Staune, Vater, ein fremder Mann wagte mich zu küssen, und mein eigener Mann lachte dazu, obwohl er ein guter Mann ist und kein Verschnittener. So seltsam sind hier die Sitten der Menschen!!
Unerforschlich sind aber die Wege Allahs. In seinem Zorn strafte er die Buhlerin Marion, und in seiner Gnade errettete er sie wieder. Zum Werkzeuge ihrer Rettung wurde aber ich bestimmt, doch großes Erstaunen erfüllt mich — denn andererseits war auch Marion nur ein Werkzeug, um mich aus der Welt des Unglaubens zu den Zeiten des Friedens zu bringen. Wir beide waren nur Werkzeuge in der Hand des Allmächtigen. Doch während ich mit offenen Augen ans Werk ging, war Marion mit Blindheit geschlagen und weiß auch heute noch nichts von den Gedanken, die mich erfüllten. Und das ist gut so — o Pascha —, denn es muß einen Unterschied geben zwischen einer Prinzessin aus Istanbul, die ihrem Mann die Treue hält, und einer Sünderin, die ihrem Mann durchgeht.
Es vergingen Tage, und ich saß an einem Tisch mit Marion und blickte in ihre Augen und prüfte ihr Herz. Es vergingen Nächte, und ich lag neben meinem Mann und blickte in seine Augen und prüfte sein Herz. Doch während dieser Tage und dieser Nächte war John Rolland in der Wüste und wälzte sich im Staube vor Allah, und ich versuchte nicht, an ihn zu denken, obwohl ich immer wieder an ihn dachte.
Nein, o Pascha und Vater! Nie wäre ich John gefolgt, wenn ich das Schicksal meines Herrn und Gebieters Dr. Alexander Hassa — Friede sei mit ihm — nicht in sicheren Händen wüßte. Doch Marions Hände sind jetzt sehr sicher, und sie wird ihm eine gute Frau sein, ergeben und dankbar für die Gnade, die ihr mein Herr erweist.
Doch verirre ich mich im Labyrinth der Worte, Vater, und Du weißt immer noch nicht, was sich in Wien ereignet hat und wie seltsam das Leben mit den Menschen umgeht.
Es war im Palast der alten Monarchen. Die Säle waren festlich beleuchtet, und die Menschen tanzten. Es gab viele Uniformen, die Wände waren aus Marmor, es gab viele Spiegel und viele Bilder, und ich erkannte, daß die Monarchen dieses Landes ganz anders lebten als unsere Herren — die Sultane — in den Palästen von Ildis Kiosk oder Eski Serai.
Wir alle waren da an einem Tisch versammelt. Aber nur ich wußte um die Geheimnisse, die in uns waren, und es war mir, als hörte ich den klagenden Ruf der Trompete, die zur Attacke bläst.
Dann standen wir im Schnee auf der Straße, und ich sah, daß John wirklich der richtige Mann ist, um die Liebe einer Prinzessin aus Istanbul für immer zu gewinnen. Denn er schlug ins Gesicht des Dr. Kurz, den Du nicht kennst, o Vater, aber der ein Schurke ist, glaub es mir!! Er schlug also in das fremde Gesicht und war wie ein grauer Wolf auf nächtlicher Jagd. Dann war er plötzlich verschwunden, wir brachten Kurz heim, und alle waren böse mit mir, mit meinen Sitten und mit meinen Freunden.
Wir gingen nach Hause, und mein Herr und Gebieter sprach sehr bittere Worte. Er nannte mich eine Wilde und sagte, daß ich ihm Schande mache und ihm große Sorgen bereite. Ich lag im Bett und schwieg, denn er hatte mir große Sorgen bereitet, auch wenn er es nicht wußte, und er wäre jetzt sehr einsam und sehr unglücklich, wenn ich keine Wilde wäre. So lag ich denn also und schwieg, denn ein Weiser braucht keine Anerkennung.
Dann kam ein sehr aufregender Tag, Pascha. Denn zuerst kam Marion und zog den weißen Kittel an, um meinem Mann zu helfen, Krankheiten aus fremden Körpern zu vertreiben. Es kamen Kranke, und Hassa vertrieb ihre Krankheiten. Ich aber saß im Nebenzimmer und hörte immer noch den klagenden Ruf der Trompete, die zur Attacke bläst.
Dann waren die Kranken gegangen, aber Marion war immer noch drin — im Zimmer des Schmerzes — und mein Mann auch. Es war ganz still, und plötzlich hörte ich, wie mein Herr und Gebieter über mich klagte, weil ich eine Wilde bin und die Welt des Westens nicht begreifen kann. Auch Marion sprach, aber sie sprach leise, und ich verstand sie nicht, o Vater!
Nun wurde es ganz still und unheimlich. Mein Herz schlug sehr heftig, Pascha, denn ich bin erst einundzwanzig Jahre alt und an die Tücken des Lebens nicht gewöhnt.
Aber ich erbte von Dir einen klaren Kopf, Vater und Exzellenz, und ich werde Dir dafür immer dankbar sein. Ich schlich an die Tür heran und horchte. Ich hörte nicht viel, aber das, was ich hörte, genügte mir.
