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Marion ließ sich auf das Sofa nieder. Ihre kleinen weißen Zähne bohrten sich in die Unterlippe. Das Gesicht bekam einen leidenden Ausdruck. Das Zimmer mit den trostlos kühlen Möbeln glich einer Gruft. Marion wußte kaum noch, wie sie es bezogen und eingerichtet hatte. Ja, es war an einem jener Tage gewesen, an die sie lieber nicht dachte und an die sie immer wieder denken mußte…

Sie schüttelte den Kopf. Nein, ihr Leben war in Unordnung geraten, und es war offensichtlich nicht ihre Schuld. Hassa war ein anständiger und öder Mann mit kindlichem Charakter und primitiven Einfällen. Er liebte seine Frau, seine Wohnung und seine Kranken. Es war nicht auszuhalten…

Marion erhob sich und ging im Zimmer auf und ab. Plötzlich legte sie sich auf die Couch und starrte auf die heruntergelassenen Fensterläden. Sie liebte Fritz so, daß sie manchmal der jähe Wunsch ansprang, ihn zu erschießen. Alles an Fritz war bunt und lockend, voll rätselhafter Geheimnisse und Versprechen. Er hatte mehr Frauen als Hassa Patienten, und wenn er sprach, saß Marion mit geschlossenen Augen da, hörte nur den Tonfall, und Hassa verschwand für immer im Abgrund des Vergessens.

Marion zündete sich eine Zigarette an. Der englische Tabak schmeckte fad und süßlich.

Ja, und dann stellte sich heraus, daß Fritz in der Provinz eine Frau hatte, mit der er regelrecht verheiratet war und vor der er sich fürchtete. Es war ein herrlicher Sommer im Salzkammergut gewesen. In diesem einen Sommer gab ihr Fritz mehr als Hassa in den drei Ehejahren. Und dann… ja, dann kam ein kräftiges Weib mit krächzender Stimme und böser Papageiennase. Fritz duckte sich plötzlich. Alles Lockende und Rätselhafte war von ihm wie abgestreift. Ein dummer furchtsamer Ehebrecher stand vor Marion und hatte verlogene und verschämte Augen.

Marion sprang auf und warf die Zigarette weg. Wieder ging sie im Zimmer auf und ab und wußte nicht, daß auch Hassa einst in Berlin ebenso durch sein Zimmer gegangen war, bevor er ihre Photos in den Schreibtisch steckte. Vor dem Spiegel blieb Marion stehen. Sie war ganz allein, und es hatte keinen Sinn, stolz und überheblich zu sein.

Ihr Gesicht mißfiel ihr plötzlich. Eine Weile betrachtete sie es ganz genau. Dann führte sie ihren Zeigefinger an die Nasenspitze und stülpte die Nase in die Höhe. Das Gesicht bekam einen stolzen und gleichzeitig außerordentlich blöden Ausdruck. »Das hast du nun davon«, sagte Marion und freute sich, daß sie keine Stupsnase hatte. Es war eine bescheidene und ganz harmlose Freude. Dann ging sie wieder zum Sofa und setzte sich hin. Es war gut, daß sie ganz allein in der Wohnung saß und niemand sehen konnte, daß sie nur ein erschrockenes Mädchen war, das vom Leben beleidigt wurde.

Wieder fiel ihr Vergangenes ein: Fritz verschwand samt der Frau mit der bösen Papageiennase. Er hinterließ ein Paar Socken und die Erinnerung an einen schönen Sommer. »Ich werde dich nie vergessen«, sagte er zum Abschied, und Marion stand am Fenster mit kühlem und stolzem Gesicht und bedauerte, daß sie keine Wilde war und Fritz nicht erwürgen konnte.

So ging Fritz, aber der Sommer war noch nicht zu Ende. Heiter verregnet lag zu Füßen der Festung die Stadt Salzburg. Marion saß im Café Basar mit stolzem erstarrtem Gesicht und dachte an die Brücke, von der sie sich nie trauen würde, herunterzuspringen, obwohl sie es so gern getan hätte. Engländer in Kniehosen, erstaunlich gekleidete Amerikaner gingen vorbei. Der Ober des Kaffeehauses hatte die verhängten Augen eines Weisen, der alle Geheimnisse des Lebens meistern kann, und Marion dachte, daß es jetzt schön wäre, wenigstens Kokain zu schnupfen, um vergessen zu können. Aber Kokain verursacht Schnupfen, die Nase schwillt an und wird häßlich. Marion war nicht umsonst die Frau eines Laryngologen gewesen. Sie ließ die Finger vom Kokain.

Sie wußte kaum noch, wie die Männer hießen, die sie zum Mirabell-Garten begleiteten und später in Wien besuchten. Es war auch ganz gleichgültig. Die Männer hinterließen widerwärtige Erinnerungen, die vergessen werden mußten.

