ich glaube, ich habe ihm das Ohr abgebissen. Jetzt mußt du ihn töten, Hassa. Gehe und töte!«

Etwas Gieriges, Dumpfes klang in ihrer Stimme. Sie stand da, zart und einsam, mit herabhängenden Händen und wiederholte, wie von einer finsteren Ekstase ergriffen:

»Töte ihn, Hassa, töte ihn.«

»Das Ohr hast du ihm abgebissen? Mein Gott, du wildes Mädchen.« Hassa war fassungslos. Er grinste verwundert.

»Ich hätte ihm die Kehle durchbeißen sollen, aber ich bin nur eine Frau. Töte ihn, Hassa, er hat mich beleidigt.« Hassas Grinsen wurde immer breiter. Er hatte viel getrunken an diesem Abend. Der Gedanke, daß seine Frau dem Kollegen Kurz das Ohr abgebissen hatte, erschien ihm ungemein grotesk.

»Ich werde gleich hingehen. Schau nicht so finster drein, ich fürchte mich direkt vor dir.«

Er ging durch die Wohnung. Das parfümierte Zimmer mit dem van Gogh an der Wand war leer. Er ging weiter. Kurz stand im weiß getäfelten Ordinationszimmer mit hochgezogenen Hemdsärmeln und war gerade im Begriff, mit einem Pflaster das Ohr zu verkleben.

»Deine Angorakatze hat mich leicht gekratzt«, sagte er verlegen.

Hassa schüttelte den Kopf.

»Nervenärzte verstehen nichts von Verbänden«, sagte er verächtlich. »Komm, ich mach es dir.«

Er wusch die Wunde aus und verklebte sie kunstgerecht.

»Du hast eine wilde Frau«, jammerte Kurz, sichtlich beruhigt, »sie hat mich ganz zerschunden. Wie soll ich mich jetzt meinen Patienten zeigen?«

»Geschieht dir recht«, lachte Hassa und spielte mit der Verbandschere. »Was fällt dir ein, fremde Frauen zu belästigen.«

»Wieso belästigen?« Tiefe Empörung klang in Kurz’ Stimme. »Was hat sie denn dir erzählt? Wir standen in dem van-Gogh-Zimmer, und ich erklärte ihr das Bild. Vielleicht war ich in etwas ausgelassener Stimmung. Mitten im Gespräch legte ich meine Hand um ihre Schulter oder berührte ihr Gesicht, ich weiß nicht mehr genau. Plötzlich sprang sie auf mich los — ich sag’ dir, wie eine wilde Katze, wie eine kleine Furie. Was denkst du denn, Hassa, ich werde doch keine Frau verführen, während zwanzig Menschen im Nebenzimmer sind. Das wäre ja gelacht. Und überhaupt: — ich und fremde Frauen! Lächerlich. Mir genügen die hysterischen Patientinnen. Übrigens — morgen schick’ ich dir einen Fall — eine reiche Polin mit nervösen Beschwerden. Vermutlich eine Reflexneurose.«

Hassa lachte. Kurz war ein harmloser Mann, und Asiadeh hatte Haremsvorstellungen über gesellschaftlichen Umgang. Eine Orientalin war eben anders geartet. Kurz tat ihm beinahe leid.

Während Hassa die Wunde verklebte und über die Reflexneurose der reichen Polin sprach, saß Asiadeh im breiten Diwan des Empfangssaales, und ein Mann mit verschwommenem Gesicht erklärte ihr das Wesen der modernen englischen Dichtung:

»Die ganze Tragik und die ganze Sinnlosigkeit des irdischen Daseins ist in Galsworthy enthalten«, sagte er.

»Ja«, antwortete Asiadeh und blickte zur verschlossenen Tür. Dort, hinter der Wand, mußte etwas Fürchterliches vor sich gehen. Warum hörte sie keine Schreie? Vielleicht hat ihn Hassa erwürgt oder er schlug mit einem harten Hammer auf seinen Schädel, und der Feind sank lautlos zu Boden. Gleich müßte ein fürchterlicher Schrei ertönen. Oder? Asiadehs Herz stand still — oder bleibt der andere Sieger, und Hassa liegt jetzt in einer Blutlache im parfümierten Salon? Aber das war unmöglich, Hassa war stärker als Kurz und bestimmt mutiger. Außerdem mußte Gott auf Hassas Seite sein — ganz bestimmt!

Die Tür öffnete sich. Asiadeh hielt den Atem an.

»Seit Oscar Wilde ist die englische Literatur erdhafter und greifbarer geworden. Man fühlt das Streben nach Realität, daher die Vorliebe für Biographien und Tatsachenberichte.«

»Oh!« sagte Asiadeh.

In der Tür standen Hassa und Kurz. Kurz’ linke Wange war verklebt. »Ein kleiner Unfall«, lachte er verlegen. »Ich glitt aus, mit einem Sektglas in der Hand. Das Glas ging in Scherben und zerschnitt mir das Ohr. Nicht der Rede wert. Kollege Hassa leistete mir Erste Hilfe.«

Asiadeh stand auf. Sie ging durch das Zimmer. Kurz war plötzlich unwichtig und klein. Hassa stand vor ihr, und seine Hand ergriff ihren Arm. Er führte sie zum Fenster. Sie sah ihn an und fühlte, wie ihre Lippen zuckten.