Ich öffnete die Tür. Marion saß im Sessel, in dem sonst die Kranken sitzen, und ihr Kopf war an das weiche Lederpolster gelehnt. Das Licht fiel auf ihr Gesicht. Ich sah sie ganz deutlich. Sie war sehr schön und hatte glänzende Augen. Hassa stand neben ihr. Er umfaßte ihren Kopf und er küßte ihre Lippen, ihre Augen, ihre Wangen und ihre Nase.
So, Vater, das sah ich also, und mein Herz klopfte heftig, obwohl ich ganz ruhig sein wollte. Aber der Mensch kann einen klaren Kopf haben und ein dummes Herz.
Dann trat ich in das Zimmer ein und schloß die Tür. Die beiden waren sehr erschrocken. Mein armer Herr und Gebieter blickte weg, und Marion sprang auf und richtete sich die Haare. Ich stand im Zimmer und blickte sie an, denn ich wußte nicht, ob ich weinen oder lachen soll. Dann weinte ich ein wenig, denn ich bin eine Frau, die an das Leben noch nicht gewöhnt ist.
Als aber Hassa zu mir trat und mich trösten wollte, wischte ich die Tränen ab und hob den Kopf. Ich sprach irgendwelche Worte, aber ich weiß nicht mehr genau, welche es waren. Die beiden sahen mich erstaunt an. Dann lachte ich, und Marion lachte auch. Nur Hassa lachte nicht, denn er ist ein Mann und hat ein Gewissen. Aber ich streichelte ihm die Haare und sprach mit ihm, und sein Gewissen wurde klein und kleiner.
Das, o Vater, sind die Ereignisse, die Gott in seiner Weisheit über uns kommen ließ, und ich weiß nicht, wer von uns Gottes Werkzeug war. Ich glaube, wir alle waren es. Nun aber, da ich um Hassas Schicksal beruhigt war, zog ich zu John Rolland. Er sitzt jetzt neben mir, sein Gesicht lächelt, und er sagt mir das wahre Wort unseres Propheten: ›Der beste Schatz des Mannes ist eine tugendhafte Frau.‹
Glaube mir, Vater, ich war tugendhaft, ich bin tugendhaft, und ich werde es immer bleiben. Nur dumme Frauen betreten den Weg der Sünde, eine kluge denkt nach und versteht die Sünde zu meiden, um kein Unheil auf andere Menschen und auf sich selbst herabzubeschwören. Denn vieles liegt in der Hand der Frau. Glück und Unglück, Leben und Tod. Klug muß eine Frau sein, um den schmalen Weg der Tugend zu meistern und um allen Menschen ruhig in die Augen blicken zu können.
Und jetzt, o Vater, reise ich mit John in das ferne Land jenseits des Ozeans. Aber die Heimat reist mit uns, denn wir tragen sie in uns, in unseren Armen, in unseren Augen, in unseren Gedanken, in unseren Kindern, die — so Gott hilft — in New York zur Welt kommen werden. Ein dicker Mann namens Perikles reist auch mit. Seine Familie stammt aus dem Phanar. Er ist sehr bewandert in den Dingen des äußeren Lebens. So sind wir alle unterwegs, Vater. Hassa ist mit Marion unterwegs, ich mit John, und auch Perikles ist unterwegs, und mein erstes Kind ist gleichfalls unterwegs, aber es klopft noch nicht mit den Beinen an meinen Leib, denn es ist noch zu früh dazu.
Auch Du, Vater, sollst Dich jetzt auf den Weg begeben in die Stadt Bremen, wo wir uns treffen werden, um alle gemeinsam ans Ende der Welt zu fahren. Denn John meint, daß das Haus eines osmanischen Prinzen nicht voll ist, wenn kein Pascha darin wohnt. Und er hat recht. Du mußt bei uns wohnen, um unseren Kindern die Gebote des Glaubens und der Sittsamkeit beizubringen, damit sie nie vergessen, daß ihre Ahnen einst von den gelben Hügeln Turans kamen und drei Kontinente bezwangen.
Ich schließ jetzt, Achmed-Pascha. Ich habe von Hassa und Marion Abschied genommen und das Glück in ihren Augen gesehen. Jetzt muß ich noch einmal in ein Kaffeehaus gehen, das am Ring gelegen ist. Ich werde einen Kaffee trinken und die erstaunten Gesichter vieler Ärzte sehen, die über Tod und Leben entscheiden, aber kindlich und unbeholfen sind in der Welt der Gefühle. Ich weiß, daß es nicht gut ist, über andere Menschen zu spotten. Aber die Menschen im großen Kaffeehaus haben oft über mich gespottet, und ich bin erst einundzwanzig Jahre alt und will mir vor der Abfahrt noch eine kleine Freude gönnen. Deshalb gehe ich in das Kaffeehaus und drücke jedem die Hand und blicke in ihre erstaunten und enttäuschten Augen. Denn sie hofften alle, meine Tränen zu sehen und müssen statt dessen mein Lächeln erleben.