Marion zündete sich eine neue Zigarette an und warf sie sofort weg. Sie ging in die Küche und bereitete Kaffee. Sie trank ihn mit kleinen Schlucken in der Küche am Herd, stehend und mit einem sehr erschrockenen Gesicht. Sie fürchtete sich vor den Männern, die noch kommen könnten und widerwärtige Erinnerungen hinterlassen würden.

Draußen auf dem Korridor läutete das Telephon. Marion ging hinaus und hob den Hörer. »Hallo!?«

»Hallo, Marion, hier Asiadeh. Wir wollen mit Hassa Sonntag zum Tulbinger Kogel fahren. Dr. Sachs fährt mit. Es ist noch ein Platz im Wagen frei. Ich dachte, wenn Sie zufällig nichts Besseres vorhaben…«

Marion lächelte sehr überlegen. »Vielen Dank. Ich habe allerdings eine halbe Verabredung, aber ich werde sie vielleicht verschieben können. Ja, sehr gut. Am Sonntag um acht Uhr. Ihr holt mich ab.« Sie hängte den Hörer auf, ging zurück in die Küche, goß den Rest des Kaffees in eine kleine Mokkatasse und trug sie in das Wohnzimmer. Die kleine Türkin war ein ganz dummer Fratz. Es war gar nicht angenehm, immer wieder an die Jahre erinnert zu werden, die sie mit Alex verbracht hatte und die eigentlich ganz nette, wenn auch etwas langweilige Jahre waren. Dieses strahlende türkische Glück wäre beinahe eine Herausforderung, eine Verhöhnung, wenn das dumme Kind keine so harmlosen, traumverlorenen Augen hätte. Marion zuckte die Achseln. Hassa ging sie nichts an. Er stammte aus der Zeit, bevor ihre Seele auf dem Scheiterhaufen, der Fritz hieß, verbrannt war.

Auch Hassa wollte von Marion nichts hören. Unzufrieden stand er im Salon und brummte:

»Ich verstehe dich nicht, Asiadeh. Diese Freundschaft mit Marion! Marion interessiert mich nicht. Diese hochmütige Gans mit ihrem verpfuschten Leben. Es schickt sich nicht, daß ich mit meiner geschiedenen Frau zum Tulbinger Kogel fahre.«

»Aber ich werde doch dabei sein. Und Dr. Sachs auch.« Asiadehs Stimme klang aufrichtig verwundert. Sie rieb ihr Gesicht an Hassas Kragen, und ihre Augen blickten mit kindlicher Hingabe zu ihrem Mann empor. Sie hatte nicht umsonst besten Istanbuler Schliff. Jahrhundertealte Haremserfahrungen sprachen aus ihren Worten.

»Schau, Hassa. Marion ist so nett zu mir. Sie freut sich aufrichtig, daß wir so glücklich sind. Und dann, weißt du, ich habe ein so schlechtes Gewissen Marion gegenüber. Ich habe sie damals auf dem Semmering so schlecht behandelt. Und außerdem: ich habe dich, und sie hat gar nichts. Ich will ein bißchen nett zu ihr sein. Ich denke, vielleicht heiratet sie Dr. Sachs. Du weißt doch, wir Frauen sind geborene Kupplerinnen. Ich will Marion verheiraten. Dann sind wir sie ganz los.«

»Kein vernünftiger Mensch wird Marion heiraten«, sagte Hassa finster. Dann sah er Asiadehs große lächelnde Augen, spürte den leisen Duft ihrer blonden Haare, und sein Zorn legte sich. Es war eigentlich ganz gleichgültig, wer sich im vierten Sitz neben Dr. Sachs befinden würde. Es könnte auch Marion sein. Neben ihm würde auf alle Fälle Asiadeh sitzen.

»Gut«, sagte er gnädig, »meinetwegen soll Marion mitfahren. Verkupple sie mit Sachs, aber ich glaube nicht, daß es dir gelingen wird. Sachs ist doch kein Narr.«

Asiadeh schwieg. Es war ganz unwichtig, was Hassa dachte und wer ein Narr war. Einer Prinzessin aus Istanbul mußte alles gelingen, sogar ein Haus für einen verkommenen Prinzen zu errichten, der sich im Staube vor Allah wälzte und Rolland hieß.

Am Sonntag um acht Uhr stand Hassas Wagen vor Marions Tür. Marion erschien mit einiger Verspätung. Sie lächelte hochmütig, schloß den Kragen fest um ihren Hals und nahm neben Dr. Sachs Platz.

Am Tage darauf saß Dr. Sachs im Kaffeehaus am Ring. Die Stammtischrunde war vollzählig vertreten. Schimärenhaft wogten die Köpfe der Ärzte. Der Kaffee wurde kalt. Das Wasser wurde warm. Der Ober stand an eine Säule gelehnt und hörte zu. Dr. Sachs erstattete den Bericht: