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Es klang orakelhaft. Marion blickte schutzsuchend auf die beiden Ärzte.

»Ein Tobsüchtiger«, flüsterte sie Hassa zu, »ich kenne ihn. Er hat mich einmal attackiert. Wie kannst du Asiadeh mit ihm tanzen lassen?«

Hassa blickte bestürzt auf:

»Ein Tobsüchtiger?!«

»Nein, nein«, Sam Dooth wurde sehr lebendig, »man darf ihn nur nicht reizen. Dann ist alles gut. Er ist etwas nervös.«

Hassa erhob sich.

»Ich komme gleich«, sagte er besorgt.

Er ging durch den Saal. Auf dem breiten Parkettboden kreiste leicht vorgebeugt, mit starrem und strengem Gesicht John Rolland. Seine Hand umfaßte fest Asiadehs Taille. Ihre Augen waren halb geschlossen.

»Ist mein Haus fertig, Hanum?«

»Fast fertig. Es fehlt nur noch ein Stein.«

»Wer wird es bewohnen?«

»Wir beide.«

»Und die Heimat?«

»Sie wird immer mit uns sein.«

Sie sah ihn an. Er lächelte zum erstenmal, seit sie ihn kannte.

Am Tisch im roten Saal ertönte ein hastiges Geflüster:

»Wie konnten Sie es wagen, mit einem Irrsinnigen zum Ball zu gehen?« zischte Kurz.

»Ich kann Ihnen nicht antworten«, zischte Sam zurück, »Sie verlangen für jedes Wort Honorar.«

Er blickte böse drein. John war ein Narr. Jetzt würden sie ihn einsperren, oder er mußte sagen, daß er eine fremde Frau entführen wolle. Sam leerte sein Sektglas und machte ein unnahbar überhebliches Gesicht.

Kurz und Marion flüsterten aufgeregt miteinander. Plötzlich verstummten sie. John Rolland stand beim Tisch.

»Herr Dr. Hassa tanzt mit seiner Frau. Darf ich Sie bitten?« Er verbeugte sich vor Marion. Marion erblaßte:

»Ich… danke, ich tanze nicht.«

John setzte sich hin und lachte, wie ihn Sam noch nie lachen gesehen hatte.

»Ihr haltet mich für einen Wahnsinnigen«, sagte er, »ich muß mich wirklich entschuldigen. Damals am Semmering habe ich mich seltsam benommen. Aber ich bin wirklich nicht wahnsinnig.«

»Typisch«, flüsterte Kurz Marion zu, »aber im Grunde harmlos.«

Marion nickte, und John bestellte Sekt. Hassa kam. Asiadeh hing an seinem Arm, und ihre Augen waren immer noch halb geschlossen. Vielleicht war es der letzte Tanz, den sie mit Hassa in diesem Leben getanzt hatte. Sie sah die Orchideen an ihrer Brust. Sie waren plötzlich schwer und drückend wie große Steine. Langsam nahm sie eine Orchidee von ihrem Kleide und übergab sie Marion.

»Für Sie«, sagte sie mit jäh aufsteigender Wärme.

Sie beugte sich vor und befestigte die Orchidee an Marions Brust. Marion dankte und flüsterte ihr zu:

»Asiadeh, nehmen Sie sich in acht vor diesem Türken. Er ist nicht ganz recht im Kopf. Ein Irrer. Er überfällt Frauen.«

Asiadeh blickte Marion an. Ihre Augen streiften zu Hassa hinüber, der sie einst im Auto geküßt hatte, und zu Kurz, der kein Irrer war und also auch keine Frauen überfallen durfte. Sie lachte:

»Ich weiß — er ist ein Irrer, aber nicht weil er Frauen überfällt. Ich glaube, er kann Frauen ganz gut verteidigen.«

Marion zuckte mit den Achseln. Kurz erhob sich. Er hatte am Tage genug mit Irren zu tun. Abends konnte er sie entbehren.

»Es ist spät geworden«, sagte er, »wollen wir gehen?«

Hassa nickte. Sie gingen durch die Säle, die Freitreppe hinab. Unten, in einer dunklen Seitengasse, parkten die Autos. Der kleine Wagen Hassas und Johns gemietete Limousine.

»Wir bringen dich heim, Kurz«, sagte Hassa, »und Marion natürlich auch.«

Er blieb stehen. John zog den Zylinder. Er verabschiedete sich höflich und steif. Er stand im Schnee und drückte Hassas Hand. Plötzlich rief Asiadeh in einer fremden, aber dem Prinzen allzu verständlichen Sprache:

»Kaiserliche Hoheit! Dieser Mann da — sie deutete auf Kurz — hat mich in sein Haus gelockt und wollte mir Gewalt antun, während mein Mann im Nebenzimmer war.« Der Zylinder fiel aus Johns Händen. Seine Augen blitzten wild und tierisch auf. Die Lippen zuckten. Er ballte die Faust und schlug mit einem jähen Hieb in Kurz’ Gesicht. Kurz taumelte. Der Schlag wiederholte sich. Johns Körper war gespannt. Das Gesicht rasend. Er schlug mit kurzen, heftigen Schlägen. Seine Haare fielen in die Stirn. Im kalten mondübergossenen Schnee glich er einem wilden Steppenwolf auf nächtlicher Jagd.

