Da Sie, verehrte Hanum, durch Ihre Ehe und Neigung Europäerin geworden sind, wende ich mich an Sie mit einer großen Bitte: Richtet einen Mahnruf an John, damit er sich nicht mehr andauernd im Staube vor Allah herumwälzt und die würdelosen Umarmungen der einheimischen Heiligen unterläßt. Denn ich vermute, daß Sie einen bestimmten Einfluß auf meinen Freund und Sozius haben. Er behauptete nämlich nach dem achten Dattelschnaps, daß er der Vater Ihrer Kinder sein wird, und nach dem zwölften Schnaps spricht er von einem Haus, das Sie für ihn bauen und von dem ich nicht weiß, was es bedeuten soll.
Übrigens muß ich hinzufügen, daß John sich höchst überflüssigerweise an das Kamelreiten gewöhnt hat und manchmal sogar einheimische Gewänder trägt, was für ein Mitglied des New Yorker Filmautoren-Klubs höchst schandhaft ist. Auch da sollten Sie ihm als Beispiel entgegentreten, denn als ich Sie zuletzt sah, haben Sie — wie ich jetzt einsehe, mit vollem Recht — vorgezogen, bei Ihrem ehrenwerten europäischen Mann zu bleiben (grüßen Sie ihn, Hanum, und Gott schicke ihm viele Patienten), anstatt dem nur ganz oberflächlich durch die europäische Kultur berührten Asiaten zu folgen, als der John sich jetzt erwiesen hat.
Unsere Arbeiten hier, Hanum, sind bald beendet und wisset, daß mein armer Freund sich in den Kopf gesetzt hat, vor der Rückreise nach Amerika den Rest der Wintersaison in Wien zu verbringen. Doch werde ich natürlich alles daransetzen, um Sie vor seinen asiatischen Belästigungen zu schützen, so Sie meine Bitte erfüllen und ein energisches Mahnwort an ihn richten. Denn offen gesagt, ist das Trinken, um das ich ihn manchmal tadele, harmloser und in den Augen eines jeden Bürgers der Vereinigten Staaten ehrenwerter als der würdelose Umgang mit Koranlesern, einheimischen Sängern oder zerlumpten Nachkommen des Propheten.
Ich schließe meinen Brief, Asiadeh-Hanum, und bin überzeugt, daß wir uns verstehen werden, denn wir sind beide Menschen westlicher Kultur — Sie eine Österreicherin, ich ein Bürger der Vereinigten Staaten. Ich grüße Sie in Eile, denn ich höre, wie John im Nebenzimmer mit einem hiesigen Schriftgelehrten eine Pilgerfahrt zum Grabe des heiligen Sidi Abdessalam erwägt. Ich muß gleich energisch eingreifen, obwohl wir hier 40 Grad im Schatten haben.
Ihr Sam Dooth.«
Asiadeh faltete den Brief zusammen. Genießerisch schnupperte sie an dem knisternden Papier. Sie glaubte, den Brandgeruch der durchglühten Erde zu spüren. Die bunte Briefmarke der libyschen Post stellte die Wüste dar, die Sonne und ein bedächtig dahinschreitendes Kamel.
Vierzig Grad im Schatten, dachte sie verwundert und blickte aus dem Fenster. Draußen schneite es. Weiße Flocken fielen auf den Asphalt. Die Äste der Bäume grüßten die Häuser, unter der Last des Schnees geneigt.
Es war ganz unvorstellbar, daß es einen Ort gab, in dem die Sonne wie eine gelbe Fackel vom Himmel herabhing und Sandsturm wirbelartig über die Wüste fegte.
Asiadeh streichelte den Brief. Nein, sie würde kein Mahnwort an John Rolland richten, weder brieflich noch auch, wenn er nach Wien käme. Mochte er sich hundertmal vor dem Antlitz des Herrn in den Staub werfen und mit zweifelhaften Prophetenerben weise Gespräche führen.
Vier Monate waren vergangen, seit John Rolland vor ihr gesessen hatte mit stolzem Gesicht und schlaff herabhängenden Armen. In diesen vier Monaten waren die Blätter von den Ästen der Wiener Bäume verschwunden, herbstliches Laub raschelte unter den Füßen und erinnerte an Wüstenstaub, weiße Flocken fielen vom Himmel, und die Erde wurde weiß.
