»Es war zum Totlachen«, sagte er, »Hassa mit seinen beiden Frauen. Wir fuhren zum Tulbinger Kogel. Die kleine Türkin plapperte ununterbrochen. Es entspricht wohl der Tradition des Harems, daß ein Mann gleich mit mehreren Frauen ausfährt. Hassa war wahnsinnig verlegen und traute sich gar nicht, Marion anzuschauen. Ist ja verständlich nach all dem, was zwischen den beiden seinerzeit geschah. Wir speisten im Hotel, und Asiadeh blickte ihren Hassa mit verliebten Katzenaugen an. Einmal fragte sie Marion sogar, ob Hassa zu ihr auch so nett gewesen sei. Der armen Marion blieb das Essen in der Kehle stecken. Sagt, was ihr wollt, aber Marion ist eine Dame. Sie benahm sich herrlich unnahbar und dennoch zuvorkommend. Es wird ihr nicht leichtgefallen sein.«
Dr. Kurz leerte genießerisch seine Kaffeetasse.
»Diese Türkin ist natürlich eine Wilde«, sagte er, »den Asiaten erscheint es ja selbstverständlich, daß ein Mann mehrere Frauen hat. Asiadeh wird in ihrer asiatischen Denkart in Marion eine Art Berufskollegin erblicken, die mit ihr die Last des Mannes zu tragen hat. Ich halte Asiadeh für ziemlich kalt. Das ist alles.« Er lächelte weise.
»Unsinn«, lachte Halm, »die kleine Türkin ist einfach in ihren Hassa über beide Ohren verliebt und muß ihr Glück spazierenfahren. Am liebsten vor Marion. Damit die vor Neid vergeht! Eine etwas primitive Rache und Protzsucht. Sie weiß nicht, daß sie mit dem Feuer spielt. Marion ist hübsch, und eine Dummheit im Leben dürfte ihr genügt haben. Hassa hat sie ja sehr geliebt. Ich vermute sogar, daß er Asiadeh geheiratet hat, um unter anderem Marion zu zeigen, daß er auch ohne sie auskommen kann. Eine Art Kompensation des Inferioritätskomplexes.«
Die wiegenden Ärzteköpfe kamen einander ganz nahe. Das Gespräch bekam eine wissenschaftliche Note. Die Bezeichnungen der verschiedensten Komplexe schwirrten durch die Luft. Asiadeh, Hassa, Marion — drei nackte Seelen lagen zwischen den Kaffeetassen wie auf einem Seziertisch. Die Gesichter der Ärzte röteten sich. Es stand einwandfrei fest, daß Asiadeh an verspäteten Pubertätserscheinungen litt, während Hassa zum Mutterkomplex neigte.
Endlich hob der Chirurg Matthes den Finger und sagte mit der geradlinigen Primitivität seines Standes:
»Es ist einfach die Erbmasse! Hassa stammt doch von bosniakischen Mohammedanern ab. Das darf man nie vergessen.
Asiadeh weckt in ihm die verdrängten asiatischen Instinkte. Es wird mit einem Dreieck enden. Hassa wird sich wohl fühlen wie ein Pascha in seinem Harem. Asiadeh wird den asiatischen und Marion den europäischen Sektor seiner Denkart ausfüllen.«
»Unmöglich«, sagte Kurz, »Hassa hat gar keinen asiatischen Seelensektor. Ebenso wie Asiadeh keinen europäischen hat. Es wird so enden, daß diese Türkin Hassa aus dem Medikamentenkasten irgendeine ätzende Säure stehlen wird und sie Marion ins Gesicht schüttet. Man müßte Marion warnen.«
Kurz glaubte, Asiadeh sehr gut zu kennen.
Die Ärzte verstummten. Die Tür des Kaffeehauses öffnete sich, und Hassa trat ein. Müde nahm er am Tisch Platz.
»Was hast du, Hassa?«
Kurz’ Stimme war von aufrichtiger Teilnahme erfüllt.
»Ich habe nur zwei Hände«, stöhnte Hassa, »ich kann nicht gleichzeitig das Skalpell, den Spiegel und die Sonde halten.«
Die Kollegen sahen ihn erstaunt an. Hassa leerte seine Tasse und sagte verzweifelt:
»Die Friedl hat mich verlassen.«
»Wer?«
Abgrundtiefe Lasterhaftigkeit erstand vor den Augen der Kollegen.
»Die Friedl«, wiederholte Hassa düster, »kennt ihr die Friedl nicht? Meine Ordinationsschwester?«
»Aha«, sagten die Ärzte, innerlich ziemlich befriedigt. Kurz klopfte auf Hassas Knie:
»War Asiadeh eifersüchtig? So was kommt vor.«
»Unsinn, die Friedl ist lahm und über vierzig. Aber tüchtig. Ein Wink, und sie reicht mir das richtige Instrument. Ja, sogar ohne Wink. Sie weiß immer im voraus, was ich brauche. Eine Perle!«
Die Ärzte lachten.
