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Nachlässig blätterte Asiadeh in der arabischen Schrift. Ganz zufällig fand sie sie in dem Bücherozean der großen Bibliothek. Lächelnd händigte ihr der Bibliothekar das Buch aus. Eine schöne junge Frau begehrt die Belehrung des verschollenen arabischen Recken. Zu Hause, zusammengekauert auf dem Diwan, blätterte Asiadeh in dem Buch. Die altertümliche arabische Sprache klang seltsam und fremd. Sie las über Jagden, über ritterliche Zweikämpfe und seltsame Ereignisse, die den alten Ritter fesselten. Plötzlich hielt sie inne. In großen arabischen Lettern lief quer über die Seite die Überschrift des Kapitels: »Über die Sitten der Franken«. Asiadeh las kopfschüttelnd und lächelnd:

»Gelobt sei der Herr und Schöpfer! Jeder, der tieferen Einblick in das Leben der Franken gewonnen hat, wird Allah preisen und rühmen, daß er ihn zum Muslim werden ließ. Denn er wird in den Franken nur Tiere erblicken, die wie alle Tiere eine einzige Tugend besitzen: ungeheuren Mut auf dem Schlachtfelde.

Die Franken kennen weder Selbstachtung noch Eifersucht. Es kommt vor, daß ein Franke mit seiner Frau über die Straße geht. Ein anderer Franke begegnet ihnen, nimmt die fremde Frau bei der Hand, führt sie abseits und beginnt mit ihr ein Gespräch. Der Ehemann aber bleibt stehen und wartet, bis das Gespräch beendet ist. Wenn es ihm aber zu lange dauert, so läßt er die Frau mit dem fremden Mann stehen und geht weiter.«

Sehr interessant, denkt Asiadeh, schon damals also… Gespannt liest sie weiter:

»Ich war Zeuge der folgenden Begebenheit: Wenn ich Nablus bei Jerusalem besuchte, pflegte ich im Hause meines Freundes Muis abzusteigen, bei dem alle Muslime wohnten. In diesem Hause gab es Fenster, die auf die Straße hinausgingen. Gegenüber lag das Haus eines Franken, der den Weinhandel betrieb und viel unterwegs war. Einmal kehrte der Weinhändler in sein Haus zurück und fand in seinem Bett einen fremden Mann, der neben seiner Frau lag.

›Was suchst du neben meiner Frau?‹ fragte der Weinhändler.

›Ich war unterwegs‹, antwortete der Fremde, ›und trat ein, um auszuruhen.‹

›Und wie kommst du in mein Bett?‹

›Ich sah, daß das Bett bereit ist und legte mich hin.‹

›Aber meine Frau liegt bei dir!‹ rief der Weinhändler.

›Das Bett gehört doch auch ihr‹, sagte der andere, ›ich kann sie doch nicht aus ihrem eigenen Bette vertreiben!‹

›Bei der Wahrheit meines Glaubens‹, rief der Händler, ›wenn es noch einmal geschieht, werden wir uns ernstlich verzanken.‹

Dieses war der höchste Ausdruck seines Zornes und seiner Eifersucht!«

Asiadeh legte den Kopf auf den Diwanrücken zurück und lachte. Ein verrücktes Volk, diese Franken. Mutig auf dem Schlachtfeld und ohne Männlichkeit in den Angelegenheiten der Eifersucht. Jahrhunderte waren vergangen, seit der weise Ritter die Sitten der Franken erforschte. Vieles hat sich bei dem fremden Volke geändert. Unveränderlich blieben die Seelen der Männer, unverändert die Ursachen, aus denen sie die Frauen unverschleiert durch die Straßen gehen ließen. Hassa war ein Franke. Noch einmal, und er wird sich ernstlich mit dem Kollegen Kurz verzanken, weil er seine Frau küßte. Sie las weiter. Das dicke Buch war plötzlich gar nicht mehr veraltet. Sie las:

»Noch ein Beispieclass="underline" Einmal besuchte ich in Tyros das Bad und nahm eine geschlossene Kabine. Kaum war ich mit dem Bad fertig, da stürzte mein Diener herein und rief: ›Herr, was sagst du dazu. In diesem Bad befindet sich eine Frau.‹

Ich eilte sofort in den allgemeinen Saal. Tatsächlich: da war eine junge Frau, die neben ihrem Vater stand, einem fränkischen Ritter. Ich traute meinen Augen nicht und sagte zu einem Freund:

›Um Allahs willen! Ist es wirklich eine Frau?! Ich will, daß du dich davon überzeugst.‹

Mein Freund trat an die junge Frau heran und überzeugte sich vor meinen Augen, daß es wirklich eine Frau war. Daraufhin wandte sich der fränkische Ritter mir zu und sagte:

›Es ist meine Tochter. Ihre Mutter ist gestorben und sie hat niemanden, der sie waschen könnte. Da habe ich sie hierher ins Bad gebracht und habe sie selbst gewaschen.‹

›Da hast du recht gehandelt‹, sagte ich, ›möge der Himmel dich belohnen.‹

Bei mir aber dachte ich: ›Sehet nun, ihr Gläubigen, welch große Gegensätze: die Franken haben offensichtlich weder Ehrgefühl noch Eifersucht, und sie glänzen dennoch durch ungeheuren Mut, obwohl doch Mut der Furcht entspringt, die Ehre zu verlieren. Möge Gott sie verdammen.‹«

Asiadeh schloß das Buch. Es war noch nicht lange her, da war sie selbst zitternd und unbeholfen in ein Bad getreten, und fremde Männer hatten ihren halbbekleideten Körper gesehen. Nein, Hassa war nicht entartet. Er war nur ein Franke, wie jene alten Ritter, über die der Recke Usama spottete. Nichts erinnerte in ihm an die Ahnen, die in Sarajewo hausten und ihre Frauen behüteten. Er war aufgegangen in dieser Welt, in der er geboren war und zu der er gehören wollte. Es war nicht seine Schuld, wenn Asiadeh den Ritter Usama verstand und über die Franken lachte, die allein des Weges gehen, wenn ein fremder Mann ihre Frau anspricht.

Asiadeh runzelte die Stirn. Ein Abgrund trennte sie von der Welt Hassas, und es gab keine Brücke, die hinüberführte. Es war nicht Hassas Schuld, wenn er so war wie alle Menschen um ihn, und es wäre ungerecht, ihn dafür zu strafen.

Asiadeh seufzte. Nein, Hassa war nicht der Mann, der der Vater ihrer Kinder sein könnte.

Sie blickte auf das »Buch der Belehrung«. Wie in traumhaftem Reigen sah sie sich plötzlich vereint dahinschreiten mit dem Krieger Usama ibn Munkyz, mit dem Vater und mit dem Prinzen aus dem Hause Osman, der in einer Oase war und sich John Rolland nannte. Wie in einem unwirklichen Gleichnis erschien ihr die Vision des ewigen traumhaften Reigens, der durch Jahrhunderte ging und die Welt umspannte wie ein Ehering den Finger.

Seltsam verflochten sind die Gedanken der Menschen. Unergründlich verbinden sich ihre Träume und Vorstellungen. Im Café Watan in Berlin sitzt der alte Pascha, der Kaffee vor ihm wird kalt, mit müden alten Augen blickt er auf den indischen Professor an der Theke und denkt an den Prinzen, der zu schwach war, um sich seine Tochter zu holen, und an seine Tochter, die mit einem Ungläubigen lebte und noch nicht schwanger war.

In seinem Ordinationszimmer sitzt auf dem niedrigen runden Stuhl Dr. Alexander Hassa. Die reiche Polin sitzt vor ihm und klagt über Reflexneurosen. Er behandelt die kilianischen Punkte und denkt an Asiadeh, die im Nebenzimmer sitzt, ein unverständliches arabisches Buch liest und laut lacht. Er denkt an sie mit viel Liebe und leichter Sorge, denn sie ist einundzwanzig Jahre alt und eine Wilde, die geleitet werden muß in der Welt der europäischen Sitten.

Auf der Terrasse des Ring-Cafés sitzt Marion. Das schöne Gesicht ist sonnengebräunt. Die Augen hochmütig und stolz. Sie blickt auf das Laub, das bereits von den Bäumen fällt. Sie denkt, daß der Sommer vorbei ist, sie denkt an Fritz, der sie verlassen hat. An ihr verpfuschtes Leben denkt sie und an Hassa, der eine junge schöne Frau hat, die sie am Semmering traf, an dem Tag, als ein Verrückter in ihr Zimmer einbrach, sich Prinz nannte und sie mitnehmen wollte.

Sie lächelt traurig und schüttelt den Kopf. Sie denkt, daß ein Verrückter, der sich einbildet, Prinz zu sein, glücklicher ist, als sie mit ihrer Schönheit, mit ihrer Jugend, mit ihrem verpfuschten Leben.

Einige Straßen weiter, am Graben, in der Bridgestube eines Kaffeehauses, sitzt Dr. Kurz. Das Zimmer ist verraucht und verqualmt. Die Menschen haben fahle Gesichter, und die Frauen sind aufgeputzt. Dr. Kurz legt die Karten auf und beugt sich zur Seite. Neben ihm sitzt Dr. Sachs.