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»Du hast ihn nicht getötet, Hassa? Du läßt deine Frau beleidigen? Du bist doch mein Mann, Hassa. Muß ich mich selbst rächen?«

»Du hast es schon reichlich getan, mein Kind.« Hassa sprach belustigt und ein wenig verlegen. »Du bist eine brave Frau, auf die ich mich verlassen kann. Aber wir sind ja nicht in Asien. Wenn ich jeden Mann ermorden würde, der beim Wein den Wunsch verspürt, nett zu dir zu sein, müßte ich ein Massenmörder werden. Wir sind ja schließlich zivilisierte Europäer.«

Kurz näherte sich den beiden. Seine Stimme klang demütig:

»Gnädige Frau«, sagte er, »es tut mir schrecklich leid. Ich glaube, ich war etwas ausgelassen, während Sie etwas nervös waren. Ich bitte Sie, mir zu verzeihen, ich habe ganz vergessen, daß Sie eine Dame aus dem Harem sind. Hier in Europa nimmt man die gute Laune nicht so ernst.«

Asiadeh schwieg. Sie blickte in den großen Wandspiegel. Sie sah ihre Beine, ihre Arme, ihre nackten Schultern. Sie sah ihr Gesicht mit weichen Lippen und grauen Augen. Das alles gehörte dem ungläubigen Hassa, der sie nicht zu schützen vermochte. Scham und Trauer überkamen sie. Was konnte eine Frau erwarten, wenn sie alles an sich den fremden Blicken preisgab und einen zivilisierten Mann hatte.

»Ich werde das nächste Mal verschleiert und vermummt in Gesellschaft gehen«, sagte sie, »vielleicht wird es dann sicherer sein. Komm, Hassa.«

Sie gingen. Kurz begleitete sie bis zur Schwelle. Ich bin Nervenarzt für Europäerinnen, dachte er, meine Kenntnisse enden an den Toren Istanbuls.

Die beiden bestiegen den Wagen. Sie schwiegen. »Du bist etwas temperamentvoll«, sagte Hassa, »entsinnst du dich noch, wie du mich geohrfeigt hast?«

»Sollte ich mich deinem Freund hingeben?«

»Aber Kind, ein moderner Mensch beißt doch nicht.«

Asiadeh schwieg. Hassa war plötzlich schrecklich fremd und weit. Die breite Ringstraße war von drohenden Häusern umrahmt. Gespensterartig blickten aus der Finsternis die Gitter des Parkzaunes. Männer und Frauen bewohnten die Häuser und waren wild und gefühllos in ihrer wirren Denkart.

Asiadeh dachte an den Vater. Er hätte dem Fremden die Augen ausgestochen, die sie gesehen haben, und die Lippen abgeschnitten, die sie geküßt haben.

»Bist du böse, Asiadeh?«

Hassas Hand berührte ihren Arm. »Wenn du willst, gehen wir nie wieder zu Kurz.«

»Nein«, sagte Asiadeh. Sie schämte sich ihres Mannes, sie schämte sich der Welt, in der sie lebte und deren wahre Züge sie nicht zu erkennen vermochte.

Das Auto hielt. Sie gingen in die Wohnung. Hassa war nicht feige, das wußte Asiadeh, er hatte eine feste Hand und einen sicheren Blick. Was hinderte ihn, den Feind zu erwürgen oder wenigstens zu strafen? Er liebte sie doch. Er würde nie wieder lachen können, wenn sie ihn betrügen würde. Und dennoch rächte er sie nicht. Er hatte einfach nicht den Wunsch, hatte nicht den Drang, den Feind zu Boden zu schleudern, Blut aus den Augen treten zu sehen, die seine eheliche Frau begehrt hatten.

Asiadeh blickte unter halb geschlossenen Lidern zu Hassa hinüber. Er lag im Bett und sah sie schuldbewußt, aber verständnislos an.

»Sei wieder gut, Asiadeh. Wir werden Kurz nicht mehr einladen, und der Fall ist erledigt. Ist ja wirklich unerhört, fremde Frauen zu umarmen. Eigentlich bin ich ganz froh, daß du dich so gewehrt hast. Wird ihm eine Lehre sein. Du bist ein tapferes, wildes Kind.«

Er lachte selbstzufrieden und schloß die Augen.

Asiadeh saß im Bett, die Knie hochgezogen. Die Augen starr auf die Nachttischlampe gerichtet. Sie dachte nicht mehr an Kurz. Es gab wahrscheinlich viele Männer wie Kurz. Brennender Schmerz zerriß ihre Brust. Sie legte das Kinn auf die Knie und dachte nach, angestrengt, mit gefurchter Stirn. Sie dachte an die Männer, die unzivilisiert sind, aber genau wissen, was Ehre ist. Sie dachte an Marion, die plötzlich gar nicht fremd war. Sie dachte an ihren Vater, an die Oase Gadames und an die fremde Welt, in der sie leben mußte und die sie nicht verstand.