»Warum hast du sie denn hinausgeekelt?«
»Ich habe sie gar nicht hinausgeekelt. Sie hat in Graz ein Haus geerbt, und jetzt ist sie weg. Asiadeh hat ihr kindlicherweise selbst gesagt, daß sie doch jetzt nicht mehr zu arbeiten brauche. Von selbst wäre sie gar nicht auf den Gedanken gekommen, zu privatisieren. Und ich bin wirklich wie ohne Hände. Ich bin ja schließlich kein Nervenarzt. Ich brauche eine Schwester, die auf mich eingestellt ist.«
Der Gynäkologe Halm nickte verständnisvoll.
»Eine gute Ordinationsschwester ist unersetzlich. Besonders bei leichten Rauschnarkosen. Eine neue Schwester ist wie eine neue Ehefrau. Die muß man sich genau anschauen.«
»Ich werde keine neue finden«, sagte Hassa trüb, »ich kenne mich. Ich bin ein Gewohnheitstier. Eine Schwester muß man sich erziehen, und dann geht sie einem durch wie Marion, oder erbt ein Haus wie Friedl.«
Er verstummte, traurig vor sich hin brütend.
»Am besten, man heiratet gleich die Schwester oder man macht seine Frau zur Schwester«, lachte Kurz, »dann ist man sicher.«
Hassa sah ihn böse an:
»Nervenärzte brauchen keine Schwester, sondern höchstens ein paar Zwangsjacken. Bei unsereinem ist das anders. Heute war mir Asiadeh behilflich, aber auf die Dauer geht es ja nicht.«
»Warum nicht?«
Die Ärzte hielten den Atem an.
»Aber ich bitte!« Hassas Stimme war ganz verärgert: »Wie stellt ihr euch das vor? Asiadeh ist doch eine zarte Frau. Sie kann doch keine Nebenhöhle aufmeißeln. Sie hat sich heute redlich bemüht, aber ich habe alle Operationen verschoben. Stellt euch vor, wenn die Schwester mitten in der Operation ohnmächtig wird. Sie hat sich ganz gut gehalten. Aber gegen Ende der Ordination kam ein Greis mit einer Rhinophyma. Ich gebe zu, daß das keine appetitliche Krankheit ist. Der armen Asiadeh wurde aber ganz übel, regelrecht übel.«
Er verstummte. Asiadeh tat ihm aufrichtig leid.
Um die gleiche Stunde stürzte Asiadeh ins Kaffeehaus am Stephansplatz.
»Marion«, sagte sie, und tiefer Ekel spiegelte sich in ihren grauen Augen, »gehört auch das zu den Pflichten einer Ehefrau?«
Marion blickte erstaunt auf. Asiadeh saß neben ihr und hatte ein ganz verzweifeltes Gesicht.
»Schon den Geruch halte ich nicht aus«, sagte sie, »und dann diese Kranken. Ich wurde fast ohnmächtig. Und morgen muß Hassa eine Rachenwucherung operieren. Was mach ich bloß, Marion? Es gibt doch genug Schwestern in Wien?«
Hastig sprudelte sie die Worte hervor. Sie erzählte von Friedl, die in Graz ein Haus geerbt hatte und ohne die Hassa nicht auskommen konnte. Sie erzählte von dem Greis mit der widerlichen Rhinophyma, und wie ihr übel wurde und wie Hassa sie verständnislos anstarrte.
»Und morgen will er operieren, Marion. Das ist zuviel für mich.«
Sie saß gebrochen im Stuhl und fuhr mit der Zunge über die trockenen Lippen. Marion lachte:
»Sie sind ein Luxusweibchen, Asiadeh. Eine Haremsblüte. Als ich heiratete, habe ich einen Kurs mitgemacht und wurde Hassas Ordinationsschwester. Ich glaube, ich war als Schwester besser denn als Frau. Nach der Scheidung hat Hassa geklagt, daß er keine Schwester finden wird. Tja… das mit der Rachenwucherung ist ganz einfach. Man muß nach jedem Strich dem Kranken den Kopf nach vorne beugen. Vorher müssen Sie den Beckmannischen Ringmesser mit dem Gottsteinischen Knick bereitstellen. Nachher reichen Sie Hassa den Politzer zum Ausblasen. Es ist ganz einfach. Verstehen Sie?«
»Nein«, sagte Asiadeh, »ich verstehe nichts.« Sie saß da, unbeholfen und verstimmt. »Ich bewundere Sie, Marion, was Sie alles können. Ich würde es mir nie merken können. Ich bin in der Tat ein Luxusweibchen.«
Marion sah sie etwas überlegen an und lächelte.