»Friede sei mit dir, Prinz.«
John zuckte zusammen. War es Traum? War es Wirklichkeit? Er erhob sich:
»Du weißt, wer ich bin?«
»Wir sind eine kleine Stadt, Prinz. Wir wissen alles über die Fremden, die auf dem Fahrzeug des Leibhaftigen durch die Wüste kommen. Morgen wäre ich zu dir gekommen, um dich zu begrüßen und zu mahnen. Denn du bist schon lange hier und lebst wie ein Hund ganz ohne Gebet. Aber Allah erbarmte sich meines Greisentums und schickte dich hierher. Gelobt sei er.«
John blickte auf die greisenhaften Falten im Gesichte des Imams.
»Einst«, sagte er leise, »gehörte diese Oase und alles Land um sie meinen Ahnen. Und jetzt lieg’ ich hier, einsam, im Staube vor Gott. Die Welt hat mich verstoßen, und ich bin wie der Holzsplitter eines zerfallenen Hauses.«
Der Imam schwieg. Seine Augen waren gesenkt. Die rotgefärbten Nägel glänzten im Licht der Öllampen. Angst erfaßte John.
»Ein Vertriebener bin ich, der keinen Frieden findet. Fremd bin ich in den fremden Welten.«
»Abdul-Kerim«, sagte der Alte und hob seinen struppigen Bart, »deine Ahnen saßen am Bosporus und herrschten über uns. Sie schickten Krieger und zerstörten unsere Häuser. Jetzt liegst du im Staube vor Gott. Gott allein ist gerecht. Ich bin ein einfacher Mensch aus dieser Wüste und du ein Prinz aus einem zerfallenen Haus.«
Er schluchzte, kurz und böse. Seine Hand glitt über den struppigen Bart.
»Die Welt des Unglaubens«, sagte er verächtlich, »was ist sie? Nichts mehr als Staub in der Wüste. Wer fürchtete sich vor ihr? Unsere Karawanen ziehen nach Timbuktu, zu der Küste des Goldes, nach Ghat und zu den schwarzen Herrschern des Sudans. Wir sind einfache Menschen und hatten nie einen Palast am Bosporus. Aber ein Jahr oder zwei zieht die Karawane durch den großen Sand. Nachts weinen die Frauen auf den Dächern von Gadames. Trauriger Gesang ertönt in der Wüste. Aber die Männer sind in Timbuktu, an der Küste des Goldes oder im Urwalde bei den Heiden. Aber die Heimat? Hier trägt sie jeder in der Brust oder im Gehirn. Sie ist immer da. Einen Fuß, einen Arm, ein Auge, alles kann ein Mensch verlieren, aber nicht die Heimat. Du wohnst in den Steinhäusern der fremden Städte, aber nichts ist fremd in der Welt Gottes.«
»Der Friede«, sagte John böse, »wo nehm’ ich ihn her, alter Mann?«
Der Imam sah ihn verwundert an:
»Im Hause, das du dir bauen wirst.«
»Ein anderer bewohnt mein Haus.«
Der Alte schwieg mit listig zusammengefalteten Lippen. »Ich bin ein armer Imam aus der Oase Gadames«, sagte er endlich. »Aber die Welt ist voller Wunder. Morgen wollte ich zu dir gehen, aber schon nachts schickt Allah dich zu mir. Und heute erst war ein Mann in Uniform bei mir und brachte mir ein Schreiben, das dich betrifft. Ich las es der Gemeinde vor, und alle staunten über die Wunder Allahs. Groß ist die Macht des Herrn. Nur eine Stunde ging das Schreiben aus dem Lande des Unglaubens zu den Zelten des Friedens. Hier, lies es. Ich kann den Inhalt nicht erfassen, denn ich bin ein einfacher Mann.«
Ein zerknülltes Papier lag in Johns Händen. Er entfaltete es. Er las:
»Radio-Austria, Vienna. Gadames via Tripolis. An den weisen Imam der großen Moschee. Im Namen Gottes. Prinz Abdul-Kerim aus dem Geschlechte Osmans weilt unter euch. Besucht ihn. Schützt ihn. Betreut ihn. Sagt ihm: Friede sei über dir. Sein Haus wird gebaut. Ich wache darüber. Er wird das Haus beziehen, so Gott es will. Asiadeh, Tochter Achmeds aus dem Geschlechte Anbari.«
John faltete das Telegramm. »Im Namen Gottes«, sagte er. »Ich bin wie ein Mann aus dem Stamme Tarki. Arm und nackt ist ein Mann. Heim bietet ihm die Frau. Daher gebührt ihr die Ehre.«
Er verbeugte sich und verließ die Moschee. Der Imam sah ihm nachdenklich nach. Dann betete er lange und inbrünstig: »Für den Prinzen und für das Haus, das für ihn gebaut wird, für die Karawanen, die durch die Wüste ziehen, für die Männer, die im Kriege stehen, für die Oase Gadames und für alle Frommen in Ost und West.«
24
»…Und so gibt mir das Bewußtsein, daß Sie, verehrte Hanum, nicht in meiner Nähe sind und also weder mit schweren Gegenständen nach mir werfen noch Geldnoten zerreißen, noch mich bespucken können, den Mut, Ihnen zu schreiben. Seit vier Monaten treiben wir uns mit Rolland in den Wüsten und Oasen herum und führen ein bedauernswertes Dasein unzivilisierter und obdachloser Nomaden. Denn John hat seine Arbeit rasch beendet, und der Producer beschloß, die Außenaufnahmen an Ort und Stelle zu machen. So pilgern wir also von Ort zu Ort in Gesellschaft von Schauspielern und Regisseuren wie eine wandernde Truppe. Dieses Leben bedrückt mich um so mehr, als meine Ahnen, im Gegensatz zu den Ihrigen, keine vagabundierenden Krieger, sondern ehrbare griechische Patrizier und angesehene ruhige Menschen waren. Ich habe zehn Kilo abgenommen und kann mich an Dattelschnäpse nicht gewöhnen, doch wird das Sie, verehrteste Hanum, vermutlich wenig interessieren.
