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Asiadeh erschauderte bei diesem Gedanken. Sie ging weiter. Im Halbdunkel des unteren Geschosses schmiegten sich dürftig bekleidete Frauen an befrackte Männer, und die Luft war heiß, drückend, von Parfüm und Weingeruch erfüllt. Asiadeh nahm am Rande einer leeren Bank Platz. Sie war plötzlich sehr müde. Männer lächelten sie im Vorbeigehen an, aber sie erwiderte das Lächeln nicht. Sie saß da im bunten Zigeunergewand, und die goldenen Münzen lagen kranzartig um ihre Stirn.

Am anderen Ende der leeren Bank saß eine Bajadere. Der Rücken der Bajadere war Asiadeh zugewandt. Der Rücken war braun, jung und schlank. Asiadeh sah schmale Arme, seidene Pumphosen und goldgestickte Pantoffeln. Ein seidener Turban lief um den Kopf der Frau. Sie saß allein, schweigsam und grüblerisch, sichtlich ermüdet vom Trubel des Festes.

Plötzlich wandte sie sich um. Asiadeh sah eine längliche Perle, die vom Turban auf die Stirn der Frau herabhing, sie sah vornehm geschwungene Augenbrauen, zwei hochmütige braune Augen und eine schmale Nase mit zitternden Nüstern.

»Guten Abend, Marion«, sagte Asiadeh. Ihre Müdigkeit war plötzlich verschwunden. Sie rückte an die Bajadere heran.

»Guten Abend, Asiadeh.« Marion musterte sie neugierig. Ihre Augen weiteten sich. Sie hatte ein schönes Gesicht und schmale lange Hände.

»Sie sehen aus wie eine richtige Türkin. Der Turban steht Ihnen sehr gut.« Asiadeh blickte sie mit Bewunderung und Anerkennung an.

Marion lachte: »Eigentlich müßten Sie einen Turban und türkische Hosen tragen.«

»Das wäre zu echt, Marion. Ich bin doch eine Wilde und müßte einen Schleier tragen.«

»Eine Wilde? Wann hat zuletzt eine Frau aus Ihrer Familie einen Schleier getragen?«

»Wann zuletzt? Ich selbst habe noch einen Schleier getragen. Noch vor sechs Jahren. Nein, ich bin schon eine echte Wilde.«

Asiadeh nahm Marions Hand. Die Hand duftete. Marion hob verwundert die Augenbrauen. Sie lachte:

»Warum laufen Sie nicht weg, Asiadeh, wie damals am Semmering?«

Ihre Stimme klang traurig:

»Ich war eine dumme Gans, Marion. Deswegen bin ich damals davongelaufen. Seien Sie mir nicht böse.«

Asiadehs Augen waren ganz ernst. Sie betrachtete Marion mit tastender Neugierde. Marion schüttelte den Kopf:

»Macht Ihnen Alex keine Sorgen? Ist er brav?« Sie konnte sich Asiadehs plötzliche Zuneigung nicht erklären.

»Unserem Mann geht es gut, Marion. Er ist jetzt ein Alchimist und liest einem blonden Mädchen aus der Hand. Neben ihm sitzt Matthes und ist in Wirklichkeit Li Tai-pe. Auch Kurz dürfte oben sein und viele andere Ärzte verschiedener Fächer. Nein, Hassa ist ein braver Mann und macht mir keine Sorgen.«

Sie schwieg. Peter der Große ging durch den Saal und hielt seine Hand um die Schulter der Königin Nofretete. Ein Jüngling mit angeklebter Nase saß in der Ecke und unterhielt sich mit einem verwegen aussehenden, aber bebrillten Indianer. Sie sprachen ernst, wenn auch ziemlich zusammenhanglos, über ästhetische Probleme.

Marion war in Gedanken versunken. Ihr Gesicht schien immer noch etwas hochmütig.

»Trinken wir einen Mokka, Asiadeh«, schlug sie plötzlich vor, »ich weiß aus Erfahrung, daß unser Mann bis zum Morgengrauen auf dem Gschnas bleibt.«

Asiadeh nickte. Sie erhoben sich und gingen zur Mokkastube.

Sie saßen in der Mokkastube. Eine Bajadere und eine Zigeunerin. Graue Augen blickten in braune Augen, und im Saal wurde es langsam ruhiger. Der Rausch des nächtlichen Festes verrann. Beide Frauen wurden plötzlich verlegen.