In diesen vier Monaten besuchte Achmed-Pascha Anbari für eine Woche seine Tochter in Wien und sah sie mißbilligend an, denn sie hatte den Prinzen verstoßen und war immer noch nicht schwanger. In diesen vier Monaten packte Hassa einmal die Koffer und fuhr mit Asiadeh nach Tirol. In der Hand hielt er lange dunkle Holzbretter und Stöcke, von deren Verwendung Asiadeh nur eine sehr dunkle Vorstellung hatte. In Tirol wickelte sich Asiadeh in Pelze, und ihre Zähne klapperten beim Anblick der Schneefelder. Sie saß im Hotelzimmer am glühenden Ofen und blickte ängstlich aus dem Fenster. Draußen auf dem weißen Feld stellte Hassa seine Bretter auf den Schnee, bestieg sie, nahm zwei Stöcke in die Hände und raste in sinnloser Geschwindigkeit und Todesverachtung über Täler und Berge. Er trug einen Schal und eine runde weiche Mütze und war ungemein schön und männlich in der festen Zielsicherheit seiner Bewegungen.
Asiadeh sah ihn an und war stolz, daß er, solange sie wollte, ihr Mann sein würde. Aber sie saß dennoch am glühenden Ofen, klapperte mit den Zähnen und dachte an das Haus, das sie für den Prinzen errichten mußte und von dem noch immer kein Stein fertig war. Denn Hassa war ein guter und ein schöner Mann, aber er war bestimmt kein Haus.
Rasch und eintönig waren die vier Monate vergangen, und nur eine einzige Woche lang herrschte im Hause Hassas eine dumpfe Krisenstimmung. Asiadeh entsann sich genau: es war Mitte Dezember. Hassa kam aus dem Krankenhaus mit lächelnden Augen und erfrorener Nase:
»Bald ist Weihnachten«, sagte er, und sein Gesicht strahlte wie bei einem kleinen Kinde, »ich werde dieser Tage einen Weihnachtsbaum besorgen und den Schmuck dazu.«
»Nein«, sagte Asiadeh, »ich will das nicht.« Hassa bekam ganz verblüffte Augen.
»Weihnachten«, sagte er, »weißt du, was das ist? Ein Tannenbaum mit bunten Kerzen und mit Schmuck, und unter dem Tannenbaum liegen die Geschenke. Als ich noch klein war, kam auch immer ein Weihnachtsmann mit langem weißem Bart, und ich dachte, daß er echt sei. Weißt du denn nicht, was Weihnachten ist?«
»Ich weiß sehr genau, was Weihnachten ist. Es ist das größte Fest der Christen, aber du weißt nicht, daß deine Frau eine Muslimin ist, und du doch eigentlich auch. Wir können kein Weihnachten feiern.«
»Aber, mein Kind«, Hassa war ganz verdattert, »Weihnachten ist doch Weihnachten. Kannst du es denn nicht verstehen? Das wurde immer gefeiert, solange ich lebe.«
»Gut«, sagte Asiadeh, »kaufe dir einen Weihnachtsbaum. Ich fahre dann auf eine Woche zu meinem Vater nach Berlin. In Berlin gibt es eine Moschee, und ich habe schon lange keine besucht.«
Hassa wurde sehr böse. Er ging im Zimmer auf und ab. Er erzählte von seiner Kindheit. Er beschimpfte die wilde Welt Asiens und sagte sogar, daß Marion, obzwar sie eine sehr schlimme Frau war, doch nie etwas gegen Weihnachten gehabt habe.
»Sie war auch keine Muslimin«, meinte Asiadeh, »warum sollte sie etwas gegen Weihnachten haben?«
Aber Hassa hörte nicht zu und sprach so lange vom Tannenbaum, bis die ersten Patienten kamen und er in die Ordination mußte. Nach der Ordination ging er wütend ins Kaffeehaus und klagte Dr. Matuschek sein Leid:
»Verstehst du das«, sagte er fassungslos, »sie will keinen Weihnachtsbaum haben. Dabei würde sie unter dem Baum einen herrlichen Pelzmantel vorfinden. Kannst du das verstehen?«
»Eine Wilde«, lachte Matuschek.
Am nächsten Tag wußte das ganze Kaffeehaus, daß Hassas Frau ihrem Mann verboten habe, einen Weihnachtsbaum zu kaufen. Kurz trat daraufhin mit ausgestreckten Händen an Hassas Tisch und fragte teilnahmsvolclass="underline" »Ja, was wirst du denn am Heiligen Abend machen, du Armer?« Und der Ober erzählte dienstbeflissen, daß irgendwo in der inneren Stadt für arme Teufel, die keine Bleibe haben, auch am Heiligen Abend ein kleines Kaffeehaus offenstehe.
Hassa war außer sich. Aber Asiadeh blieb hart. Hassa ging am Heiligen Abend zu Dr. Sachs, und Asiadeh verbrachte den Abend allein auf dem Diwan, in warme Schals eingehüllt.
Eine Woche lang ging Hassa schmollend in der Wohnung herum. Zu Silvester verzieh er aber seiner Frau feierlich und schenkte ihr zum Zeichen der Versöhnung den Pelzmantel.
»Aber wenn wir Kinder haben«, sagte er streng, »müssen wir Weihnachten feiern. Die Kinder können doch nicht wie Wilde heranwachsen.«