Der Schmerz wurde ganz unerträglich. Schweiß trat auf ihre Stirn. Ein Gedanke erfüllte sie und vertrieb alle anderen. Sie dachte weder an den Vater noch an den Prinzen, weder an Marion noch an die fremde Welt um sie.

Sie saß im Bett, den Mund leicht geöffnet, die erschrockenen Augen auf die Glühlampe gerichtet. Sie stöhnte leise und kindlich, und der Gedanke surrte in ihrem Gehirn, ließ nicht los, marterte und stach sie. So saß sie, stöhnend und einsam. Hassa schlief neben ihr. Die Glühlampe brannte, und sie dachte unaufhörlich einen einzigen quälenden Gedanken.

Bis zum Morgengrauen dachte sie darüber nach, ob es richtig sei, von Hassa Kinder zu bekommen. Dann schlief sie ein. Die Rätsel waren nicht gelöst, aber sie lächelte, und durch das verhängte Fenster fielen auf den Teppich die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne.

23

Geheimnisvoll ist das Schicksal der Menschen miteinander verflochten. Über Kontinente und Meere zieht sich der magische Ring des Geschehens, der die Sterblichen verbindet. Ein alter Pascha entziffert in Berlin mit müden Augen die Zeichnungen auf alten Teppichen, spricht einige Worte, und das Leben des Mannes, der in New York wohnt und John Rolland heißt, wird aus der Bahn geschlagen.

Ein Wiener Arzt sieht den Nacken einer schönen Frau, und die Frau verliert den Glauben an die Welt des Westens. In rätselhafter Zweckmäßigkeit verlaufen die Geschehnisse. Tote und Lebende, Vergangenheit und Gegenwart sind zu einem schwirrenden Reigen verbunden, unmerklich gehen sie ineinander über und bestimmen schicksalhaft die Taten und Gedanken der Kreatur.

Nichts vergeht in der Welt des irdischen Kreislaufs, Gedanken, vor Jahrhunderten gedacht, leben weiter, führen ein unwirkliches Dasein im Staube der Bibliotheken, in den gelblichen Bogen alter Manuskripte. Plötzlich verwandeln sie sich in lebendige Taten, in erdhafte Geschehnisse, und weiter geht der schattenhafte Reigen, der den Erdball umfaßt wie ein Ehering den Finger.

Vor Jahrhunderten ritt durch die Wüsten Syriens, durch die Felder Ägyptens und die Dörfer Palästinas der tapfere Recke Usama ibn Munkyz. Jahrzehntelang vergoß er Blut für die grüne Fahne des Propheten im Kampfe gegen die Ungläubigen, die aus den Ländern jenseits des Meeres kamen und das Volk des Propheten bedrohten. Vor den Toren der heiligen Stadt Jerusalem kämpfte er gegen die Ritter aus dem Volke der Franken. Vor Edessa, vor Akka, überall, wo im Heiligen Land Halbmond und Kreuz aneinanderstießen, erschien sein gepanzertes Roß und erscholl über das breite Feld sein kriegerischer Ruf »Im Namen Gottes. Hie Usama ibn Munkyz! Kommt heraus, ihr Ritter der Franken.«

Als aber der große Saladin Friede mit dem Volke der Franken schloß, reiste der Ritter Usama im Auftrage des Herrschers durch die Burgen und Städte der Franken. Er wohnte in den Burgen des fremden Volkes, sah die fremden Sitten, hörte die fremde Sprache, und großes Erstaunen war in ihm.

Jahre vergingen. Alt und müde wurde der Ritter Usama. Da zog er in die Stadt Damaskus zum Hofe des Herrschers. Er vergrub sein Schwert und ergriff mit greisenhafter zitternder Hand die Feder. Für seinen Herrscher und für seine Kinder schrieb er sein großes »Buch der Belehrung«, in dem er Erinnerungen an die Feldzüge und Kämpfe seiner Jugend sammelte, sowie alles, was er über das seltsame Volk der Franken wußte, das von jenseits des Meeres kam und das Volk des Propheten bekriegte.

Jahrzehntelang wurde das Buch von arabischen Rittern gelesen, die in den Kampf zogen wider das Volk der Franken. Dann vergaß die Menschheit »Das Buch der Belehrung«. Jahrhunderte vergingen. Unbeachtet lag die weise Schrift in verstaubten Bibliotheken. Niemand gedachte mehr des tapferen Recken Usama Ibn Munkyz. Bis der Tag kam, an dem Gelehrte aus dem Westen in vergilbten Stößen der alten Manuskripte »Das Buch der Belehrung« auffanden. Mühselig entzifferten gelehrte Augen die alte Schrift. Mit ihren Anmerkungen versehen gaben es sie heraus, und aus dem Schutt der Vergangenheit entstand von neuem der Krieger Usama und sein Leben im Volke der Franken.