»Wie geht es Ihnen, Marion?«

»Mir? Ach, gut. Danke. Ich war Skilaufen in Tirol. Jetzt bin ich wieder in der Stadt.«

»Es ist so seltsam, Marion. Ich spreche Sie jetzt zum erstenmal, und dabei weiß ich schon so viel über Sie.«

Marion errötete kaum merklich:

»Ja, Alex muß immer jemandem sein Herz ausschütten. Erzählt er immer noch von seinen Patienten, und schwärmt er immer noch für den mütterlichen Apfelstrudel?«

»Ja, immer noch. Und das Wartezimmer ist immer noch voll von Kranken, und auf den Tischen liegen immer noch dieselben Zeitschriften. Nach der Ordination geht er immer in dasselbe Kaffeehaus.«

»Und nachher fährt er auf den Kobenzl oder in den Prater. Nicht wahr? Ich fühle mich direkt verjüngt, wenn ich Sie so sprechen höre.« Sie verstummte. Die Musikkapelle spielte ein Zigeunerlied. In den Ecken des Saales saßen Liebespärchen. Niemand tanzte mehr. Am Nebentisch sprachen zwei Männer über die Börsenlage. Die Wirklichkeit begann durch geheimnisvolle Schlupfwinkel in den Saal zurückzukehren.

»Es kommt selten vor«, sagte Marion, »daß zwei Frauen eines Mannes friedlich an einem Tisch sitzen.«

»O warum? Mein Großvater hatte vier Frauen gleichzeitig und alle vier verstanden einander glänzend. Sogar viel besser als mit ihrem Mann.«

Marion öffnete die Tasche. Sie nahm einen kleinen Spiegel und fuhr mit einer Puderquaste sanft über ihr Gesicht.

»Ich freue mich, daß es Alex wieder gut geht. Er hat sich die Sache damals viel zu sehr zu Herzen genommen. Mein Gott, so was kommt doch vor, daß sich zwei Menschen trennen. Es ging nicht anders, ich mußte fort. Eigentlich hat Alex Glück im Leben. Ihr versteht euch doch glänzend?«

Marions Stimme klang kühl. Asiadeh versteckte die Nase und Augen in der Mokkatasse. Dann lächelte sie verschmitzt:

»O ja, wir verstehen uns herrlich. Hassa hat viel Geduld mit mir. Ich bin doch eine Wilde und ganz anders als er. Aber er ist immer so aufmerksam. Er erfüllt alle meine Wünsche. Ich glaube nicht einmal, daß er es nur meinetwegen tut. Er ist einfach ein idealer Ehemann. Viel beschäftigt, zart und zuvorkommend. Er wäre zu jeder Frau gleich nett. Er eignet sich einfach gut für die Ehe. Es ist nicht schwer, mit Hassa glücklich zu sein. Und so sind wir eben sehr glücklich.«

Marion lachte. Sie dachte an die Wohnung, an das Bett, an Hassa im weißen Kittel und an die Zeitschriften im Wartezimmer.

»Sitzen Sie auch immer im Salon, am Erkerfenster, und Hassa schreit in der Ordination: ›Sagen Sie zweiundzwanzig!!‹?«

Asiadeh nickte begeistert.

»Ja, und der Kranke antwortet: ›Vierzehn‹ oder ›Wie bitte?‹ und dann klappern die Instrumente. Am Anfang wollte ich Hassa in der Ordination behilflich sein, aber er erlaubte es nicht.«

»Mir hat er es erlaubt.« In Marions Stimme klang ein leiser Triumph. »Ich durfte ihm die Instrumente reichen, die Rechnungen ausschreiben und den Kindern Schokolade geben. Es hat mich zuerst sehr gefreut. Aber es ist nicht gut, wenn Mann und Frau immer zusammen sind. Da ich alle seine Patienten kannte, sprach er auch in der freien Zeit nur noch über Kranke mit mir. Und das ging auf die Dauer nicht.«

Marions starres Gesicht wurde weich. Ihre Hände zerknüllten ein Taschentuch. Es war seltsam, daran zu denken, daß es eine Zeit gab, als sie Hassa die Instrumente reichte und auf schöne Patientinnen eifersüchtig war. Die Zeit lag sehr fern. Zwischen damals und jetzt gab es Fritz, dem alle Frauen nachliefen. Es gab auch andere, aber es war besser, daran nicht zu denken.

Asiadeh seufzte.

»Manchmal beneide ich Sie, Marion. Sie kennen Hassa so viel besser als ich. Ich kenne mich in den europäischen Männern nur wenig aus. Außer Hassa kannte ich in Berlin höchstens ein paar Studienkollegen, und die hatten Glatzen und entzifferten Hieroglyphen. Wir müssen öfters zusammenkommen und über unseren Mann sprechen.«

Dummer Fratz — dachte Marion — oder es ist in der Ehe etwas nicht in Ordnung. Diese plötzliche Gunst!

Sie sah neugierig zu Asiadeh hinüber. Die grauen, seltsam geschnittenen Augen blickten mit naiver Unbekümmertheit drein. Die weichen Lippen waren gefaltet. Die Arme lagen unbeholfen auf dem Tisch. Ein kleines dummes Mädchen saß vor Marion, ein Balg, das wahrscheinlich eifersüchtig darüber war, daß ihr Mann oben mit anderen Frauen tanzte. Sie lachte huldvoll.