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»Gut, Asiadeh. Ich komme mit Ihnen gerne zusammen. Ich kenne Alex ganz gut, oder ich bilde es mir wenigstens ein.«

Der große Saal war jetzt fast leer. Nur der Napoleon saß noch einsam und siegessicher in der Mitte. Bunte Luftschlangen bedeckten den Boden. Die Lampions warfen ein unwirklich flackerndes Licht in den Saal. Kellner standen in den Ecken, und ihre offiziellen Gesichter legten sich langsam wieder in private Falten.

Draußen, auf der Treppe, die zum zweiten Stockwerk führte, ertönte lautes Gelächter. Einige gutgelaunte Herren betraten die Mokkastube. Voran, im seidenen Gewand eines chinesischen Mandarins, mit kunstvoll geschlitzten Augen der Chirurg Matthes. Dicht neben ihm Hassa. Seine Alchimistenkappe war leicht verrutscht.

»Da bist du, Asiadeh«, rief er heiter, »und wir suchen dich überall.« Er trat an den Tisch.

»Und während du mich gesucht hast«, lachte Asiadeh, »haben sich deine beiden Frauen zusammengefunden und tranken Mokka.«

Hassas Gesicht erstarrte. Jetzt erst erkannte er Marion.

»Guten Abend, Alex«, Marions Stimme klang heiter, »nimm Platz, oder soll ich lieber gehen?«

Sie lächelte, und ihre Nasenflügel zitterten.

»Aber ich bitte dich, Marion. Ich freue mich sehr. Wir… wir können ja ein Glas Wein trinken. Du bist also auch hier…?«

Grenzenlose Verlegenheit klang in seiner Stimme.

»Der Pascha inmitten seines Harems«, rief Matthes, »das muß gefeiert werden. Ober, Wein!«

Er schob lärmend den Stuhl zur Seite. Dr. Sachs schenkte den Wein ein, und der Gynäkologe Halm hob das Glas. »In vino veritas«, rief er, »auf freudiges Wiedersehen.«

Die Gläser klirrten. Niemand bemerkte, daß auch Asiadeh in raschem Zug ihr Glas leerte. Ihr Herz klopfte heftig. Der große Gelehrte Scheich Ismael aus Ardebil behauptete mit Recht, daß es Augenblicke gebe, in denen Wein erlaubt sei. Marion lächelte traumverloren.

»Wenn man bedenkt«, sagte Dr. Sachs und machte ein grüblerisches Gesicht, »wenn man bedenkt, daß ich Zeuge in eurem Scheidungsprozeß war! Und jetzt sitzen wir alle friedlich am Tisch. So ist das Leben.«

Er schüttelte den Kopf und füllte sein Glas.

Hassa nahm neben Asiadeh Platz. Er umarmte sie siegreich und ein wenig hilfesuchend. Seine schrägen Augen starrten auf Marion, und seine Hand vergrub sich in Asiadehs Haar. Der Gynäkologe Halm lachte. Er selbst war schon zweimal geschieden.

»Meine erste Frau — sie ist schon längst wieder verheiratet — wählt mir auch heute noch meine Krawatten aus. Am Tage der Scheidung bedrohte sie mich aber mit einem Bajonett.«

Marion hob den Kopf und blickte lächelnd zu Hassa hinüber.

»Alex«, sagte sie, »und was ist aus der Schreckpistole geworden, mit der du mich erschießen wolltest?«

Marions Frage klang wie ein Siegesjubel. Seit Jahren hoffte sie, ihm einmal diese Frage vorlegen zu können. Hassa errötete. Es gab wirklich eine Zeit, in der er Marion mit der Pistole bedroht hatte. Alle an dem Tisch wußten es, bis auf Asiadeh. Aber es war unangenehm, daran erinnert zu werden.

»Ich habe die Pistole dann weit unter ihrem Preis verkauft. Ich habe an dem Geschäft fünf Schilling verloren.« Er blinzelte verlegen, und Marion lachte.

»Ich werde dir die fünf Schilling gelegentlich ersetzen, Alex.«

Im Saal wurde es still. Die Musikkapelle packte die Instrumente zusammen. Peter der Große torkelte gähnend zum Ausgang. Ein bebrillter Mann ging vorbei und lächelte Marion zu, aber Marion wandte sich ab.

»Wie gefällt dir meine wilde Frau?« fragte Hassa. Seine Hand war immer noch in Asiadehs Haar vergraben.

»Du hast Glück, Alex. Du hast eine entzückende Frau, und sie hat mir eben gebeichtet, wie glücklich ihr miteinander seid. Ich bin wirklich froh deinetwegen.«

Sie reichte ihm die Hand, und ihre Augen wurden wieder sehr demütig. Hassa drückte ihre Hand.