»Hilfe«, stöhnte Kurz. Hassa stürzte sich auf John. Sam fuchtelte mit den Händen. Vom Platze her eilten zwei Schutzleute herbei. John riß sich los. Mit einem wilden Sprung erreichte er den Wagen. Sam sprang hinterher. Der Wagen raste davon, noch bevor die Polizisten ankamen. Kurz lag im Schnee mit wut- und schmerzverzerrtem Gesicht:

»Ein Tobsüchtiger«, keuchte er, »ein Irrer. Ich hab’ es gleich gesagt. In die Zwangsjacke mit ihm.«

Asiadeh stand daneben. Ihre Füße versanken im Schnee. Sie schwieg. Sie lächelte still und versonnen. Der letzte Stein zu ihrem Hause war gelegt.

28

»Im Namen Gottes!

Hochverehrte Exzellenz, treuer Vater Achmed-Pascha! Die Welt ist groß, und viel Land trennt mich von Dir. Aber Raum und Zeit — was sind sie vor dem Throne Allahs?! Ein Papier, ein Briefumschlag, eine Briefmarke, und Raum und Zeit sind überbrückt und Du liest die Gedanken Deiner Tochter, die Dir in tiefer Verehrung zugetan ist.

Wisse — o Vater! — Großes hat sich in der Stadt Wien ereignet und groß sind die Wunder des Herrn. Siehe — bevor mein Herr und Gebieter das Auge seiner Gunst auf mich warf, teilte mit ihm seine Nächte eine schöne Sklavin namens Marion. In sündhafter Lust verließ sie aber ihren Herrn und zog durch das Land in die Stadt Salzburg, wo sie ein unkeusches Leben führte in den Armen eines fremden Mannes.

Da erbarmte sich der Allmächtige meines Mannes — des Herrn Dr. Alexander Hassa — Friede sei mit ihm — und sandte ihm mich als Sklavin und Trösterin im Tale des irdischen Jammers. Ich lebte mit ihm und diente ihm, o Vater, wie es meine Pflicht war und wie Du es mich gelehrt hast. Und meine Pflicht war Lust und Freude zugleich, denn die Augen meines Mannes lachten, wenn er mich sah oder meine Augen oder meine Lippen oder meinen Busen. Unerforschlich sind aber die Wege Allahs!

Er straft und richtet, und die Menschen sind nur Werkzeuge in der Hand der Vorsehung.

Einen Berg gibt es in der Nähe der Stadt Wien — Semmering geheißen. Auf diesem hohen Berg haben menschliche Hände — mit Gottes gütigem Beistand — ein Haus der Erholung errichtet. Einst war ich dort. Aber es gab kein Erholen für mich in diesem Haus, denn dort traf ich Marion, die unkeusche Sklavin meines Herrn.

Große Wut erfüllte mich damals. Ich verließ das Haus, denn es ist der Tochter eines Paschas unwürdig, mit einer Buhlerin und Ehebrecherin unter einem Dach zu verweilen. Da strafte mich Gott für meinen Stolz und sandte mir große Prüfungen auf den Weg.

Denn siehe — Vater —, es war eine Prüfung, dem Mann zu begegnen, dem ich zugesprochen war und für den ich einst arabische Gebete und persische Gedichte lernte. Doppelt schwer war aber die Prüfung, weil John Rolland meine Liebe erweckte und sündhafte Gedanken in mir aufstiegen, obwohl mein Mann zu Hause im Bett lag und auf mich wartete.

Gott schützte mich aber vor der Sünde, und ich betrat nicht den Weg der Unkeuschheit und der Schande. Gott ist gerecht, und sein Zorn entlud sich über Marion, der die Pforte der Hölle offenstand. Ich erfuhr, daß der Mann, mit dem sie sich in sündhafter Liebe verband, sie verlassen hatte und daß sie einsam und allein dastand, obwohl sie eine sehr schöne Sklavin ist, in den Künsten der Liebe und des Lebens bewandert.

So blieb ich bei meinem Herrn und Gebieter, aber meine Augen wurden wach und meine Sinne gespannt.

Das Leben, o Vater, das die Ungläubigen führen, ist schön und gut für die Ungläubigen. Für eine Frau aus Istanbul ist aber dieses Leben weder schön noch gut. Es gibt zuviel Männer in diesem Leben und zuwenig Kinder. Während es bei uns immer umgekehrt war, zuwenig Männer und zuviel Kinder. Doch sind die Männer hier wie Kinder, wie aber die Kinder sind, das weiß ich nicht, denn ich habe keine gesehen.