Wir sind jetzt am Lande der menschlichen Zivilisation, und die Außenaufnahmen sind in vollem Gange. Die Doubles stürzen geschickt von den Kamelen, und die Hauptdarstellerin wurde schon achtmal von den Wilden entführt, aber leider stets überbelichtet.
Das Leben eines Menschen, Hanum, ist immer in Gottes Hand, aber hierorts ist diese Hand Gottes allzu deutlich zu spüren. Gestern fand ich einen Skorpion in meinem Bett, was meine Gedanken auf Jenseitiges brachte. Wenn es so weiter geht, werde ich mich aus dem aktiven Leben zurückziehen und auf dem heiligen Berge Athos als weltabgeschiedener Eremit und Asket mein Dasein in frommen Grübeleien beschließen. Die Sorge um das weitere Schicksal unseres Freundes John Rolland werde ich dann Ihnen — o Verehrenswerteste — überlassen.
›We emr bil urf‹, ›Handelt nach euren Sitten‹, sagt das heilige Buch Ihrer Religion. Doch sind die Sitten Johns kaum noch als Sitten zu bezeichnen, und ich würde ihn seinem Schicksal überlassen, wenn ich ihn nicht wie einen Sohn lieb hätte. Denn im bigotten Eifer besucht John jede Moschee dieses Landes und liegt ungebührlich lange im Staube vor Allahs Antlitz, was bei den ehrbaren Mitgliedern unserer Expedition begreiflichen Anstoß hervorruft.
Gestern jedoch ereignete sich ein Vorfall, der mich ernstlich an seinem Verstand zweifeln läßt, und mir wäre lieber, er wäre betrunken, obwohl ich keineswegs für den übermäßigen Alkoholgenuß bin. Gestern also, nachdem er den Dialog zwischen der entführten Lady und dem wilden Räuber fertiggestellt hatte, gingen wir mit vielen anderen Mitgliedern unserer Gesellschaft durch die Oase spazieren, in der hoffnungslosen Suche nach brauchbarer Komparserie. Denn Sie müssen wissen, o Hanum, daß die Menschen in diesem Lande sehr dumm sind und keine Ahnung haben, wie sich ein Komparse bewegen muß, wenn er einen Araber darstellt. Da trafen wir einen zerlumpten Eingeborenen, der mit einem schmutzigen grünen Tuch umgürtet war. John sprach den bedauernswerten Farbigen an, wie wir annahmen, wegen Komparsenarbeit. Soweit ich aus den Brocken des Gespräches feststellen konnte, behauptete der Vagabund, aus dem Geschlechte des Propheten zu stammen und von einer Pilgerfahrt zur heiligen Stadt Mekka zurückzukehren. Darauf — Schamröte steigt mir ins Gesicht, Hanum — darauf umarmte John den ungewaschenen Wilden, setzte sich mit ihm im Schatten einer Palme nieder und begann ein Gespräch über die Wunder der heiligen Stadt Mekka. Dieses alles vor Augen der Mitglieder unserer Expedition. Bedenkt, Hanum! Ein Bürger der Vereinigten Staaten umarmt einen armseligen Eingeborenen. Wir alle kehrten sofort um, denn die Szene war schrecklich anzusehen. Der Hilfsregisseur Moony behauptete sofort, daß John wahnsinnig geworden sei. Die anderen Herren beschlossen aber, John nicht mehr die Hand zu reichen, denn er sei offensichtlich kein Gentleman mehr. Nur mit Mühe gelang es mir, die Herren zu überzeugen, daß John gänzlich betrunken war und also für seine Taten nicht verantwortlich sei. So konnte ich gerade noch seinen Ruf retten. Aber ganz unter uns, Hanum, er war keineswegs betrunken, sondern sehr nüchtern.