»Gehen wir«, rief Dr. Sachs, »die Szene wird zu rührend.«

Alle erhoben sich. Asiadeh lief durch den Saal, und die goldenen Münzen klapperten an ihrer Stirn. Sie ergriff den dicken Dr. Halm und wirbelte mit ihm durch den Saal, bis ihm schwindlig wurde. Dann lief sie zur Garderobe. Von der Straße her kam grauer Morgennebel. Die Menschen schlüpften in ihre abgelegten Seelen zurück. Die gestörte Weltordnung gewann ihre natürlichen Formen zurück.

»Wir sehen uns einmal, Marion«, sagte Asiadeh, und Marion nickte. Hassa hantierte am Wagen. Feuchter Nebel kroch durch die Straße. Die dünnen Luftschlangen am Mantelarm glichen einer schamvollen Erinnerung an einen unwirklichen Traum. Die Menschen tauchten in ihre Wirklichkeit ein, und der Nebel verhüllte sie, gnadenvoll und schützend.

»Eine tolle Nacht«, sagte Hassa und ließ den Motor an.

»Eine sehr nette Nacht«, meinte Asiadeh, »eine herrliche Nacht. Gschnas ist etwas sehr Schönes. Ich habe mich sehr gut unterhalten. Wirklich, Hassa.«

Sie legte den Kopf auf seine Schulter und schlief sofort ein.

26

In den Nachmittagsstunden pflegte Frau Dr. Asiadeh Hassa das Kaffeehaus am Stephansplatz aufzusuchen. Dort traf sie Marion. Sie saß neben ihr mit kindlich gefalteten Händen und erzählte von ihrer glücklichen Ehe, von Hassas Praxis und von der Wohnung am Ring.

»Wissen Sie«, sagte sie, »ich könnte mir das Leben ohne Hassa gar nicht mehr vorstellen. Er ist ein so guter Mann.«

Ihre kindlichen Augen leuchteten von naivem Stolz. »Es ist seltsam«, sprach sie weiter, »dadurch, daß Sie auch mit Hassa verheiratet waren und das schöne Leben kennen, das ich jetzt führe, sind Sie mir näher als alle anderen Menschen in Wien.«

Marion hörte ihr geduldig zu. Asiadeh war ein kindliches Gemüt, das das Bedürfnis hatte, über sein Glück zu plappern und unerklärlicherweise zu ihr Vertrauen gefaßt hatte. Bis in den späten Nachmittag schwatzte Asiadeh über ihre Ehe. Dann ging sie, und Marion rauchte ihre Zigarette zu Ende und zahlte. Dann ging auch sie über den verschneiten Stephansplatz. Sie sah sich die Auslagen der Geschäfte am Graben an. Ihre stolzen Augen streiften gelangweilt und gleichgültig die Pestsäule, und sie bog in den Kohlmarkt ein.

Die Straße war von häßlichem Schmutz bedeckt. Hupende Autos glichen dressierten Elefanten mit emporgehobenen Rüsseln, und die halbkreisförmige Fassade der Hofburg starrte Marion mit abgeklärter Weisheit an. Einst fuhren durch die mächtigen Torbogen der Burg Kaiser und Könige ein. Durch die Fenster der Burg blickten auf den runden Platz Franz Joseph und Napoleon. In den großen Fensterscheiben spiegelten sich die goldbestickten Uniformen. Die Burgfassade hatte so viel gesehen, so viel miterlebt. Marions Schicksal schien ihr gleichgültig zu sein. Ablehnend und stolz starrte die Burg auf die Frau…

Marion ging durch die Herrengasse. Die Gasse glich einem langen gekrümmten Wurm. Links erhoben sich Regierungsgebäude und Museen, aber Marion wußte weder, wie sie hießen noch, was sie beherbergten. Rechts strahlten in abendlicher Beleuchtung die unendlichen Spiegelscheiben der Geschäfte. Der kalte Beton des Hochhauses hing über der Herrengasse wie über einem steilen Abgrund. Marion durchschritt die Marmorhalle des Hauses. Der Portier begrüßte sie mit vertraulicher Höflichkeit. Weich und lautlos bewegte sich der Fahrstuhl. Marion betrat ihre Wohnung. Sie sah die kühle Sachlichkeit des modernen Raumes. Das Zimmer mit dem Blick auf den betonierten Hof ließ an luxuriöse Zellen eines Gefängnisses für Millionäre denken.

Marions Gesicht war gar nicht mehr hochmütig. Mit böser hastiger Bewegung schob sie den Fenstervorhang zu. Der graue Gefängnishof verschwand. Sie machte das Licht an und starrte in den Spiegel. Sie war immer noch sehr schön mit ihrem schmalen länglichen Gesicht, ihren braunen Augen und der hohen glatten Stirn. Diesem Gesicht sah man weder die Scheidung von Hassa an, noch die Sache mit Fritz, noch alles andere, was nachher kam und woran sie lieber nicht dachte.